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Gebündeltes Wissen

Die Aktivitäten auf dem wissenschaftlichen Gebiet der Jüdischen Studien sollen in einem universitätsübergreifenden Zentrum für Jüdische Studien in Berlin zusammen-gefasst werden sollen.

Von Barbara Leitner |
    Eine Führung durch Berlin-Mitte, zur Tucholsky Straße 9, der ehemaligen Artilleriestraße im Scheunenvierte. Hier befand sich einst die 1870 gegründete Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Künftige Rabbiner, Prediger und Religionslehrer studierten an dieser Hochschule unabhängig von Geschlecht und Konfession das gesamte Spektrum der jüdischen Literatur und Geschichte.

    "Es gab große Gelehrte, die natürlich alle aus der rabbinischen Gelehrsamkeit hervorgegangen sind im 19. Jahrhundert, die dann aber angefangen haben in einer sehr säkularen Weise die Thora zu lesen, die Talmud-Texte zu lesen, jüdisches Schriftgut und jüdische Geschichte mit einem wissenschaftlichen Apparat zu lesen, sozusagen die Kriterien der Wissenschaftlichkeit auf die eigenen religiösen Traditionen anzuwenden."

    Christina von Braun. Professorin für Kulturwissenschaft und Leiterin des Kollegiums Jüdische Studien an der Humboldt-Universität Berlin.

    "Das war die Wissenschaft des Judentums, die dann eine sehr große Philosophie und Geschichtsforschung hervorgebracht hat und zum Beispiel auch einige der Forscher des Islam im 19. Jahrhundert kamen aus diesem Kontext. Das heißt da gab es schon sehr die Fragestellung, was verbindet eigentlich die drei monotheistischen Buchreligionen, wo sind ihre Zusammenhänge, wo auch ihre Unterschiede."

    Hier schlug die Geburtsstunde der judaistischen Wissenschaft - im Ringen um Emanzipation, Akkulturation und Bewahrung der eigenen Identität. Berühmte Wissenschaftler wie Leo Baeck oder Hermann Cohen lehrten hier und zu den Schülern zählte beispielsweise die erste Rabbinerin Regina Jonas. 1942 schlossen die Nazis diese Schule. In ihrer Nachfolge wurde 1979 in Heidelberg die Jüdische Hochschule als einzige höhere jüdische Bildungseinrichtung in Deutschland gegründet. In Berlin und Potsdam entstanden nach und nach neue, breite, allerdings zerstreute Felder Jüdischer Studien. Heute kann man beispielsweise an der Universität Potsdam die Schwerpunkte jüdische Religion, Geschichte und Literatur studieren. An der Freien Universität Berlin gibt es die Studiengänge Judaistik und sowie Judentum im historischen Zusammenhang. Von der Technischen Universität aus wirkt das wegweisende Zentrum für Antisemitismusforschung. Fast 15 Professuren beschäftigen sich in der Region mit Jüdischen Studien. Diese hohe Dichte an Fachwissen in Lehre und Forschung soll im Zentrum für Jüdische Studien gebündelt werden und an die große Tradition jüdischer Gelehrsamkeit anknüpfen.

    "Wenn wir das einrichten, die Idee ist ja dann, dass wir das Ahawahaus der jüdischen Gemeinde in der Auguststraße nutzen werden und dort dann zum Beispiel die Bibliotheksstände, nicht zusammen führen, aber Katalogs Bestände zusammenführen, dass dann hier effektiv Arbeit geleistet werden kann. Im Moment ist alles verstreut. Aber es ist vieles vorhanden."

    Der Historiker Julius Schoeps, Direktor des Moses-Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam.

    "Warum ist es interessant? Interessant ist es für Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Berlin ist eine attraktive Stadt und wenn hier wieder anknüpfend an die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, was eine Idee ist, dann werden wir in Berlin hier einen Ort bekommen, wo die jüdischen Studien weltweit ... dann werden die jüdischen Studien in Berlin eine gewisse Rolle spielen."

    Die Wissenschaft des Judentums ist niemals zugelassen wurden im 19. Jahrhundert oder in der Weimarer Republik als ein Fach, dass in den deutschen Universitäten genau so viel Präsenzmöglichkeiten hat wie die christliche Theologie zum Beispiel und das diese Art von Forschung von jüdischer Geschichte, deutsch-jüdischer Geschichte und ihr Dialog untereinander, ihre religiösen und jetzt säkularen Traditionen, dass das jetzt innerhalb einer deutschen Universität möglich ist, das erscheint uns nicht nur als höchste Zeit, sondern als ein großer Gewinn.

