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Gedichte ent-revolutionieren?

Seit längerem schon arbeitet Dirk von Petersdorff als Lyriker, Essayist und Literaturwissenschaftler daran, das Gedicht zu ent-revolutionieren. Das Revolutionsmodell der Avantgarden habe ausgedient, hat er in seinem Essayband "Verlorene Kämpfe" von 2001 festgestellt; und genau obsolet sei die nun gut 200 Jahre alte deutsche Kunstreligion mit ihrer Neigung zum Weihevollen und Hermetischen. Statt eines Revolutionsmodells der Dichtung schlug Petersdorff damals ein Renaissancemodell vor. "Hinter und vor uns", schrieb er, "liegen die weiten Kammern, die Arsenale mit den glitzernden Formen der Kunst." Jeder könne doch prüfen, was daraus für seine Zwecke verwendbar sei. "Anything goes", wenn es nur gut gemacht ist und wenn es die Fülle des Lebens und der Literatur zum Ausdruck erweckt, so ließ sich Petersdorffs Programm zusammenfassen. Und er flankierte sein Programm mit Gedichten, mal mit kurzen, vom Barock inspirierten Emblemen, mal mit langen, erzählenden Prosagedichten, die ein beträchtliches Maß an Kunstverstand und guter Laune zu erkennen gaben.

Von Christoph Bartmann | 24.01.2005
    Wie gesagt, Petersdorff will die Lyrik nicht revolutionieren, und deshalb kann man von einem neuen Gedichtband nicht erwarten, dass er mit vollkommen neuen "Positionen" aufwarte. Die einzige Position, die Petersdorff bisher vertreten hat, war ja die, dass erst jenseits der modernistischen Labor- und Verfahrens-Lyrik die Lyrik von heute anfange, und dass diese sich einen zwangloseren Umfang mit literarischen Vorbildern und theoretischen Imperativen leisten würde. Jetzt gibt es einen neuen Gedichtband von Dirk von Petersdorff, er heißt "Die Teufel in Arezzo", und er enthält neben dem titelgebenden Zyklus "Aus dem Leben des Franziskus" eine Reihe "Neuer Embleme" sowie die Rubriken "Lobgedichte", "Reisebilder" und "Rätsellied". Mehrheitlich nehmen die Gedichte, wie man sieht, Bezug auf hergebrachte, meist einfache lyrische Formen. Die Formproduktion stellt sich hier nicht als etwas Schweres dar, als Laborversuch oder Trip ins Unbewusste, sondern als eine flügelleichte Anverwandlung von etwas schon Dagewesenem. Fraglos geht vieles dabei auf "eigene Erlebnisse" zurück, aber was wäre an Erlebnissen wie denen in Petersdorffs "Liebeslied" im strengen Sinne eigen?

    "Liebeslied
    Der Herz-, der Sonnengong. Auf steiler Küste,
    Wasserluft-Kamille-Gemisch.
    Prise Segel in der Bucht.
    Die Sandlinie
    kurvt ins Land –

    sah dich im schmalen Dress,
    von Locken umspielt, Botticelli-like,
    1-a-Kurven-Kelch. Steh auf,
    sagt das Leben; ich stehe,
    gut geblendet noch immer,
    auf schwachen Füßen.
    Weizenfeld bis geht nicht mehr.
    Ruhig schneller noch, Herzlauf,
    wohin ich niemals dachte.
    Furchtlos gehen kann ich,
    nicht genug kosten
    von dringenden Lippen -
    so muss ich immer reden -
    volle Verklärung? Ach,

    nennt es wie ihr wollt. Auf hoher Küste
    schmaler Pfad. Ostsee
    glitzert, Aura-Punkte.
    So spielt der Wind
    mit dem Meer. Alles gut.
    Du. Alles da. Der Herzgong."

