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Gedichte aus dem wilden Lande

Auf dem Gebiet der Kultur gibt es eine Vielzahl von Initiativen, in denen Grenzen keine Rolle mehr spielen. Zu diesen Projekten zählt Literaturfestival "European Borderlands": Künstler, Schriftsteller und Übersetzer sollen entlang der neuen EU-Ostgrenze miteinander ins Gespräch kommen und vor Ort Nachfolgetreffen anregen. So geschehen jetzt in Bukarest und im nordrumänischen Iasi, wo sich Autoren aus sieben Ländern zu Lesungen trafen und anschließend nach Chisinau fuhren, in die Hauptstadt der Republik Moldau.

Von Katrin Hillgruber |
    Auf die Lindenalleen von Iaşi, Rumäniens ältester Universitätsstadt ganz im Nordosten, folgt nach dem Grenzübertritt eine stille Landschaft mit verlassenen Häusern und rostigen Landmaschinen. Dann taucht am Horizont das weiße Chisinau auf, die Hauptstadt der Republik Moldau. Zwischen löwenverzierten orthodoxen Kirchen und alabasterbleichen Palästen im Sowjetstil fand hier ein Novum statt: 16 Autoren aus sieben Ländern erörterten unter reger Beteiligung des Publikums die Frage, welche kulturellen Auswirkungen die neue EU-Ostgrenze hat. Durch den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union verläuft die Trennlinie am Pruth genau zwischen den Bruderländern Rumänien und Moldau. Moldauer, die ins Nachbarland reisen wollen, brauchen jetzt ein Visum, was häufig mit Schikanen verbunden ist.

    Wortmächtig wie stets brachte Rumäniens Star-Autor Mircea Dinescu die Situation auf den Punkt: Es sei traurig, dass Rumänen und Moldauer erst durch eine deutsche Initiative zusammenkämen. Mircea Dinescu:

    "Wir kamen hier in Chisinau an und dachten, wir könnten uns mit unseren moldauischen Brüdern in unserer gemeinsamen Muttersprache unterhalten. Aber hier hört man überall Russisch, im Radio, an der Hotelrezeption, auf den Straßen. Es wirkt wie ein fremder Kontinent, doch das ist unsere politische und ökonomische Realität. Es ist schwierig, eine Lösung zu finden, vor allem, weil die Politiker ein Interesse daran haben, den Status Quo zu erhalten. Sie wollen nicht, dass das Land zu einer kleinen rumänischen Provinz wird."

    Am 31. August wird in der postkommunistischen Republik Moldau der Feiertag "Unsere Sprache" begangen. Erst seit 1989 dürfen die viereinhalb Millionen Einwohner ihre rumänische Muttersprache wieder in lateinischen statt in kyrillischen Buchstaben schreiben. Die Autorin und Dramaturgin Nicoleta Esinencu, Jahrgang 1978, bezeichnet sich ironisch als "Enkelin Lenins". Nicoleta Esinencu:

    "Die Moldawier wissen nicht recht, welcher Nation sie angehören, die Geschichte verlief recht bizarr. Deshalb handelt es sich wirklich um eine Identitätskrise. Die Leute wissen nicht, ob sie Moldauer, Rumänen, Russen oder sonst was sind. Sie stellen sich diese Frage oft, vielleicht zu oft."

    "Sommer in Bessarabien" heißt ein zutiefst resignatives, dabei surrealistisch angehauchtes Gedicht von Nicoleta Esinencus Landsmann Vasile Garneţ. Im ärmsten Land Europas mit einem durchschnittlichen Monatslohn von 90 Euro vermeint Garneţ die Luft eines aufgegebenen Gefängnisses zu atmen. Bessarabien, Moldawien, Republik Moldau: Der schmale Landstrich zwischen Rumänien und der Ukraine gibt nicht nur bei seiner Benennung Rätsel auf. Er ist auch seit Jahrhunderten ein Zankapfel zwischen Rumänien und Russland. Zuletzt wurden im abtrünnigen östlichen Landesteil Transnistrien die Kommunalwahlen behindert.

    Das Festival "European Borderlands" machte den Gastgebern spürbar Mut. Denn es wird permanent Druck auf die Kultur ausgeübt, wie Vitalie Ciobanu erklärt, Chefredakteur der wichtigsten Literaturzeitschrift "Contrafort":

    "Die so genannte elitäre Kultur hier in Moldau identifiziert sich mit der rumänischen Kultur und Sprache, "Contrafort" natürlich auch. Aber die Regierung und die Behörden wollen uns ein moldauisches Weltbild aufzwingen. So bestehen etwa weiterhin die sowjetischen Theorien einer eigenen moldauischen Kultur und Sprache fort, die sich angeblich von der rumänischen unterscheidet. Und deswegen werden wir unter anderem auch diskreditiert. Ich möchte noch ein paar Worte zur Situation der Bibliotheken ergänzen: Es ist sehr schwierig, neue Bücher anzuschaffen, und vielleicht wäre es möglich, mit internationaler Hilfe den Bücherbestand zu bereichern. "

    1990, während der Auflösung der Moldauischen Sowjetrepublik, schien eine Wiedervereinigung mit Rumänien noch möglich. Euphorisch war von einer Brücke der Blumen die Rede. Kann ein internationales Schriftstellertreffen dazu beitragen, die ins Abseits geratenen Moldauer nach Europa zurückholen? Mircea Dinescu bleibt skeptisch:

    "Man sollte sich nicht zu viele Illusionen machen. Man spielt ein wenig Europäische Union, und nach der Brücke der Blumen gibt es nun eine Brücke aus Papier."