    Im ehemaligen jüdischen Kinderheim, dem sogenannten Ahawah-Gebäude in der Auguststraße soll das universitätsübergreifende Zentrum sein zu Hause finden. Dieses unter Denkmalschutz stehende, sanierungsbedürftige Ensemble hatte Eduard Knoblauch entworfen, der Architekt der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. 1866 eingeweiht erschien dieses größte jüdische Gotteshaus als ein Symbol für die Emanzipation der deutschen Juden, für ihr Angekommensein in der deutschen Gesellschaft. In Preußen hatten die Juden 1812 durch das Emanzipationsedikt Bürgerrechte erhalten - wie es in anderen, unter Napoleonische Herrschaft geratenen Staaten auch auf Druck der Eroberer geschah. Die Mauern des Ghettos waren gesprengt. Erstmals konnten sich Juden in die nationalen Kulturen einbringen. Berlin entwickelte sich zu einem der wichtigsten Zentren des deutschen Judentums. Das wird - im Unterschied zur Hochschule Heidelberg - ein Forschungsthema für das universitätsübergreifende Zentrum für Jüdische Studien sein ...

    " ... , dass Berlin und Brandenburg, Preußen, dass das ein riesiges Gebiet einer großen deutsch-jüdischer Kultur war und das ist noch gar nicht systematische erforscht worden. Es ist zu einzelnen Schriftstellern, zu einzelnen ökonomischen Sektoren hat es Forschung geben, aber wie diese Verbindung zu Preußen und des säkularen, auch religiösen jüdischen Traditionen war, das wird mit Sicherheit ein Schwerpunkt."

    Seit seiner Gründung 1992 beschäftigt sich das Moses-Mendelsohn-Zentrum in Potsdam mit der Deutsch-Jüdischen, der Europäisch-Jüdischen Geschichte als Teil der Demokratiegeschichte und ist dabei seinem Namensgeber verpflichtet. Ohne eine eigentliche Schule oder Universität besucht zu haben, war Moses Mendelsohn einer der gebildetsten Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts. Er übersetzte die fünf Bücher Mose ins Deutsche und wurde zu einem Repräsentanten der deutsch-jüdischen Assimilation. Genau diese Beziehungsgeschichte untersuchen am Potsdamer Zentrum Wissenschaftler verschiedener Disziplinen. Julius Schoeps.

    "Uns interessiert, wie bedingt das eine, das andere. Welche Auswirkungen haben bestimmte, sagen wir in den Geisteswissenschaften, die Aufklärungsphilosophen was hat Mendelsohn mit Immanuel Kant zu tun. Oder die ganzen Neukantianer sind meist jüdische Wissenschaftler gewesen, bis Hermann Cohen. Welche Rollen spielen sie und welche Bedeutung haben sie für die deutsche Geistesgeschichte? Nach unserem Konzept, ist diese Geschichte der Aufklärung, der Demokratie und ihres Scheiterns. Das zu untersuchen ist eine unsere Hauptaufgaben."

    Aus der jüdischen Aufklärungsbewegung und ihrer Forderung nach bürgerlicher Gleichstellung erwuchs ein neues jüdisches Selbstverständnis. Das strahlte auf die gesamte Gesellschaft aus. Christina von Braun.

    "Zum Beispiel waren unter den Frauen, die sich eingesetzt haben für das Wahlrecht, die sich eingesetzt haben für die Zulassung von Frauen für das Studium war ein überproportional hoher Anteil von Jüdinnen. Warum haben Jüdinnen einen so hohen Anteil an diesen Kämpfen gehabt? Einer der Gründe ist, das Bildung in jüdischen Familien sehr hoch valorisiert wurde und Bildung schon aus dem eigenen Haus mitgenommen haben und dann in den öffentlichen Raum getragen haben."

