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Gedenkfeier in Charleston
Der Präsident legt alle Zurückhaltung ab

Die Trauerrede von US-Präsident Barack Obama nach den Todesschüssen auf neun Afroamerikaner war von Religion und Politik geprägt: Der US-Präsident rief sein Land zum Nachdenken über die Diskriminierung von Schwarzen auf. Dabei sprach er klar das Thema Rassismus - und ein heißes Eisen an.

Von Rolf Büllmann, ARD-Washington | 27.06.2015
    US-Präsident bei der Gedenkfeier für die Opfer von Charleston.
    US-Präsident bei der Gedenkfeier für die Opfer von Charleston. (picture alliance/dpa/Richard Ellis)
    Es war über weite Strecken mehr eine Predigt als eine Rede. Präsident Barack Obama sprach bei der Trauerfeier für den ermordeten Pastor Clementa Pinckney viel über göttliche Gnade - Gnade, die man sich nicht verdiene, sondern die einem gewährt werde. Amazing Grace, wie er sagte - und sang.
    Doch Obamas Rede war nicht nur von Religion geprägt, sondern natürlich auch von Politik. So sehr, dass sich die Kommentatoren einig waren, dass sie prägend sein wird für die Art, wie Obamas Präsidentschaft zukünftig gesehen werden wird. Denn der Mann, der immer für sich in Anspruch genommen hatte, Präsident aller Amerikaner zu sein, sprach bei der Trauerfeier für die Opfer eines offensichtlich rassistisch motivierten Anschlages klar und unmissverständlich die Probleme an, mit denen vor allem das schwarze Amerika zu kämpfen hat.
    "Zu lange waren wir blind für den Schmerz, den die Konföderiertenflagge bei vielen unserer Bürger verursacht hat", sagte er. "Wir waren blind dafür, dass vergangene Ungerechtigkeiten noch immer die Gegenwart prägen. Vielleicht sehen wir das jetzt, vielleicht bringt uns diese Tragödie dazu, unangenehme Fragen zu stellen.
    Barack Obama stellte Fragen, zum Beispiel darüber, "wie wir zulassen können, dass so viele unserer Kinder in Armut leben, oder verfallene Schulen besuchen müssen, oder ohne Aussicht auf Erfolg aufwachsen müssen." Und er forderte: "Vielleicht erweicht es unsere Herzen für die Zehntausenden verlorenen jungen Männer, die in unserem Rechtssystem gefangen sind, und lässt uns sicherstellen, dass das System nicht ungerecht ist."
    Obama legt alle Zurückhaltung ab
    Obama ging noch weiter und sprach klar Rassismus an: "Vielleicht erkennen wir jetzt, dass uns rassistische Vorurteile beeinflussen, sogar ohne dass wir es merken: dieser subtile Impuls, der uns dazu bringt, Johnny zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, und nicht Jamal."
    Van Jones, selber Afroamerikaner, früher Mitarbeiter im Weißen Haus und jetzt als politischer Kommentator beim Sender CNN, bekannte angesichts derartig klarer Worte, dass er gleichzeitig stolz war und Angst hatte. "Ich hatte Angst, er geht zu weit - ich dachte mir: Ich verstehe, was er da tut, und warum, aber wird ihm irgendjemand vorwerfen, bei einer Beerdigung die Rassenprobleme angesprochen zu haben?"
    Doch Obama hatte an diesem Nachmittag alle Zurückhaltung abgelegt. Das mag mit dem bewegenden Anlass, der Trauerfeier für Clementa Pinckney, zu tun gehabt haben, das hatte aber ganz sicher damit zu tun, dass Obama sich am Ende seiner Amtszeit befindet. Er hat nichts mehr zu beweisen, und muss nicht mehr wiedergewählt werden. Er kann es sich erlauben, zu sagen: "Niemand sollte glauben, dass sich die Rassenbeziehungen über Nacht ändern. Aber wir würden alles betrügen, wofür Reverend Pinckney einstand, wenn wir einfach wieder zu bequemem Schweigen zurückkehren würden."
    Und so schreckte er auch nicht vor dem heißen Eisen der Waffengesezte zurück: zu lange sei das Land blind gewesen für das einzigartige Chaos, das Waffengewalt der Nation zufüge. Doch bei aller Kritik und bei allen aufrüttelnden Mahnungen hatte der US-Präsident auch eine Botschaft der Hoffnung: der mutmaßliche Mörder von Charleston sei am Ende nämlich gescheitert - es sei ihm nicht gelungen, das Land zu spalten.