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Gedanken über Amerikas Rolle in der Welt

Barack Obama, der Senator von Illinois, ist wohl das Interessanteste, was Amerika politisch derzeit zu bieten hat. Er ist der erste Farbige, dem ernsthaft Chancen eingeräumt werden, das Weiße Haus zu erobern. In seinem Buch "Hoffnung wagen" erklärt Barack Obama, welche Veränderungen er sich wünscht und politisch anstrebt.

Von Klaus-Jürgen Haller |
    " Es gibt kein liberales und kein konservatives Amerika, es sind die Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall) Es gibt kein schwarzes und weißes Amerika, kein Latino- und kein asiatisches Amerika; es sind die Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall)"

    Statt Präsident Bush und die Republikaner frontal zu attackieren, beschwor der bis dahin weithin unbekannte Staatssenator aus Illinois die Einheit Amerikas. Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes redete er von der Verheißung der Hoffnung, von der Hoffnung, die einst Sklaven Freiheitslieder singen und Auswanderer zu fernen Gestaden aufbrechen ließ.

    " Die Hoffnung eines mageren Jungs mit einem komischen Namen, dass Amerika auch für ihn einen Platz hat. (langer Beifall) Hoffnung angesichts der Schwierigkeiten, angesichts der Ungewissheit. Die Verwegenheit der Hoffnung!"

    "Audicity of Hope", so nannte Obama denn auch das vorliegende Buch über die Wiederbelebung des amerikanischen Traums. Das ist der Wagemut, ja, die Verwegenheit der Hoffnung, die sich im deutschen Titel "Hoffnung wagen" kaum wiederfindet. Dieser "Wagemut der Hoffnung" geht zurück auf eine Predigt in einer Kirche im Armenviertel Chicagos, die den Sozialarbeiter Obama veranlasste, sich taufen zu lassen. Nachzulesen in "Dreams from my Father", "Träume von meinem Vater", Obamas erstem Buch, einem fulminanten Versuch der Selbstvergewisserung: Wer bin ich denn eigentlich?

    Seinen Vater, einen Kenianer, der in Amerika studierte, hat Obama nie wirklich kennengelernt; er verließ seine Frau, eine Weiße aus Kansas, als der Sohn gerade zwei Jahre alt war. "Hoffnung wagen" ist kein Strategiepapier zur Eroberung des Weißen Hauses; vielmehr sinniert der Autor, oft in ironischer Brechung, über Verfassung, gesellschaftliche Chancen, Rasse, Familie, den Glauben und über Amerikas Rolle in der Welt.

    Eine Nation, die ihre Energiequellen nicht kontrollieren kann, hat ihre Zukunft nicht im Griff. Ein Großteil der 800 Millionen Dollar, die wir jeden Tag für importiertes Öl ausgeben, geht an die unbeständigsten Regierungen: Saudi Arabien, Nigeria, Venezuela und - wenigstens indirekt - an den Iran. Praktisch jeder Wissenschaftler außerhalb des Weißen Hauses glaubt, dass der Klimawechsel real und ernst ist und durch den fortgesetzten Ausstoß von Kohlendioxyd beschleunigt wird.

    Die amerikanische Demokratie befindet sich in einer Sackgasse, lautet Obamas These. Er kritisiert den permanenten Wahlkampf, die "Industrie der Beschimpfung", die Kluft zwischen der Größe der Herausforderungen und der Kleinheit der Politik; ständig abgelenkt durch Triviales, den wichtigen Entscheidungen ausweichend, unfähig, Kompromisse zu finden, als Voraussetzung, die schweren Brocken angehen zu können. "Niemand darf sich davor drücken, eine gemeinsame Basis zu finden", das könnte Obamas Wahlspruch sein. Das ist ein Rüffel für die Kongress-Republikaner, die die Demokraten über Jahre auszuschalten versuchten; aber auch eine deutliche Warnung an die Parteifreunde, sich auf Vergleichbares gar nicht erst einzulassen. Obama glaubt, Amerika verändern zu können; unerschrocken zieht er gegen ideologische Rechthaber und politische Glaubenskrieger zu Felde - auch gegen die in den eigenen Reihen. Natürlich attackiert er den Mann, dessen Nachfolger er werden möchte. Bushs Steuerersenkungen - vornehmlich zugunsten der Reichen - nennt er fiskalisch unverantwortlich und moralisch bedenklich; die Gesundheitsvorsorge für alle ist nicht vorhanden, die Energiepolitik inakzeptabel. Im Gegensatz zu den meisten Mitbewerbern aus den eigenen Reihen schwante ihm von Anfang an, dass sich der Angriff auf den Irak als kostspieliger Irrtum herausstellen werde.

    Deshalb sind demokratische Zuhörer oft erstaunt, wenn ich sage, dass ich George Bush nicht für einen schlechten Menschen halte, dass ich davon ausgehe, dass er und die Angehörigen seiner Administration das versuchen, was sie für das Beste für das Land halten. Egal für wie fehlgeleitet ich ihre Politik halte und wie sehr ich darauf bestehe, dass sie für das Ergebnis dieser Politik zur Rechenschaft gezogen werden, ich halte es immer noch für möglich, mit diesen Männern und Frauen zu reden, ihre Motive zu verstehen und in ihnen Werte zu finden, die ich teile.

    Deutsche Leser werden verwundert feststellen, dass der Demokrat Obama auch dem Republikaner Ronald Reagan in mehreren Punkten Recht gibt. Nicht nur, was die Berliner Mauer betrifft. Die Rolle, die Obama dem Religiösen in der Politik beimisst, dürfte überraschen. Natürlich weiß Senator Obama, dass er auf Samtpfoten nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden kann. "Hoffnung wagen" ist aber kein Wahlkampftraktat, sondern ein Versuch der Selbstvergewisserung, diesmal in politischer Hinsicht. Barack Obama begann als Sozialarbeiter. Den Jurastudenten machte die Elite-Universität Harvard zum Herausgeber ihrer renommierten juristischen Fachzeitschrift; an der Universität von Chicago lehrte Obama Verfassungsrecht. Schließlich wurde er in den Senat des Bundesstaates Illinois gewählt; nach acht Jahren schaffte er den Sprung in den Senat in Washington. Er hat noch nie einer Regierung angehört; trotzdem traut er sich zu, eine Supermacht zu führen. Und große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit halten das nicht für unangemessen. Die persönliche Integrität des Kandidaten war immer schon wichtiger als die Erfahrung und das politische Programm. Senator Obama will Präsident der Vereinigten Staaten werden, weil er das Land verändern, weil er den zerbrochenen politischen Diskurs in dieser alten Demokratie wieder in Gang bringen will. Sein Buch mag ihm selbst als eine Art Leitfaden dazu dienen. Der deutsche Leser wird sich am Ende fragen, wie es kommt, dass Wähler in Amerika - nicht die Parteien - immer wieder Kandidaten nominieren, die auf der in parlamentarischen Demokratien unvermeidlichen Ochsentour durch die Parteihierarchien längst auf der Strecke geblieben wären.

    Barack Obama: Hoffung wagen. Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream
    Aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und Ursel Schäfer
    Riemann. München 2007
    480 Seiten. 19,60 Euro.