    Jüdische Frauen wie Rahel Varnhagen, Fanny Lewald oder Hedwig Dohm trugen wesentlich zur Entstehung eines neuen, emanzipierten Frauenbildes in Deutschland bei. Zugleich bereicherten jüdische Frauen und Männer aus Wissenschaft, Kunst und Politik wie Walter Rathenau, Albert Einstein, Magnus Hirschfelder, Lise Meitner, Alice Salomon, Rosa Luxemburg oder Elsa Lasker-Schüler die geistige, politische und wissenschaftliche Kultur in Deutschland. Und doch lag darüber auch ein Schatten:

    "Man kann sagen, dass die Aufklärung, die eigentlich antrat, den emanzipierten, kritischen Menschen hervorzubringen in Europa dann umgeschlagen ist, und den Nationalismus auch hervorgebracht hat als eine Art von säkularer Religion. Diesem Nationalismus haben sich auch viele Juden angeschlossen. Das ist keineswegs zu leugnen. Viele Juden waren auch sehr nationalistisch und überzeugt von der Reichsgründung und diesem Ideal der deutschen Nation. Aber es gab auch sehr viel durchaus kritische Juden, die dieses andere Aufklärungsideal, nämlich dass es kritischen Individuums, des Menschen, der einen Schritt zurück tritt, um die politische Lage anders beurteilen zu können, mitgetragen und hochgehalten haben und da können wir von den Denkern einiges lernen."

    Dieses Wechselspiel von Aufbruch, Demokratie und Scheitern in der deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte wirkt bis in unsere Tage. Das Mendelsohn Zentrum untersuchte beispielsweise über zehn Jahre, wie die ca. 200.000 aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Juden in Deutschland aufgenommen wurden.

    "Es ist eine interessante Gruppe, die gekommen ist, zumeist akademisch Gebildet, die hier große Schwierigkeiten hat, weil die Abschlüsse aus der früheren Sowjetunion nicht anerkannt worden sind. /Ingenieure, Mathematiker, Ärzte usw. Schauspieler, Künstler, die so mit beigetragen haben, zum Beispiel in Berlin, die Stadt, das Stadtbild bunter zu machen."

    Mindestens 70 Prozent von ihnen gelten als hochgebildet. Und doch sind sie zu über 40 Prozent dauerarbeitslos, fanden die Potsdamer Wissenschaftler heraus. Sie vergleichen die Situation der russisch-jüdischen Auswanderer in Deutschland mit der von jenen, die in die USA oder nach Israel gingen. In den USA blieben nur drei Prozent der russischen Juden arbeitslos, in Israel zehn Prozent.

    Immer wieder tun sich die Deutschen schwer, die Anderen, die Fremden anzunehmen, kommt die Angst, durch deren Assimilation würde der deutsche Volkskörper ausgehöhlt. Dabei ziehen langlebige Vorurteile ihre Dauerhaftigkeit oft aus dem Mythischem oder Religiösen.

    Wie dünn tatsächlich deren Grundlage ist, entdeckt Rainer Kampling, Professor für katholische Theologie, auf seinem Forschungsgebiet - der Geschichte und Theologie der Jüdisch-Christlichen Beziehungen. Für ihn gilt nicht mehr Position, das Christentum sei aus dem Judentum hervorgegangen und damit die einfache Mutter-Tochter-Metaphorik.

    "Heute gehen wir davon aus, dass sich mit dem heutigen Judentum und dem heutigen Christentum um zwei spätantike Religionen handelt, die gleichsam beide in der Zeit des 2. Tempels entstanden sind und sich dann je eigenen entwickelt haben, vor allem nach der Zerstörung des Tempels und man muss einfach sagen, unser Weltbild, dass das alles so klar war, ist einfach erschüttert. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass es bis ins fünf. Jahrhundert Christen gab, die es selbstverständlich fanden, ihre Kinder zu beschneiden, dann zeigt das, wie schwierig unsere Vorstellungen von geschichtlichen Ablösungsprozessen sind."

    Rainer Kampling verweist auf Speisegesetze ähnlich den Juden auch bei den frühen Christen. Er spricht von der Verwandtschaft der religiösen Feste, Entsprechungen in der Liturgie beider Religionen, erwähnt, dass die Kleidung im Rabbinat der von evangelischen Pfarrern gleicht. Über Jahrhunderte befruchteten sich jüdische und christliche Religion - geografisch und temporär verschieden, auch abhängig von politischen Umständen. Gleichzeitig aber konkurrierten beide Religionen um die Gläubigen - und das seit dem Beginn der Neuzeit:

    "Man muss sich immer erinnern, als Konstantin dem Christentum sich zuneigte, waren zehn Prozent christlich. Es ist eine Minderheit und Minderheiten neigen dazu, sich durch absolute Negation vom Großverband zu lösen und das haben wir im frühen Christentum. Eine theologische Aufgabe dieser Geschichtsforschung ist zu unterscheiden zwischen historisch-soziologischen Punkten und einer theologischen Begründung. Sie würden erstaunt sein, wie selten diese Begründung theologisch ist, sondern sie dient meistens einer Abgrenzung und einer Vergewisserungstendenz. Im 2. Jahrhundert haben wir einen Text. Wir fasten, aber nicht an den Tagen, an denen die Juden fasten. Da fängt man an am Tag vor Sabbat zu fasten. Das dient zunächst der eigenen Selbstidentität."

