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Gedankenexperiment auf dem Labortisch

Physik. – Der Quantenphysik eilt der Ruf voraus, so gut wie unverständlich zu sein, und das vielleicht selbst für Physiker. Dennoch gelingt es Wissenschaftlern immer öfter, die das Verhalten der kleinsten bisher bekannten Bausteine der Materie in durchaus sichtbaren Experimenten zu überprüfen. In der aktuellen Ausgabe des Fachblattes "Nature" hat jetzt einer der prägenden Köpfe des Forschungsgebietes der Quantenoptik seine neuesten Ergebnisse publiziert.

Von Jan Lublinski |
    Alain Aspect vom Institut d’Optique in Orsay bei Paris ist ein Wissenschaftler, der in besonderer Weise der Natur der kleinsten Teilchen auf den Grund geht. Der 60jährige Schnauzbartträger ist bekannt dafür, dass er ein Händchen hat für anspruchsvolle Experimente. Wie nur wenige andere kann er abstrakte Ideen und Formeln, die sich theoretischen Physiker zu Fragen der Quantentheorie ausgedacht haben, in sehr konkrete Versuche auf dem Labortisch verwandeln. In seiner neuesten "Nature"-Publikation beschreibt er ein Experiment, mit dem er eine 50 Jahre alte Theorie im Detail prüft: Die sogenannte "Anderson-Lokalisation".

    "”Die theoretische Idee stammt hier von Phil Anderson, der bestimmte Isolatoren genauer verstehen wollte: Materialien, die den elektrischen Strom nicht durchlassen, obwohl sich sehr viele Elektronen in ihrem Innern befinden. Nach seinem Modell gibt es in diesen Materialien bestimmte Quantenphänomene, die den Ladungstransport aufhalten und damit verhindern dass die Materialien den Strom leiten.""

    Alain Aspect und seine Kollegen haben diesen Zusammenhang nun erstmals anhand von ultrakalten Atomen untersucht. Auch eine italienische Forschergruppe hat dazu jetzt in "Nature" eine Arbeit publiziert. Und Aspect geht davon aus, dass auf diesem neu eröffneten Forschungsfeld noch viele weitere Veröffentlichungen folgen werden. Aspect:

    "”Denn unser Experiment ist eine Art Pilotexperiment. Wir haben jetzt ein ganzes Programm gestartet, mit dem wir diese Phänomene genauer untersuchen werden. Und wir denken, dass wir die Eigenschaften von leitenden und isolierenden Materialien in Zukunft noch viel genauer verstehen werden.""

    Es ist nicht das erste Mal, dass Aspect durch die Prüfung einer alten Theorie große Fortschritte erzielt. Vor zwei Jahren hatte er zwei sehr unterschiedliche Sorten von Teilchen in einem Experiment erstmals unmittelbar vergleichen können: Die so genannten Fermionen und die Bosonen, die sich durch ihre Eigendrehung, den Spin unterscheiden. Die theoretischen Grundlagen hierfür hatte Wolfgang Pauli 1924 gelegt. Besonders bekannt geworden ist Aspect aber Anfang der 80er Jahre durch Experimente zu den Grundlagen der Quantentheorie. Experimente, die damals die meisten seiner Kollegen für unmöglich hielten und deren Ergebnisse auch Philosophen aufhorchen ließen.

    Aspect prüfte das so genannte Einstein-Rosen-Podolsky-Paradoxon. – Ursprünglich ein reines Gedankenexperiment, mit dem Albert Einstein seinem Kollegen Nils Bohr zeigen wollte, wie verrückt die Quantentheorie ist. Einstein dachte sich ein Experiment aus, bei dem Teilchen quasi mit Überlichtgeschwindigkeit kommunizieren können. "Spukhafte Fernwirkungen" nannte er diesen Effekt. Dass jemand dies eines Tages im Labor realisieren würde, hätte er sich nicht träumen lassen. Aspect:

    "”Ich überlegte mir damals, dass es mit der neuen Lasertechnologie möglich werden könnte, Experimente zu machen, die sehr nah an das heran kamen, was einst Einstein und Bohr, und später John Bell diskutierten. Insbesondere ist uns dann 1982 ein Experiment gelungen, bei dem wir erstmals einen Effekt zeigen könnten, den wir die Nichtlokalität der Quantentheorie nennen.""

    Aspect hatte in seinem Experiment Lichtteilchen dazu gebracht, ohne Zeitverzögerung miteinander zu kommunizieren, obwohl sie über mehrere Meter entfernt von einander waren. Die "spukhaften Fernwirkungen" gab es also wirklich. Ein faszinierender Effekt: Allerdings lässt er sich nicht für die schnelle Datenübertragung verwenden. Aspect ist aber davon überzeugt, dass seine Art der Forschung an den Grundlagen der Quantentheorie langfristig auf jeden Fall auch technische Innovationen anstoßen wird. Aspect:

    "Wenn man diesen Dingen wirklich auf den Grund geht, desto eher hat man auch Ideen für völlig neuartige Systeme. Man darf ja nicht vergessen, dass die Physiker, die genau verstehen wollten, was sich in Halbleitermaterialien abspielt, am Ende die Transistoren erfunden haben."