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Gediegene Polyphonie

Seine radikale Phase hatte der Komponist Paul Hindemith abgeschlossen, als er Mitte der 20er-Jahre seine Oper "Cardillac" zu Papier brachte. Die eher gediegene Polyphonie passte gut zu einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann, die der Komponist als Grundlage seiner Oper wählte. Der Goldschmied Cardillac steht in ihrem Mittelpunkt, der allzu verliebt ist in seine eigenen Schöpfungen. An der Pariser "Opéra National" wurde Hindemiths "Cardillac" nun zum Saisonauftakt aufgeführt.

Von Frieder Reininghaus |
    Gold ist ein besond'rer Stoff. Er macht Männer zu Hyänen und womöglich selbst eine kühle Frau leidenschaftlich – zumal, wenn der kostbare Rohstoff unter den kunstfertigen Händen eines Metallverarbeitungsvirtuosen wie Cardillac schmeichlerisch vollendete Formen annahm. Der in bewährten Bahnen ausgeprägten Meisterschaft dieses Kunsthandwerkers entspricht die an altmeisterlichen Modellen geschulte Kontrapunktik, deren Gewebe Hindemiths Partitur von 1926 über weite Strecken durchzieht. Dieser Rekurs auf die Tonsatzkünste des 17. Jahrhunderts verleihen der "Cardillac"-Musik einen akademischen Zug. Kent Nagano freilich versteht es, diesen elastisch abzufedern und elegant zu dynamisieren, ohne das kernig Deutsche dieser Musik aufzuweichen.
    Angela Denoke profiliert sich als des Goldschmieds Töchterchen, das zwischen der von Pflichtbewusstsein bestimmten Liebe zum ganz seiner Arbeit lebenden Vater und der frischen Verliebtheit schwankt – Gegenstand ihrer Neigung ist ein junger Offizier, dem der Tenor Christopher Ventris die hohe Statur und stimmliches Format verleiht.
    Unter den Händen der Musiker des Orchestre de l'Opéra National de Paris wird die Geschichte des begnadeten Goldschmieds ihrem Originalschauplatz wieder geschmeidig und markant angenähert. Die Schönen und Reichen in der französischen Hauptstadt, so der Plot des Stücks, kamen in glänzenden Jahren des Ancien Régime nicht umhin, den von ihnen begehrten Frauen Geschmeide aus Cardillacs Werkstatt anzudienen.

    Das Volk aber ist aufgeschreckt und empört über eine Serie von zwei Morden, die von den Behörden nicht aufgeklärt werden. Der Willen zur Selbstjustiz tobt über die Bühne nach dem Motto: Lynchen macht Freude.

    André Engel ließ den Bühnenbildner Nicky Rieti, mit dem er seit vielen Jahren zusammenarbeitet, eine großzügige Hotelhalle auf die breite Bühne der Opéra Bastille bauen, wie sie wohl 1926 der letzte Schrei war: Die monumentale Anlage verweist bereits auf die Herrschaftsarchitektur der 30er Jahre, in manchen Details ist sie von Art deco und sogar noch vom Jugendstil bestimmt – möbliert mit streng geometrischen Bauhaus-Sesseln. In vergleichbarer optischer Stringenz ist das luxuriöse Hotelzimmer ausstaffiert, in dem eine namenlose Dame auf einen Kavalier wartet, dem sie ein eindeutig zweideutiges Zugeständnis machte und der bei Cardillac eines der erlesensten Geschmeide erstand. Dieses aber wird er während des Liebesstündchens zusammen mit seinem Leben wieder los: Der maskiert und auf leisen Sohlen herbeischleichende Goldschmied holt sich sein Werk, das er durch einen dergestalt zweckgerichteten Einsatz "entweiht" sieht, zurück.

    Vergeblich versucht er, den Liebhaber der Tochter davon abzubringen, auch einen Halsschmuck zu erwerben. Über den Dächern des nächtlichen Paris – wiederum in einem wunderbar nostalgischen Bild herbeigezaubert – kommt es zum nächsten Mordanschlag; der Offizier aber übersteht ihn und lenkt dann gegenüber den herbeigeeilten Gendarmen den Verdacht auf den bereits auf private Ermittlungstour gegangenen Goldhändler, der auch zur Stelle ist.

    Indem nun aber Cardillac seinen Rohstofflieferanten nicht der Staatsgewalt oder gar der Wut des Mobs ausliefern will und seine Obsession eingesteht, wird er Opfer des Volkszorns – obwohl der Schwiegersohn in spe ihn zu verteidigen sucht mit dem durchaus zutreffenden Argument, dass er – dies war ein Lieblingsthemas E.T.A. Hoffmanns und zum Entstehungszeitpunkt der literarischen Vorlage sensationell – nur bedingt zurechnungsfähig sei und in Wahnzuständen gehandelt habe. Alan Held beglaubigt die beiden Gesichter des hochgeschätzten bürgerlichen Geschäftsmanns und des abgründigen Künstlers Cardillac vorzüglich:

    Hindemiths "Cardillac" gehört zu den Künstleropern, die das Musiktheater im 20. Jahrhundert so zahlreich und engagiert hervorbrachte. In Paris wurde das Werk, das am Übergang einer einst jung-wild-expressionistischen Tonkunst zu Neuer Sachlichkeit steht, sehr freundlich aufgenommen. Die glasklare und ganz aufs oberflächlich Gesellschaftliche abhebende Inszenierung von André Engel in den wohlproportioniert opulenten Bildern Nicky Rietis, die das Dämonische nur beiläufig andeutete, dürfte für die hohe Akzeptanz hilfreich gewesen sein.


