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Gedenken an Opfer der Kolonialzeit
Knochen statt Entschädigung

Zu "wissenschaftlichen Zwecken" wurden Gebeine von Herero und Nama während des Kolonialkriegsaus Afrika nach Deutschland gebracht. Gestern gab die Bundesrepublik unter anderem 27 Schädel an Namibia zurück. Was sagt die evangelische Kirche zur Rolle der Missionare?

Von Thomas Klatt |
    27.08.2018, Berlin: Eine Delegation von Ovaherero und Nama aus Namibia, Esther Utjiua Muinjangue (l), Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation in Namibia, Ida Hoffmann (2.v.l), Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Nama Genocide Technical Committee in Namibia und weiteren Delegationsmitgliedern stehen nach einem Treffen und einer Pressekonferenz mit Justizsenator Behrendt (nicht im Bild) vor der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung.
    Esther Utjiua Muinjangue (l.) von der Ovaherero Genocide Foundation geht die Rückgabe der Gebeine nicht weit genug. (dpa / Kay Nietfeld)
    Stummer Protest vor der Französichen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt. "Respekt, Wiedergutmachung, Entschuldigung" steht auf Schildern geschrieben. Herero-Männer tragen stolz die von den einstigen Kolonialherren adaptierten Uniformen. Herero- und Nama-Frauen kleiden sich in lange Gewänder im Stile der Missionarsfrauen wie vor 100 Jahren.
    Drinnen haben sich Vertreter der deutschen und namibischen Regierung versammelt, um nach einem evangelischen Gedenkgottesdienst 27 Schädel und andere Knochen, aber auch eine präparierte Haut, zurückzugeben und entgegen zu nehmen. Die meisten Überreste stammen von ehemaligen Hereo und Nama. Zu "wissenschaftlichen Zwecken" wurden die Leichenteile vor allem während des Kolonialkriegs von 1904 bis 1908 nach Deutschland gebracht. Die Nachkommen und Verteter der Opfer sind aber mit dem Gottesdienst und der anschließenden Übergabe-Zeremonie nicht zufrieden.
    "Aber wir sind auch Menschen"
    Esther Utjiua Muinjangue, Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation sagt: "Die Haltung der deutschen Bundesregierung gegenüber den Herero und Nama ist schockierend. 1951 hat Kanzler Konrad Adenauer die Schuld am Holocaust anerkannt. Willy Brandt kniete sich 1970 in Warschau als Geste der Entschuldigung an die Polen nieder. Aber da ging es um Weiße. Herero und Nama sind schwarz. Sie sind Afrikaner. Aber wir sind auch Menschen. Eine Entschuldigung und Entschädigung ist auch für uns möglich."
    Bis heute habe sich die deutsche Regierung nicht bei den Herero und Nama für das Leid angemessen entschuldigt, das ihnen während der Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika angetan wurde. Eine Entschuldigung der einstigen SPD-Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul lassen sie nicht gelten. Besonders bitter sei, dass die evangelische Kirche dabei mit der Bundesregierung auch noch kooperiere.

