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Geburt der Quark-Fünflinge

Schon der Name sagt es: In der Teilchenphysik geht es um unvorstellbar kleine Materieteilchen, um die Urbausteine unserer Welt. Da ist die Aufregung bei den Forschern naturgemäß besonders groß, wenn an irgendeinem Beschleuniger ein neues, bislang unbekanntes Partikelchen entdeckt wird. Eine solche Nobelpreis-verdächtige Neuentdeckung wurde nun auf der Tagung der Europäischen Physikalischen Gesellschaft vermeldet, die heute in Aachen zu Ende geht.

23.07.2003
    Von Frank Grotelüschen

    Stirnglatze, das Resthaar ungebändigt. Cordhose, und auf den Lippen ein zerstreutes Lächeln. So stellt man sich ein Physikgenie vor. Frank Wilczek entspricht diesem Klischee fast perfekt. Einzig die Cordhose fehlt, statt dessen trägt der MIT-Professor aus Boston seinen besten Anzug. Aus gutem Grund, denn Wilczek darf, gemeinsam mit zwei Kollegen, einen begehrten Preis in Empfang nehmen – den Teilchenphysikpreis der Europäischen Physikalischen Gesellschaft. "Für die Erfindung der Quantenchromodynamik”, steht auf der Urkunde. Die Quantenchromodynamik zählt zu den mittlerweile wichtigsten Theorien der Physik. Sie beschreibt das Verhalten jener unvorstellbar winzigen Partikel, die die Fachleute als Quarks bezeichnen. Frank Wilczek erläutert:

    Materie besteht aus Atomen. Atome setzen sich aus Elektronen und einem Atomkern zusammen. Dieser Kern wiederum besteht aus Protonen und Neutronen. Und seit den 60er Jahren wissen wir, dass selbst die Protonen und Neutronen aus noch kleineren Bausteinen zusammengesetzt sind - den Quarks. Und diese Quarks sind die fundamentalen Bausteine der Materie.

    Nun besagt die Quantenchromodynamik von Frank Wilzcek, dass Quarks niemals alleine vorkommen, sondern stets im Paket – zum Beispiel im Proton als fest aneinander klebende Dreierclique.

    Viele Jahre lang haben wir ausschließlich Teilchen beobachtet, die entweder aus zwei Quarks bestehen oder aus drei. Doch die Quantenchromodynamik schließt nicht aus, dass es auch andere Konstellationen gibt – zum Beispiel Teilchen, die sich aus vier oder fünf Quarks zusammensetzen. Seit Jahrzehnten haben die Leute vergebens nach diesen exotischen Partikeln gesucht. Doch nun, in den letzten Wochen, haben gleich vier Forscherteams Messungen vorgestellt, die ganz deutlich auf ein Teilchen hinweisen, das aus fünf Quarks besteht. Wir nennen es Pentaquark.

    Vier Gruppen aus Russland, Japan, den USA und Bonn hatten mit Beschleunigern experimentiert, die – weil relativ klein - fast schon als veraltet gelten dürfen. Mit diesen Beschleunigern schossen die Forscher unterschiedliche Teilchen aufeinander und schauten nach, was bei diesen Minikollisionen passiert. Das Ergebnis: Bei allen vier Experimenten war mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen Wimpernschlag ein Quark-Fünfling entstanden, das Pentaquark. Wobei das mit dem Wimpernschlag schon gewaltig übertrieben ist.

    10 hoch minus zwanzig Sekunden, weniger als der milliardste Teil einer milliardstel Sekunde.

    Unvorstellbar kurz - aber lange genug für einen Physiker, um von der Entdeckung eines neuen Teilchens zu sprechen.

    Das ist eine große Überraschung. Schließlich haben die Leute Jahre und Jahre nach etwas wie dem Pentaquark gesucht und nie etwas gefunden. Und jetzt, nachdem sie einfach noch genauer hingeguckt und die Daten noch sorgfältiger analysiert haben als zuvor, da findet sich das Pentaquark plötzlich. Das hat uns schon überrascht.

    Nun wollen die Forscher das Pentaquark möglichst detailliert untersuchen – mit der Hoffnung, dabei auf neue Details über das Verhalten der Quarks zu stoßen. Und vielleicht findet sich ja sogar noch der eine oder andere Verwandte des Pentaquarks, etwa ein Tetraquark, ein Quark-Vierling. Sagt Frank Wilzcek, setzt zum feinen Anzug sein Baseballcappy auf und eilt davon - unterm Arm seinen Preis von der Europäischen Physikalischen Gesellschaft.

    Den gebe ich nicht wieder her, sagt Wilczek. Was man gut verstehen kann. Denn so mancher, der einst diesen Preis erhielt, durfte später den Olymp der Forschung besteigen – als Nobelpreisträger für Physik.