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Gebremste Euphorie

Biologie.- Die experimentelle Biologie nimmt es auseinander, das Leben, und untersucht es, die Genetik verändert es. Und die synthetische Biologie? Diese verhältnismäßig junge Disziplin setzt es komplett neu zusammen – das Leben.

Von Michael Lange |
    Proteine, wie sie die Natur nicht kennt, sind typische Produkte der synthetischen Biologie. Aber Nediljko Budisa vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München entwickelt sie schon seit den 90er-Jahren. Damals gab es den Begriff "Synthetische Biologie" noch nicht. Nun aber erhält seine Forschung durch den Boom der Fachrichtung neue Aufmerksamkeit.

    "Man kann damit erreichen, dass man in einem Fermenter oder in einem Industrieprozess einfach zehnfach weniger Katalysator gibt, und diese Katalysatoren als Proteine sind sehr teuer. Und wir können jetzt die Effizienz von einem einzelnen Katalysator zehnfach erhöhen. Das heißt, wir können so auch die Produktionskosten senken."

    Eigentlich müsste die Industrie solche Chancen sofort ergreifen, aber Nediljko Budisa hat andere Erfahrungen gemacht.

    "Im Vergleich mit meinen amerikanischen Kollegen, findet man, dass die deutsche Industrie eher zurückhaltend ist. Die greifen zu, wenn etwas reif ist. Das haben sie mir mehrfach unmissverständlich gesagt."

    Für die großen Unternehmen ist "synthetische Biotechnologie" ein interessantes Konzept – und dennoch klingen die Stellungnahmen zurückhaltend. Von der Begeisterung, wie sie einige Grundlagenforscher insbesondere in den USA erfasst hat, ist nichts zu spüren.

    "Es ist natürlich ein Druck da durch Schlagworte, vielleicht auch wie synthetische Biologie, neue Forschungsprogramme zu initiieren und so an Forschungsgelder zu kommen."

    Oskar Zelder, Mikrobiologe in der industriellen Forschung bei BASF in Ludwigshafen, sieht dennoch einige Anwendungsfelder der neuen Forschungsrichtung. Zum Beispiel Vitamine oder auch bestimmte Kunststoffe könnten durch synthetische Biologie preiswerter und umweltverträglicher synthetisiert werden.

    "Durch die Möglichkeit, Gene im Labor chemisch zu synthetisieren und synthetisierte DNA zu nutzen, kann man die Laborprozesse beschleunigen und kann auch zu neuen Kombinationen schneller kommen. Da sehe ich eine konsequente Weiterentwicklung."

    Nach einer Revolution in der Biotechnologie klingt das nicht. Die sieht auch Sven Panke vom Labor für Angewandte synthetische Biologie der ETH Zürich in Basel noch nicht. Seiner Meinung nach muss die Wissenschaft noch einige Hausaufgaben erledigen. Würde die Industrie jetzt in großem Stil einsteigen, wären Schwierigkeiten vorprogrammiert.

    "Was wir dann erleben werden, ist, dass wir eine Reihe von Problemen immer wieder neu durchlaufen, weil wir nicht von einem vernünftigen Punkt loslaufen können, der vernünftig dokumentiert ist, und der allen zur Verfügung steht."

    Es fehle, so Sven Panke, eine industriell nutzbare Datenbank, in der alle Zwischenprodukte aufgelistet und beschrieben sind. Es gibt bereits ein Register für biologische Teile am MIT. Dieses Register für standardisierte biologische Teile ist im Rahmen des Studentenwettbewerbs Igem entstanden. Dort sind über 3000 biologische Bauteile beschrieben und auch tiefgefroren am MIT: Proteine, Proteinteile, Erbgutschnipsel, RNA-Moleküle und so weiter. Sie stehen allen Studenten, die am Wettbewerb teilnehmen, frei zur Verfügung. Eine gute Idee, meint Sven Panke, aber leider nicht für industrielle Anwendungen geeignet.

    "Ich würde gerne ein solches Register in Europa mit Industriebeteiligung machen. Ich würde aber nicht fundamental etwas anderes machen, als die Jungs am MIT. Aber man muss auch wirklich viel Geld aufwenden, damit es dann auch für eine Biotech-Industrie praktikabel wird."

    Alles müsste sorgfältig dokumentiert und mehrfach überprüft sein. Auch Patentrechte müssten geklärt werden. Dann könnte ein Baukasten für die synthetische Biologie von Forschern weltweit und auch von Unternehmen genutzt werden. Aber das wird noch einige Zeit dauern.

    Auch die ethische Debatte steht erst am Anfang. Der Begriff "synthetische Biologie" hat die öffentliche Diskussion bisher nicht erreicht. Nach dem Wunsch mancher Fachleute – vor allem aus der Industrie – soll das nach den Erfahrungen mit der sogenannten "Grünen Gentechnik" auch so bleiben.