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Geburtshaus oder Klinik?

Medizin.- In Deutschland bieten Hebammen seit über zwei Jahrzehnten eine Alternative zwischen Hausgeburt und Krankenhausaufenthalt: das Geburtshaus. Rund 1,3 Prozent der Schwangeren entscheiden sich dafür.

Von Thekla Jahn |
    "Das erste hab ich in der Klinik bekommen – also das war immer für mich klar eigentlich: Kinder kriegt man im Krankenhaus – und ich hab danach geschworen: auf gar keinen Fall nochmal",

    erinnert sich die 31-jährige Lena Schwarz.

    "Ich fand die Atmosphäre nicht schön, also dass weder mit mir geredet wurde noch mit meinem Freund, ich hatte das Gefühl, die machen so ihr eigenes Ding. Bei dem zweiten hab ich mich jetzt entschlossen, ins Geburtshaus zu gehen."

    Lena Schwarz ist eine von rund 10.000 Frauen, die jedes Jahr in Deutschland ihr Kind in einem Geburtshaus zur Welt bringen. Es sind vor allem pädagogisch interessierte Frauen, oft Akademikerinnen. Sie wollen selbstbestimmt die Geburt erleben, selbst "entbinden" und nicht "entbunden werden".

    "Ich glaube, dass Frauen oft etwas ganz anderes brauchen, als das, was in den Kliniken stattfindet",

    meint die Hebamme und Leiterin des Kölner Geburtshauses Daniela Erdmann und zeigt die beiden Geburtszimmer des Hauses, gemütlich eingerichtet – eines klein und kuschelig, das andere eher weiträumig.

    "Wir kommen hier weiter in den Baderaum mit einer großen Gebärwanne"

    Jede Frau kann sich entscheiden, wie sie gebären möchte – die ganze Zeit über unterstützt von einer Hebamme, die sie schon seit Monaten aus den Geburtsvorbereitungskursen kennt. Beide sind dann ein vertrautes, eingespieltes Team. Die klinisch ausgebildete Hebamme überwacht die Herztöne, kann bei Bedarf Infusionen geben oder auch das Neugeborene reanimieren. Die Zahlen sprechen für sich: im Geburtshaus brauchen weit über 80 Prozent der Gebärenden keine Schmerzmittel – im Krankenhaus bekommt sie jede zweite Frau. Ein Dammschnitt ist nur bei knapp sechs Prozent nötig – in der Klinik wird er bei 30 Prozent der Frauen vorgenommen.

    "Wir kennen das alle aus unserer klinischen Zeit, eine Hebamme, die drei bis vier Geburten gleichzeitig betreut, kann keine hochwertige Arbeit leisten",

    erklärt Daniela Erdmann. Im Krankenhaus wird da schon mal schnell zu Wehenmitteln gegriffen, der Kaiserschnitt ist sechsmal so häufig. Eine Geburt aber braucht Zeit, und die ist oft nicht da. Viele Frauen empfinden eine Geburt in der Klinik als übergriffig, wenn Erklärungen fehlen und das Personal unter Zeitdruck steht. Geburtstraumata haben in den vergangenen Jahren um 30 Prozent zugenommen. Das alles spricht für ein Geburtshaus. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die DGGG, allerdings hält dagegen. Die Klinik sei alternativlos:

    "Es geht darum: wie beherrsche ich den Notfall. Wann muss ich einen Kaiserschnitt machen oder was mache ich bei einer akuten Blutung - das geht ganz schnell, dass Blut nicht mehr gerinnt, das ist selten, aber wenn es denn passiert ist es viel schwieriger als wenn es in einer Klinik passiert",

    sagt Prof. Klaus Friese, Präsident der DGGG. Der Notfall ist in der Tat das Problem. Die insgesamt 140 Geburtshäuser in Deutschland stehen deshalb in direktem Kontakt mit einer Klinik, oft liegen sie sogar in unmittelbarer Nachbarschaft.

    "Wir können in den Kliniken direkt in den OP fahren, wenn was ist und ich muss sagen, toi, toi, toi, - wir haben das noch nie gebraucht und das in 20 Jahren."

    Nicht nur beim Kölner Haus, sondern bei allen Geburtshäuser, die ihre Qualität nach ISO haben zertifizieren lassen, sieht es gut aus. Von den begonnen Geburten werden 12,5 Prozent in eine Klinik verlegt.

    "Weil das Kind Schwierigkeiten hat, durchs Becken zu kommen, weil Mütter sehr erschöpft sind, weil die Geburt lange dauert – keine Notfallverlegungen, sondern in Ruhe, wir fahren auch mit einem normalem Pkw."

    Eilige Verlegungen im Krankenwagen – also wirkliche Notfallverlegungen – gibt es bei einem Prozent aller Geburten aus dem Geburtshaus. Und die Säuglingssterblichkeit, die in Deutschland allgemein bei 0,7 Prozent liegt, kommt nur bei 0,16 Prozent der Geburtshaus-Kinder vor. Diese Zahlen – die das QUAG , die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe, in einer Studie ermittelte – sind erstaunlich gut. Allerdings ist zu bedenken: Geburtshäuser nehmen keine Risikoschwangeren, also Frauen, die eine Grunderkrankungen wie Bluthochdruck oder eine Stoffwechselstörung haben, Mehrlinge erwarten oder bei denen Vorsorgeuntersuchungen auf Probleme deuten. Nur wer kein Risiko hat, kann sich für oder gegen ein Geburtshaus entscheiden. Aber:

    "Es gibt nicht den richtigen Geburtsort. Es gibt immer nur individuell für die Frau den richtigen Geburtsort. Es ist wichtig, das die Frau wählen kann."

    Der Berufsverband der Deutschen Gynäkologen hält von der Wahlfreiheit allerdings wenig und sieht im Geburtshaus keine Alternative oder Ergänzung zur Klinik.

    "Dort fahre ich ohne Sicherheitsgurt, ich fahr´aber lieber mit Sicherheitsgut – auch wenn das etwas lästig ist. Verstehen Sie? Es geht mir darum, dass ich nicht voraussehen kann, in welcher Situation passiert was."

    Allerdings: Absolute Sicherheit bei der Geburt kann auch keine Klinik garantieren.