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Gedichte in vier Zeilen

Der Kölner Schriftsteller Hans Bender hat einen neuen Lyrikband herausgegeben.Benders kurze Gedichte sind poetische Mitschriften des Lebens, die oft an völlig unverhofften Orten fündig werden.

Von Matthias Kußmann | 08.03.2012
    Köln, Taubengasse. In einem unscheinbaren Haus nah des Südbahnhofs lebt Hans Bender, einer der großen alten Männer der deutschsprachigen Literatur. Irgendwie passt dieser Ort zu dem Autor, der nie viel Aufhebens um sich machte. Er hat zahllosen jungen Kollegen den Weg in die Literatur geebnet, als Redakteur, Herausgeber und Lektor, hat selbst Romane, Erzählungen und Essays verfasst – und doch spricht er von all dem bescheiden, eher beiläufig. Er ist ein Mann der leisen Töne, der zugleich weiß, dass man mit leisen Tönen nicht immer gehört wird. Ein Gedicht seines neuen Buchs lautet:

    Vergeblicher Protest

    Ich protestiere.
    Keiner stimmt mit ein.
    Spreche ich zu leise?
    Ich will nicht schrein.


    Hans Bender ist jetzt 92. Man glaubt es kaum, wenn man ihm in seinem Wohn- und Arbeitszimmer gegenüber sitzt. Er erzählt, dass er vor einigen Jahren seine ganze Korrespondenz mit Autoren, sage und schreibe 30.000 Briefe, etwa von und an Bachmann, Benn oder Huchel, dem Kölner Stadtarchiv übergab. Dann stürzte das Haus ein. Bis heute weiß er nicht, ob etwas von den Konvoluten zu retten ist, in denen fast die ganze deutsche Nachkriegsliteratur vorkommt. "Aber einen Ordner habe ich noch!", sagt er, springt auf, eilt mit kleinen Trippel-Schritten durch den Raum. Er hatte den Ordner selbst aus dem Archiv entliehen, kurz vor der Katastrophe; darin liegt unter anderem seine Korrespondenz mit dem großen Hermann Lenz, auch er ein Leiser, der nie schreien wollte. "Auf meine Art", heißt Benders neues Buch, und im Untertitel: "Gedichte in vier Zeilen". "Auf seine Art" bedeutet lakonisch, präzise, knapp. Den Begriff "Vierzeiler" vermied er, da man ihn oft weniger mit Literatur als mit Witzelei à la Heinz Erhardt verbinde.

    "Ich hab einfach diese Form der Vierzeiler. Ich habe sie genannt "in vier Zeilen". Ich wollte mich etwas entfernen von diesem Stempel, denn wenn man sagt "Vierzeiler", dann ist das auch wieder so ein Stempel. Ich möchte vier Zeilen schreiben, aber die Freiheit haben, nicht den vorgefassten Vierzeilern zu gleichen, sondern es soll etwas besonderes sein. Ich will innerhalb dieser vier Zeilen eine große Freiheit haben, wie ich mich äußern will und wie die Form letztlich sein soll."

    Bender schreibt überwiegend in freien Versen, ohne starres Metrum. Die meisten Gedichte sind nicht gereimt, doch dazwischen schleichen sie sich ein, wie zufällig hingeworfene Paar- oder Kreuzreime. Womit der Autor souverän allen Dogmatikern eine Nase dreht, die sagen, man könne heute nicht mehr reimen.

    "Es gibt ja so viel Gerede über Lyrik, es gibt Aufsätze, es gibt Verbote, (…) aber ich kümmer mich darum nicht. Ich könnte nachweisen, dass viele Lyriker, die unter die modernen gezählt werden, auch wieder reimen oder sich erlauben zu reimen. Wie gesagt: Um diese Verbote möchte ich mich nicht kümmern."

    Bender schreibt über alltägliche Wahrnehmungen und Reiseeindrücke, über Lektüren, die Begegnung mit Kunst und Musik. Es gibt Porträtskizzen, Erinnerungen an Kindheit und Jugend, doch auch melancholisch-milde Verse über das Alter:

    Im Inselhotel

    Bescheidener werden die Wünsche:
    von der Terrasse aufs Meer zu sehen.
    Danach in kleinen Schritten die
    Promenade hin und zurück zu gehen.


    Die Aufregungen der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart kommen kaum vor. Als "lethargisch" bezeichnet sich Bender in dieser Hinsicht in einem Gedicht. Freilich sieht er genau, was draußen vor der Tür passiert. Etwa wenn es um faule Kompromisse der Großen Regierungs-Koalition geht oder um die sogenannte "Erziehung" in Internaten – der Autor war in den 30er Jahren selbst Schüler eines katholischen Internats:

    Unsere Erzieher

    Erinnerungen an Schülerjahre –
    bis heute nicht verblichen.
    Auch uns erzogen Lehrer, die
    dem Bischof Mixa glichen.


    … jenem Bischof, der die Missbrauchsfälle in katholischen Internaten verharmloste und selbst unter Verdacht geriet. Aber auch hier "schreit" Hans Bender nicht. Er bleibt leise, deutet an.

    "Die meisten Vierzeiler entstehen in einem Arbeitsvorgang. Oder er wird mir geschenkt. Ich meine: Es hat uns alle beeindruckt und es ist auch richtig, als Gottfried Benn in seinem berühmten Aufsatz über die Lyrik gesagt hat: 'Ein Gedicht entsteht nicht, es wird gemacht!' (…) Das weiß ich auch. Und trotzdem bin ich manchmal so mutig, zu sagen, dass es doch vom heiligen Geist kam, dass es doch ein Einfall ist, der mir geschenkt wurde. Aber der Einfall wird mir manchmal nur halb geschenkt, ich muss also die dritte, vierte Zeile doch wieder erarbeiten. Das ist auch der Reiz dieser kleinen Form, dieser Vierzeiler: Wie geh ich damit um?"

    Gut geht er damit um. Es ist, als wären die neuen Gedichte eine Art Fortschreibung seiner "Aufzeichnungen", die 1999 in dem Band "Wie die Linien meiner Hand" erschienen: tagebuchartige Notate, die Alltag und Reflexion verbinden, manchmal nur wenige Zeilen lang, selten länger als eine Seite. Wie diese Aufzeichnungen sind auch Benders Gedichte konzentrierte und poetische Mitschriften des Lebens, die mal hier, mal da fündig werden, oft genug an unverhofftem Ort. Eines der schönsten bringt in nur fünfzehn Wörtern ein ganzes Dichterleben auf den Punkt – das seines Freundes Elias Canetti. Der schrieb lebenslang gegen den Tod an, den Skandal des Todes; mal argumentierte er gegen ihn, mal wütete er, verhöhnte, beschimpfte ihn, bis zuletzt. Aber dann:

    Canettis Tod

    Seine Tochter Johanna sagte,
    wie der Tod ihn traf.
    Ohne Kampf.
    Im Schlaf.


    Buchinfos:
    Hans Bender: Auf meine Art. Gedichte in vier Zeilen. Hanser Verlag, 104 Seiten, 16,90 Euro