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Gedenken im europäischen Kontext

Unterschiedlich erfahrenes Leid, auch in den Kontext nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gesetzt, will das Dokumentationszentrum aufzeigen. 2015 soll die Ausstellung eröffnet werden.

Von Dorothea Jung | 11.06.2013
    "Dann war es endlich Januar, da hat mein Partner schon immer abgehört den englischen Rundfunk. Da wussten wir eben ganz konkret, wie weit die Russen sind. Und dann konnten wir erst am ersten Februar unser Dorf verlassen mit Pferd und Wagen. Da haben dann die Russen mich geholt und da wurde ich das erste Mal vergewaltigt. Da habe ich gedacht, ich will nicht mehr weiterleben."

    Eva Maria Stege ist 1945, beim Einmarsch der roten Armee ins östliche Brandenburg, 16 Jahre alt. Sie wird von den Sowjets verschleppt in ein sibirisches Arbeitslager und wird erst 1950 in den Westen entlassen.

    Carola Lommer: "Es waren Plakate "Deutsche müssen raus". Das waren dann Plakate, die überall gehangen haben. Wir konnten uns so nicht vorstellen, das Schlesien auf einmal nicht mehr deutsch sein soll. Wieso?"

    Carola Lommer wird 1946 als Teenager aus dem schlesischen Breslau vertrieben. Ihre Familie muss ihren gesamten Besitz zurücklassen und sich aus dem Nichts in Westdeutschland ein neues Leben aufbauen.

    Daniela Stankiewicz: "Haltung der Sowjets war klar: Hier ist ab jetzt russisches, sowjetisches Territorium, litauisch, sowjetisch. Das war so ein Spiel von ihrer Seite. Denn formal war das ja Litauen. Und deshalb säuberten sie die Gegend von den Polen. Die wollten also einfach ein "ethnisch sauberes" Gebiet."

    Daniela Stankiewizc gehört zur polnischen Minderheit in Litauen. Die junge Frau wird 1946 von den Sowjets nach Polen vertrieben. Ihr Haus muss sie aufgeben.

    Drei Opfer von Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg; drei Geschichten, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden können. Das neue Dokumentationszentrum der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" wird versuchen, historische Fakten und persönliche Erlebnisse aus möglichste vielen Perspektiven zu beleuchten, erklärt der Zeithistoriker Michael Schwartz vom wissenschaftlichen Beirat der Stiftung. Die Ausstellungskonzeption wird die Geschichte von Flucht und Vertreibung deshalb ganz bewusst in einen europäischen Zusammenhang stellen.

    "Das hat selbstverständlich zu teilweise sehr vehementen Diskussionen, insbesondere im deutsch-polnischen Kontext, geführt, die natürlich auch auf die unterschiedlichen Geschichtsinterpretationen und Legitimationen des jeweils eigenen Handelns oder Schicksals Bezug genommen haben. Das war eine schwierige, aber auch notwendige Debatte, die jetzt auch zu einer deutlichen Beruhigung und Annäherung geführt hat."

    Heute arbeitet im wissenschaftlichen Beraterkreis ein internationales Historikerteam konstruktiv an der Konzeption der Ausstellung. Sicher ist, dass nicht nur die Vertreibung von Deutschen eine Rolle spielen wird. Der künftige Besucher des Zentrums wird auch mit den Geschichten polnischer, ungarischer, jugoslawischer oder armenischer Vertreibungsopfer konfrontiert werden. Dabei sollen die Nachkriegsvertreibungen immer im Zusammenhang stehen mit einer Reflexion der nationalsozialistischen Expansions-, Vernichtungs- und Lebensraumpolitik. Sonst ist nach Auffassung von Michael Schwartz das Schicksal der deutschen Vertriebenen nicht umfassend zu verstehen. "Das macht den Betroffenen aber Angst", sagt der Historiker.

    "Wir haben sozusagen sicherlich solche Ängste in Kreisen der Vertriebenen, dass sie möglicherweise durch eine Berücksichtigung von Umfeldentwicklungen in ihrer Leiderfahrung, die auch thematisiert werden soll, dass sie dort wieder etwas an den Rand gedrückt würden. Auf der anderen Seite haben wir auch gerade in der polnischen Öffentlichkeit sehr viele Befürchtungen gehabt, dass die Betonung des Vertriebenenschicksals der Deutschen zu einer Abwertung polnischer oder auch jüdischer Opfererfahrungen führen könnte. Und auch diese Ängste sind natürlich bis zu einem gewissen Grade berechtigt."

    Nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch noch nach der politischen Wende 1989, prägten widerstreitende nationale Erinnerungsnarrative, wie die Sozialwissenschaftler sagen, den Blick auf die Geschichte von Flucht und Vertreibung. Während in den 50er- und frühen 60er-Jahren in Westdeutschland für die Vertriebenen Tage der Heimat begangen wurde, wurden sie in der DDR Umsiedler genannt. Ihre leidvollen Erfahrungen durfte es im Zeichen sogenannter deutsch-sowjetischer Freundschaft nicht geben.

    Das Dokumentationszentrum will in Ausstellungen, Vortragsreihen und Diskussionsforen all diese unterschiedlichen Erfahrungshorizonte und Konfliktlinien untersuchen, in Beziehung setzen und darzustellen versuchen.

    Die Ausstellungseröffnung ist für den Sommer 2015 geplant.