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Geburt einer Supermacht

1922 entstand einer der mächtigsten Staaten der Erde. Auf dem sogenannten Allunionskongress in Moskau gründeten Russland, die Ukraine, Weißrussland und Transkaukasien die Sowjetunion. Russland stellte in dem neuen Vielvölkerstaat das mit Abstand größte Gebiet und sollte künftig auch die Politik des gesamten Landes maßgeblich bestimmen.

Von Ralf Geißler | 30.12.2007
    Hunger, Elend und Millionen Tote stehen am Beginn der Geschichte der Sowjetunion. Im November 1917 - mitten im Ersten Weltkrieg - hatten die Bolschewisten in Russland die Macht an sich gerissen. Der verhasste Zar befand sich schon im Exil. Nun wurde auch die bürgerliche Regierung vertrieben. Arbeiter- und Soldatenräte, die sogenannten Sowjets, bestimmten jetzt die Politik. Der Anstifter des Umsturzes, Wladimir Iljitsch Lenin, versprach dem Volk eine neue Ära.

    "Was ist das, Sowjetmacht? Die Sowjetmacht ist kein Wunder bringender Talisman. Sie kann nicht von einem Tag auf den anderen alle Übel der Vergangenheit kurieren. Aber sie bereitet den Weg zum Sozialismus. Sie gibt jenen, die früher unterdrückt wurden, nun die Möglichkeit, sich wieder aufzurichten und in immer größerem Maße die gesamte Regierung des Landes, die gesamte Administration der Wirtschaft und die gesamte Leitung der Produktion in ihre eigenen Hände zu nehmen."

    Doch der entmachtete russische Adel ließ sich seinen Besitz nicht einfach wegnehmen. Die Oktoberrevolution mündete in einen Bürgerkrieg. Dabei kamen Millionen Menschen auf Schlachtfeldern, durch Terror und Seuchen ums Leben. Am Ende siegten die Kommunisten. Doch das Land lag danieder. Die Tageszeitung "Prawda" schrieb im Februar 1920:

    "Die Arbeiter der Städte und zum Teil auch der Dörfer krümmen sich vor Hunger. Die Eisenbahnen rücken kaum vom Fleck. Die Häuser verwittern und verfallen. Die Städte sind voller Unrat. Epidemien breiten sich aus, und der Tod holt überall seine Opfer."

    Die Wirtschaftspolitik der Kommunisten verschlimmerte es noch. Die Industrie wurde verstaatlicht. Die russischen Bauern mussten ihre gesamte Ernte abgeben. Eine gigantische Bürokratie sorgte nun für Umverteilung. Die Produktivität fiel weit unter das Niveau der Vorkriegsjahre zurück. Die Bevölkerung hungerte und fror. Im März 1921 meuterten die Matrosen von Kronstadt.

    Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, doch das Regime korrigierte seine Politik. Es wurde wieder etwas Marktwirtschaft zugelassen. Lenin selbst verkündete die Entscheidung:

    "Genossen! Weil die Getreideablieferungspflicht durch die Naturalsteuer ersetzt wurde, bleibt dem Bauer bei guter Ernte Getreide im Überfluss. Diesen Getreideüberschuss können die Bauern gesetzlich frei verwenden, zum Beispiel zur Verbesserung der eigenen Versorgung, als Viehfutter, als Tausch gegen Industriegüter."

    Die Wirtschaft erholte sich, und die Bolschewisten nahmen nun den Staatsaufbau in Angriff. Nach der Oktoberrevolution waren auch in der Ukraine, in Weißrussland und im Kaukasus Sowjetrepubliken entstanden. Doch wie die Zusammenarbeit aussehen könnte, darüber bestand unter den Kommunisten Uneinigkeit. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Russlands, Joseph Stalin, plädierte für einen Anschluss der Länder an Russland, um alle Macht in Moskau zu vereinen. Lenin hingegen wollte den Völkern eine begrenzte Autonomie lassen. Ihm schwebte eine Föderation vor. Das schrieb er auch in seinen Thesen zur nationalen Frage:

    "Die Föderation ist eine Übergangsform zur völligen Einheit der Werktätigen verschiedener Nationen. Die Föderation hat bereits in der Praxis ihre Zweckmäßigkeit bewiesen, sowohl in den Beziehungen Russlands zu anderen Sowjetrepubliken als auch innerhalb Russlands in Bezug auf die Nationalitäten, die früher weder eine eigene staatliche Existenz noch eine Autonomie hatten."

    Lenin setzte sich weitgehend durch. Am 30. Dezember 1922 trafen sich Vertreter der Russischen, der Ukrainischen, der Weißrussischen und der Kaukasischen Sowjetrepublik in Moskau und gründeten die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken - kurz UdSSR. Den vielen Völkern des Landes wurde in Bildungs- und Kulturfragen Autonomie versprochen. In der Außen- und Verteidigungspolitik erhielt die Zentrale in Moskau das Sagen.

    Damit waren die Grundlagen des Staates gelegt. Das Verhältnis zwischen Lenin und Stalin aber blieb zerrüttet. Lenin empfahl der Partei, Stalin als Generalsekretär abzulösen. Doch der Revolutionsführer konnte sich nicht mehr durchsetzen. Mehrere Schlaganfälle raubten Lenin die Sprache. 1924 starb er abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Stalin aber entwickelte die UdSSR mit äußerster Brutalität zu einer Supermacht.