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Gediegener Jazz statt fetziger Popsongs

In Berlin gab sich Weltsänger George Michael die Ehre. Es spielte ein tolles Orchester. Doch irgendetwas fehlte an diesem Abend voll gediegener Jazzsongs. George Michael hätte sich und dem Publikum mehr Abwechslung schenken können, findet Oliver Schwesig, der live vor Ort war.

Von Oliver Schwesig |
    Ein üppiger roter Plüschvorhang in gediegenem Licht - das soll nach altem Varieté-Theater aussehen. Und doch ist es an einen fremden Ort verpflanzt: in eine kühle Beton-Mehrzweckhalle an den Berliner Ostbahnhof. Eine Halle, die den Namen eines Mobilfunkanbieters trägt. Doch der hässliche Beton verschwindet, als es dunkel wird. Und dann hört man sie wirklich – diese Stimme. Die man bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Und da stand er dann: Wow. George Michael! Das war wirklich ein unglaublicher Moment.

    Noch unglaublicher: die Strahlkraft seiner Stimme. So wie ein geübter Saxofonist oder ein versierter Jazzpianist, der jahrzehntelang trainiert hat, kann George Michael mit seinem Organ umgehen. Er lässt es anschwellen, weinen, säuseln oder verführen. Und das mit soulig-samtigen Timbre. Makellos und einfach schön. Ein Geschenk diese Stimme. Ohne Frage, wir haben es hier mit dem wahrscheinlich besten Soul-Sänger Europas zu tun, der auch noch so angenehm uneitel durch sein Programm führt. Und er sieht, das muss man neidlos anerkennen, schlichtweg unglaublich aus.

    George Michael hat es sich auf einem Barhocker am Bühnenrand bequem gemacht. Dort bleibt er den ganzen Abend sitzen und macht ab und zu nur ein paar ausladende Schritte. Der englische Sänger stellt sich mit dick besetzem Orchester als Frank Sinatra für das 21. Jahrhundert vor. Ein Investment in die Zukunft, das weiß er. Als Schönling mit fetzigen Popsongs kann er nicht mehr punkten. Dann lieber doch das gediegene Jazz-Programm.

    Weil nichts passiert auf der Bühne, keine Gitarristen in die Luft springen und nichts explodiert, hat man sich etwas einfallen lassen. Der Bühnenhintergrund wird erleuchtet von futuristischen Formen und Farben in echtem 3-D. Das sieht beeindruckend aus, hat aber leider nichts mit der Musik zu tun.

    Das Ganze wirkt ein bisschen, als wollte man die Videos von George Michael auf die Bühne bringen: Da sitzt er ja auch oft in futuristischem Ambiente und blickt aus einem teuren Anzug ernst in die Kamera.

    Dieser Crooner-Abend ist perfekt in Szene gesetzt. Es spielt ein tolles Orchester, es singt ein Weltsänger. Aber irgendwas stimmt nicht an diesem Abend. Nach einer Dreiviertelstunde sanfter Jazzsongs hat man die Masche verstanden – und ja, es kommt so etwas wie Langeweile auf. Jetzt wäre der Zeitpunkt, dass mal etwas in die Luft fliegt auf der Bühne, oder ein Gitarrensolo erklingt. Überhaupt: Es wird so gar nicht rockig an diesem Abend.

    Wo ist der schöne George mit Lederjacke, Jeans und Sonnenbrille, der sexy seine "Faith"-Gitarre schwingt? Michael verbeugt sich vor vielen Kollegen – mit ihren Songs: Vor Rufus Wainwright, Terence Trend D'arby oder Amy Whinehouse. Aber es bleibt bei den ruhigen Nummern, es bleibt bei: ein Jazz-Sänger mit Orchester. Das Programm nahm nicht an Fahrt auf. Und da half ein kurzes Medley aus seinen 80er-Hits am Schluss wenig.

    Das bleibt der große Wermutstropfen nach diesem Konzert. George Michael hätte sich und dem Publikum mehr Abwechslung schenken können. Seine Stimme hätte das locker geboten. Aber wir alle wissen von seiner großen Unsicherheit, von der er so oft erzählt hat. Die Sonnenbrillen sind ja auch nur ein Schutz, wie er einmal sagte. Und deshalb geht man doch ein bisschen versöhnt aus diesem Abend: Es war schließlich George Michael. Er hat nach wie vor eine unglaubliche, schöne Stimme, die es eben auch in kalten Betonhallen warm werden lässt. Und, er sieht immer noch umwerfend aus!