    "Alles da", "Alles gut", man sieht, dass Petersdorff hier fast trotzig eine Welt beschwört, in der es an nichts mangelt, eine Welt des ästhetischen und erotischen Überschusses. Und er ist natürlich versiert, oder soll man sagen ausgebufft genug, um jenen Moment der Verklärung nichts ins Erhabene, ja Kitschige ausufern zu lassen: "Nennt es, wie ihr wollt." "Kleine Philosophie des Schönredens" heißt ein anderes Gedicht. Gleich in der ersten Strophe macht sich Petersdorff hier über "Melancholie-Projekte, chic,/das Trauer-Gehäkel" lustig, um weiter unten sein Credo dagegen zu halten: "Ich will loben, gut sehen, schön machen, /raffe auf die Jalousie:/Pflaumenlicht, und schon, ihr Sachen,/fließt Lob-Energie." Beim Studium der älteren Literatur, wie Petersdorff sie ausgiebig betrieben hat, begegnet man eben nicht nur der Kunst des lyrischen Trauerns, sondern auch einer Kultur der Freude, des Lobs, der Selbstvergessenheit und Selbsthingabe, von Daseinsgesten also, die heute oft nur noch in trivialer Gestalt überdauern. Manche von Petersdorffs Gedichten ziehen ihren Reiz daraus, dass sie diese älteren Sprachgesten unvermittelt auf die Gegenwart loslassen (ähnlich, wie es Hans Magnus Enzensberger in vielen seiner Gedichte tut). So kann es sein, dass irgendwo in einem Hotelzimmer beim Nachrichtenschauen die Tonspur der Tagesaktualitäten mit der barocken Weheklage von Gryphius und Paul Gerhardt kreuzt:

    "Hotelzimmer, Nachrichten

    Bundeskanzler Schröder hat heute erklärt, Schröder
    hat dementiert. Merkel: "Es ist genug."
    Schröder: "Was sind wir Menschen doch.
    Ein Ball des falschen Glücks."
    Analysen und Prognosen,
    Schatten, Staub und Wind.
    Was Schröder heute baut, reißt Merkel morgen ein.
    Wir schalten direkt ins 17. Jahrhundert,
    wo Michael Schumacher
    von einem Boxenluder verfolgt wird.
    "Herr Minister, wie konnte das geschehen?"
    Nachrichtenfluss, Nachrichtensand.
    Wer führt die FDP? Wer ist des Regens Vater?
    Wer hat die Tropfen des Taus gezeugt? Schröder:
    "Ich weiß nicht". Nun das Wetter,
    gute Nacht."

    So leichtfüßig, so geistreich und, man darf ruhig sagen, so amüsant sind die meisten Gedichte dieses Bandes. Schwerwiegendes kommt schon deshalb selten zur Sprache, weil hier kein lyrisches Subjekt sprachschöpfend und weltsondierend an der Arbeit ist oder, besser wohl: scheint. Denn die Eleganz dieser Gedichte, ihre Leichtigkeit, ihr Spott auf alles Rigorose können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der virtuose Traditions-Remixer Dirk von Petersdorff mit jedem seiner Gedichte aufs Ganze geht. Gerade er will ja kein Epigone sein, so wie es in seinen Augen die Nachlaßverwalter eines müde gewordenen Modernismus sind. Gerade er will uns ja die Welt frisch und verführerisch vor Augen stellen, und dies in einer Sprache, die zwanglos aus dem Ältesten und aus dem Allerneuesten schöpft. Das ist Petersdorff in diesen Gedichten ziemlich gut gelungen, wie ein letztes Beispiel, das Titel-Gedicht "Die Teufel in Arezzo" demonstrieren mag:

    "Die Teufel in Arezzo

    Franziskus sieht das schon von weitem:
    diese dunklen Glitzerschuppen –
    wie sie starten, wie sie landen,
    meine Güte, ganze Gruppen.

    Alles haben sie dabei,
    um auch alles zu verschenken:
    Neid und Hochmut, böse Wünsche,
    ewig an sich selber denken,

    und er macht jetzt schnell den Text:
    "Achtung Teufel, ihr müsst hören,
    denn es gilt jetzt der Befehl,
    dass sich alle Teufel scheren,

    weit hinaus und fort von hier."
    Mit einem Sausen in der Luft
    und am Ende einem Ploppen
    ist der ganze Spuk verpufft.

    Stiller Abend in Arezzo:
    Wo sich eben Schlangen bogen,
    steht der Himmel makellos,
    wolkenlos und glatt gezogen.

    Wenig ist das nicht, wenn einer
    kommt, der uns zur Ruhe bringt,
    kaum zu merken, so ein Hauch,
    und der ganze Aufruhr sinkt."