    Gold ist ein besond'rer Stoff. Er macht Männer zu Hyänen und womöglich selbst eine kühle Frau leidenschaftlich – zumal, wenn der kostbare Rohstoff unter den kunstfertigen Händen eines Metallverarbeitungsvirtuosen wie Cardillac schmeichlerisch vollendete Formen annahm. Der in bewährten Bahnen ausgeprägten Meisterschaft dieses Kunsthandwerkers entspricht die an altmeisterlichen Modellen geschulte Kontrapunktik, deren Gewebe Hindemiths Partitur von 1926 über weite Strecken durchzieht. Dieser Rekurs auf die Tonsatzkünste des 17. Jahrhunderts verleihen der "Cardillac"-Musik einen akademischen Zug. Kent Nagano freilich versteht es, diesen elastisch abzufedern und elegant zu dynamisieren, ohne das kernig Deutsche dieser Musik aufzuweichen.
    Angela Denoke profiliert sich als des Goldschmieds Töchterchen, das zwischen der von Pflichtbewusstsein bestimmten Liebe zum ganz seiner Arbeit lebenden Vater und der frischen Verliebtheit schwankt – Gegenstand ihrer Neigung ist ein junger Offizier, dem der Tenor Christopher Ventris die hohe Statur und stimmliches Format verleiht.
    Unter den Händen der Musiker des Orchestre de l'Opéra National de Paris wird die Geschichte des begnadeten Goldschmieds ihrem Originalschauplatz wieder geschmeidig und markant angenähert. Die Schönen und Reichen in der französischen Hauptstadt, so der Plot des Stücks, kamen in glänzenden Jahren des Ancien Régime nicht umhin, den von ihnen begehrten Frauen Geschmeide aus Cardillacs Werkstatt anzudienen.

    Das Volk aber ist aufgeschreckt und empört über eine Serie von zwei Morden, die von den Behörden nicht aufgeklärt werden. Der Willen zur Selbstjustiz tobt über die Bühne nach dem Motto: Lynchen macht Freude.

    André Engel ließ den Bühnenbildner Nicky Rieti, mit dem er seit vielen Jahren zusammenarbeitet, eine großzügige Hotelhalle auf die breite Bühne der Opéra Bastille bauen, wie sie wohl 1926 der letzte Schrei war: Die monumentale Anlage verweist bereits auf die Herrschaftsarchitektur der 30er Jahre, in manchen Details ist sie von Art deco und sogar noch vom Jugendstil bestimmt – möbliert mit streng geometrischen Bauhaus-Sesseln. In vergleichbarer optischer Stringenz ist das luxuriöse Hotelzimmer ausstaffiert, in dem eine namenlose Dame auf einen Kavalier wartet, dem sie ein eindeutig zweideutiges Zugeständnis machte und der bei Cardillac eines der erlesensten Geschmeide erstand. Dieses aber wird er während des Liebesstündchens zusammen mit seinem Leben wieder los: Der maskiert und auf leisen Sohlen herbeischleichende Goldschmied holt sich sein Werk, das er durch einen dergestalt zweckgerichteten Einsatz "entweiht" sieht, zurück.

    Vergeblich versucht er, den Liebhaber der Tochter davon abzubringen, auch einen Halsschmuck zu erwerben. Über den Dächern des nächtlichen Paris – wiederum in einem wunderbar nostalgischen Bild herbeigezaubert – kommt es zum nächsten Mordanschlag; der Offizier aber übersteht ihn und lenkt dann gegenüber den herbeigeeilten Gendarmen den Verdacht auf den bereits auf private Ermittlungstour gegangenen Goldhändler, der auch zur Stelle ist.

    Indem nun aber Cardillac seinen Rohstofflieferanten nicht der Staatsgewalt oder gar der Wut des Mobs ausliefern will und seine Obsession eingesteht, wird er Opfer des Volkszorns – obwohl der Schwiegersohn in spe ihn zu verteidigen sucht mit dem durchaus zutreffenden Argument, dass er – dies war ein Lieblingsthemas E.T.A. Hoffmanns und zum Entstehungszeitpunkt der literarischen Vorlage sensationell – nur bedingt zurechnungsfähig sei und in Wahnzuständen gehandelt habe. Alan Held beglaubigt die beiden Gesichter des hochgeschätzten bürgerlichen Geschäftsmanns und des abgründigen Künstlers Cardillac vorzüglich:

    Hindemiths "Cardillac" gehört zu den Künstleropern, die das Musiktheater im 20. Jahrhundert so zahlreich und engagiert hervorbrachte. In Paris wurde das Werk, das am Übergang einer einst jung-wild-expressionistischen Tonkunst zu Neuer Sachlichkeit steht, sehr freundlich aufgenommen. Die glasklare und ganz aufs oberflächlich Gesellschaftliche abhebende Inszenierung von André Engel in den wohlproportioniert opulenten Bildern Nicky Rietis, die das Dämonische nur beiläufig andeutete, dürfte für die hohe Akzeptanz hilfreich gewesen sein.