    Muinjangue kritisiert: "Es sind dieselben Kirchen, die damals nach Deutsch-Südwestafrika gingen, Mission betrieben und das Christentum brachten. Mit denselben Kirchen haben wir es heute zu tun. Sie sind beteiligt an der Rückgabe der menschlichen Überreste. Das ist eine weitere Taktik der deutschen Regierung, die moralische und historische Verantwortung an die Kirche abzuschieben."
    Hochrangige Gäste aus Namibia nehmen in Berlin im Französischen Dom an einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des kolonialen Völkermordes teil.
    Hochrangige Gäste aus Namibia nehmen in Berlin im Französischen Dom an einem Gedenkgottesdienst für die Opfer des kolonialen Völkermordes teil. (picture alliance / AA)
    Doch die für den Gedenkgottesdienst verantwortliche Bischöfin Petra Bosse-Huber von der Evangelischen Kirche in Deutschland widerspricht der Kritik:
    "Das sind zwei völlig unterschiedliche Schuhe. Das eine ist die Rückgabe der Gebeine, die aus meiner Sicht absolut überfällig gewesen ist. Das hat erst mal mit den Reparationsforderungen überhaupt nichts zu tun. Das ist ein anderer Akt."
    Kein Wort übers Geld
    Das fortwirkende Unrecht müsse überwunden werden, sagte die Bischöfin im Gottesdienst. Und ihr namibischer Amtsbruder Ernst Gamxamub hob hervor:
    "Am heutigen Tag begleiten wir die Übergabe sterblicher Überreste von Opfern des Genozids und der Kolonialherrschaft an die rechtmäßigen Erben, die Menschen Namibias. Wir danken dem allmächtigen Gott für die Möglichkeit dies in angemessener und würdiger Weise zu tun."
    Deutliche Worte zum Thema Entschädigungszahlungen gab es hier nicht. Bereits 2011 und 2014 wurden sterbliche Überreste an die namibische Regierung zurückgegeben. Noch rund 100 bis 150 Skelette oder eben Skelettteile aus der ehemaligen Kolonie Südwestafrika* lagern noch in deutschen Museen und Archiven, schätzen Experten. Wie sie dorthin kamen, beschreibt der Berliner Afrikawissenschaftler Holger Stoecker so:
    "Dass es fast zum guten Ton gehörte von den Reisen, von den Siedlern, Missionaren oder Schutztruppenoffizieren bei sich bietender Gelegenheit menschliche Überreste an sich zu nehmen und an die entsprechenden Institutionen in Berlin oder Deutschland weiterzugeben oder manchmal auch in Privatbesitz zu behalten."
    Besonders während des Kolonialkrieges von 1904 bis 1908 in Deutsch-Südwestafrika wurden die deutschen Sammlungen geradezu überhäuft. Herero und Nama wehrten sich gegen den Landraub durch die deutschen Siedler. Aber auch gegen sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen durch die Weißen. Die Kolonialtruppen aber gaben kein Pardon.
    "Dass die Kriegführung der deutschen Schutztruppe von 1904 bis 1908 im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika als Vernichtungskrieg geführt wurde. Dieser Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama, die sich gegen die Fremdherrschaft des wilhelminischen Kaiserreiches erhoben haben. Und diese Kriegsführung endete in einem Völkermord", sagt der Historiker und Afrika-Experte Joachim Zeller. Schätzungseise 50 bis 80 Prozent der damaligen Herero und Nama, bis zu 90.000 Menschen, fielen dem Kolonialkrieg zum Opfer.
    Unter den Augen der Kirche
    Vor allem die rheinische Mission aus Wuppertal war in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, aktiv.
    Joachim Zeller: "Es gibt einzelne Missionare, die sind genau so deutschnational eingestellt wie die normalen Farmer vor Ort, die dem Gedanken des Herrenmenschentums anhingen. Und dann gab es auch die anderen, die sich eingesetzt haben, versucht haben zu vermitteln. Der bekannteste Missionar bis in die 60er- und 70er Jahre hinein ist Heinrich Vedder. Der schreibt ja immerhin dann erschütternde Berichte über die Situation der Herero im Konzentrationslager Swakopmund. Auch sonst wissen wir über die Situation der kriegsgefangenen Herero und Nama vor allem aus den Akten, die die Missionare hinterlassen haben. Die Regierungsakten geben da mitunter sehr viel weniger Auskunft."
    Seit drei Jahren verhandeln nun Deutschland und Namibia um die Rückgabe aller sterblichen Überreste. Und um Ausgleichszahlungen. Die Hereo- und Nama-Vertreter selbst sitzen nicht am Verhandlungstisch. Dabei sind gerade sie von den Landenteignungen vor mehr als 100 Jahren betroffen gewesen. Viele Herero und Nama leben seitdem in Armut.

    Andere ehemalige Kolonialmächte wie Großbritannien und die Niederlande haben millionenschwere Reparationen gezahlt. Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights, unterstützt die Herero und Nama in ihren Forderungen an Deutschland.
    Hereros 1907 in dem Album "Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegs- und Friedensbilder"
    Hereros 1907 in dem Album "Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegs- und Friedensbilder", Original-Aufnahmen von Friedrich Lange, Windhuk / Verlag Franz Rohloff (picture alliance/dpa/Foto: akg-images)
    Er sagt: "Es ist mir überhaupt nicht verständlich, warum nicht der erste und der zweite Schritt, die so überfälig sind, geschaffen werden, nämlich eine offizielle Entschuldigung, so wie man es immerhin auch bei Armenien geschafft hat, eine Anerkennung des Völkermordes und dann eine angemessene Beteiligung der Herero und Nama an den Verhandlungen und dann schaut man, was da herauskommt."
    Die Protestierenden fragen sich nun, wem der Gottesdienst dient. Ist er eine Gewissensberuhigung für die deutsche Regierung oder ein Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit für Herero und Nama?
    *In der ursprünglichen Version des Beitrags war von "den ehemaligen afrikanischen Kolonien" die Rede. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.