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Geburtshelfer der Umweltbewegung

In den 50er und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte sich chemischer Pflanzenschutz durch: Es wurde gespritzt ohne Rücksicht auf Verluste. Vor 50 Jahren erschien in den USA das Buch "Silent Spring", in dem die Autorin Rachel Carson auf die verheerenden Nebenwirkungen der Pestizide aufmerksam machte.

Von Georg Ehring | 03.09.2012
    Der Feind war eigentlich der Ulmensplintkäfer. Dieses Insekt hat in vielen Teilen der Welt die Ulme - einst ein beliebter Stadtbaum - nahezu ausgerottet. In den USA setzte das Ulmensterben in den 1930er-Jahren ein. 1954 begann der systematische Einsatz von Insektiziden, um die Ulmen zu retten. Doch die Folgen der Sprühaktionen per Flugzeug waren weit schlimmer als die des Ulmensterbens selbst. Ebenso drastisch wie einfühlsam schilderte die Biologin Rachel Carson in ihrem Buch "Silent Spring" diesen weit über das Ziel hinaus schießenden Einsatz als ein Beispiel von vielen für die chemische Kriegführung gegen die Natur:

    "Wenn der Frühling naht, wird er nun in den Vereinigten Staaten in immer größeren Gebieten nicht mehr von seinen Vorboten, den zurückkehrenden Vögeln, angekündigt. Wo einst am frühen Morgen der herrliche Gesang der Vögel erschallte, ist es merkwürdig still geworden. Die gefiederten Sänger sind jäh verstummt, Schönheit, Farbe und der eigene Reiz, die sie unserer Welt verleihen, sind ausgelöscht: Dies hat sich alles ganz schnell und heimtückisch ereignet, und wer in einer Gemeinde lebt, die noch nicht davon betroffen ist, hat nichts davon bemerkt."

    Ursprung des Übels waren für Carson vor allem Pflanzenschutzmittel auf Chlorbasis wie DDT. Sie erlebten in der Nachkriegszeit erst in den USA und dann weltweit einen beispiellosen Siegeszug: Ihre Herstellung war billig, sie wirkten hervorragend gegen Insekten und sie waren meist nicht unmittelbar giftig für den Menschen.

    "Diese Spritz- und Sprühmittel, Pulver und sogenannten Aerosole - feinst verteilte Schwebstoffe als Rauch oder flüssig als Nebel - werden jetzt fast allgemein für Farmen, Gärten, Wälder und Wohnungen gebraucht. Es sind Chemikalien, die ohne Unterschied oder, wie man sagt, nicht selektiv wirken. Ihre Macht ist groß: Sie töten jedes Insekt: Die 'Guten', wie die 'Schlechten', sie lassen den Gesang der Vögel verstummen und lähmen die munteren Sprünge der Fische in den Flüssen.

    Sie überziehen die Blätter mit einem tödlichen Belag und halten sich lange im Erdreich - all dies, obwohl das Ziel, das sie treffen sollen, vielleicht nur in ein wenig Unkraut oder ein paar Insekten besteht. Kann irgendjemand wirklich glauben, es wäre möglich, die Oberfläche der Erde einem solchen Sperrfeuer von Giften auszusetzen, ohne sie für alles Leben unbrauchbar zu machen?"


    Rachel Carson schockierte mit ihrem Buch die fortschrittsgläubige Öffentlichkeit durch die Erkenntnis, dass solche Kampagnen nur selten den gewünschten Erfolg haben: Die Schadinsekten werden meist nicht vollständig ausgerottet, oft passen sie sich an und sind dann noch schwerer zu bekämpfen. Und die Nebenwirkungen können verheerend sein.

    Carson schlägt auch den Bogen zum Menschen: Krebs sei häufig auf Pestizide zurückzuführen - die Natur schlägt zurück. Und sie weist auf Alternativen hin, wie sie heute weit über den ökologischen Landbau hinaus praktiziert werden: Kontrolle von Schadinsekten durch ihre natürlichen Feinde etwa.

    "Aber alle haben eines gemeinsam: Sie sind biologische Lösungen, sie beruhen auf einer genauen Kenntnis der lebenden Organismen, die man zu bekämpfen trachtet, und berücksichtigen die gesamte Lebensgemeinschaft, der diese Organismen angehören."

    Carson war Biologin, sie arbeitete unter anderem für den US Fish and Wildlife Service, doch sie war auch Schriftstellerin. Silent Spring erschien zunächst in Fortsetzungen in der Zeitschrift "New Yorker". Das Buch griff in verständlicher Sprache die Sorgen von Naturliebhabern und betroffenen Anwohnern auf und gab der entstehenden Umweltbewegung erste wissenschaftlich fundierte Argumente, die in ihren Grundzügen noch heute gelten.

    Die Reaktion der angegriffenen Chemieindustrie war heftig: Die Autorin wurde als Spinnerin bezeichnet und als romantische Tierfreundin verspottet. Doch gerade wegen seines literarischen Stils war das Werk in der breiten Öffentlichkeit der USA ein durchschlagender Erfolg - und ein Geburtshelfer der Umweltbewegung. Bürger, Städte und Gemeinden begannen sich gegen Sprühaktionen aus der Luft zu wehren. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy nahm das Buch zum Anlass, die langfristigen Folgen des Pestizideinsatzes überprüfen zu lassen.

    Die folgende Debatte führte Jahre später zum Verbot von DDT und anderer Insektizide. Carson erlebte dies nur noch in den Anfängen. Sie starb nicht einmal zwei Jahre nach Veröffentlichung des Werks im Alter von 56 Jahren an Brustkrebs. "Silent Spring" wurde in Deutschland 1963 mit dem Titel "Der stumme Frühling" herausgegeben, allerdings ohne die durchschlagende Wirkung, die das Werk in den USA hatte.

    50 Jahre nach der ersten Ausgabe erscheinen das Ausmaß und die Wahllosigkeit, mit der damals Pestizide eingesetzt wurden, wie ein kaum noch vorstellbarer Griff ins Horrorkabinett der Chemie. Die Landwirtschaft setzt allerdings weltweit weiter auf Pflanzenschutzmittel, manche davon mit verheerenden Folgen für die Natur. Auch 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist Carsons Kritik daran noch aktuell - ein Klassiker, der aber auch zeigt, dass sich der Umgang mit der Natur in mancherlei Hinsicht doch zum Positiven gewandelt hat.

    Rachel Carson: "Der stumme Frühling"
    Verlag C. H.Beck, Beck’sche Reihe, 347 Seiten, 12,90 Euro
    ISBN: 978-3-406-54760-7

    Rachel Carson: "Silent Spring". Englische Ausgabe
    Houghten Mifflin Harcourt, 378 Seiten, 27,99 Euro
    ISBN: 978-0-618-24906-0