    Wie wurde aus dieser Abgrenzung Feindschaft und weckte den Dämon der rassistischen Aggression gegen die Anderen? Wie konnten sich Menschen über Gott erheben und meinen, sie könnten sein Werk tun- noch dazu mit zerstörerischer Gewalt? Wie konnte auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Quellen des Glaubens zum Holocaust beitragen? Das sind Fragen die den katholischen Theologen Kampling interessieren. Dabei hat er für die Gegenwart auch den Islam und das Verhältnis der westlichen Welt zu den Muslimen im Blick.

    "Für mich ist der Punkt der erste Kreuzzug, in dem auf einmal eine Stigmatisierung der Juden als Andere passiert. Dies wird sekundiert durch die Kleiderkennzeichnung, 1215 und dem Entwurf, der Juden als Fremde. /und das ist die Gefährlichkeit der Sache./ Da haben wir zum ersten Mal die Situation, dass schlagartig, innerhalb von Tages- und Wochenfrist aus einer Konnivenz eine blutige Auseinandersetzung wird. Wir können das sehr gut durch die transdisziplinäre Forschung zeigen. Es gibt keinen jüdischen Typus vor der Pflicht, Juden zu kennzeichnen in der europäischen Kunst. Also man hat die Juden gekennzeichnet, um sie zu Juden zu machen. Sie unterschieden sich einfach nicht. Und das ist dann eine Imagination und Konstruktion des Juden."

    Jenseits der bestehenden gedanklichen Konstruktionen geht es in der Forschung um Fakten. Dadurch soll das kulturelle Gedächtnis in Europa von seinen rassistischen Potenzialen befreit und aufgefrischt werden - ein Ansatz der Antisemitismusforschung, den auch Christina von Braun verfolgt. Gegenwärtig schreibt sie eine Kulturgeschichte des Geldes und entdeckt, wie Zuschreibungen gegenüber Juden benutzt wurden, um sich gegen anstehende gesellschaftliche Veränderungen zu wehren.

    "Nehmen sie eine Figur wie Jud Süß, der hat in Baden-Württemberg, 18. Jahrhundert, der hat Baden-Württemberg das Finanzwesen reformiert, sehr viel dafür getan, dass die Finanzen dieses Landes wieder in Ordnungen kamen, hat sich auch bereichert, hat auch selber gut verdient bei der Gelegenheit und hat einen unheimlichen Hass auf sich gezogen. Und das ist etwas, was sie immer wieder sehen, egal ob Juden als Modernisierer des Geldwesens daher kommen oder als Modernisierer der Gesellschaft überhaupt, der Hass gegen jeden Innovationsschub, egal ob sie ihn nun verursacht haben oder ob vom Zeitgeist her anstand. Juden werden immer zu den Schuldigen gemacht für diese Innovationsschübe, die natürlich von den Menschen immer eine Krisensituation verlangen, ehe sich eine Gesellschaft eine neue Ordnung einrichtet. Und da nun das Geld der größte Innovationsmotor der westlich-christlichen Welt war, hat sich dieses Thema, Jude, Schuldiger an der Modernisierung, sehr oft auch am Thema Geld festgemacht."

    Solche Forschung, nicht nur aus der Theologie und Kulturwissenschaft, sondern auch der Philosophie, Geschichte, Literatur-und Kunstwissenschaft, der Pädagogik, Europäischen Ethnologie, der Rechtswissenschaft und Medizingeschichte wird das universitätsübergreifende Zentrum für Jüdische Studien ermöglichen und zusammenfügen - der Demokratie, Freiheit und Toleranz verpflichtet, ganz wie Moses Mendelsohn in einen Brief an Immanuel Kant schrieb:

    Wer selbst erfahren hat, wie schwer es ist, die Wahrheit zu finden und sich davon zu überzeugen, dass man sie gefunden habe, der ist allezeit geneigter, gegen diejenigen tolerant zu sein, die anders denken.