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Geduldiger Lehrer der Deutschen

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in ihren Anfangsjahren wurde von Verfechtern eines neuen Denkens geprägt. Einer der Hauptakteure des Neuanfangs der politischen Kultur war der Heidelberger Politikwissenschaftler Dolf Sternberger. Am 28. Juli 1907 wurde er in Wiesbaden geboren.

Von Claus Menzel | 28.07.2007
    Er sah aus, wie man sich einen kultivierten Banker oder den Präsidenten eines deutschen Landgerichts vorstellen mag – und meistens benahm er sich auch so: tolerant, liebenswürdig, höflich in der Form, unbeirrbar in der Sache. Wie fast alle seiner Kollegen wusste auch dieser ordentliche Herr Professor sehr genau, wie alles sich zum Ganzen webt und Himmelskräfte auf- und niedersteigen. Autoritär aber war er nie. Vielleicht, weil seine Autorität auch nie bestritten wurde.

    Tatsächlich gehört der Politologe Dolf Sternberger, geboren am 28. Juli 1907 in Wiesbaden, zu jenen Wissenschaftlern und Publizisten, die sich nach 1945 nicht ohne Erfolg darum bemühten, den Deutschen die Grundlagen einer neuen politischen Kultur zu vermitteln – mit einer Unzahl von Artikeln und Kommentaren, Vorträgen und Büchern. Seine konservativen Überzeugungen hat Sternberger dabei nie geleugnet. Nur hat er auch nie gezögert, Mythen des deutschen Konservatismus wie etwa die Mär vom prinzipiellen Segen der Einigkeit, deutlich anzugreifen:

    "Innere Uneinigkeit, innere Zerrissenheit wurden von je, wie die Worte schon sagen, als ein schreckliches Übel und eine chronische Krankheit empfunden, die Einigkeit aber als ein Wert und eine Tugend schlechthin. Einigkeit macht stark, war ehedem ein beliebter, quasi politischer Spruch. Aber wir haben erfahren müssen, wie Einigkeit schwach macht."

    Sternberger wusste, wovon er da, im Februar 1947, sprach. 1934 war der promovierte Philosoph, der ursprünglich zum Theater wollte, in die Redaktion der "Frankfurter Zeitung" eingetreten und hatte prompt erfahren müssen, wie wenig die Nazis kontroverse Diskussionen zu schätzen wussten. Als Reichspropagandaminister Joseph Goebbels das großbürgerliche Blatt 1943 zwang, das Erscheinen einzustellen, wurde der mit einer Jüdin verheiratete Sternberger von der Berufsliste der Journalisten gestrichen. Auch die Zeitschrift "Die Wandlung", die Sternberger mit dem Philosophen Karl Jaspers, dem Soziologen Alfred Weber und der Lyrikerin Marie Louise Kaschnitz vom Herbst 1945 an herausgab, existierte gerade mal vier Jahre. Die dort veröffentlichte Serie "Aus dem Wörterbuch des Unmenschen", in der er die Sprache des Dritten Reichs als Symptom der Barbarei diagnostizierte, hatte Sternberger allerdings als klugen politischen Analytiker bekannt gemacht, dessen Kommentare die FAZ gern druckte und der Hessische Rundfunk gern sendete.

    Dieser konservative Liberale, dem die Erfindung des Begriffs "Verfassungspatriotismus" zugeschrieben wird, war ja genau das, was die pubertierende deutsche Demokratie jetzt brauchte: ein väterlich-kluger, geduldiger Lehrer, der, wenn er von Werten sprach, nicht bloß an die Börsenkurse dachte und glaubwürdig schon deswegen war, weil er seine Überzeugungen auch gegen die Mächtigen verteidigte. Als etwa der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer versuchte, eine regierungsfromme Fernsehanstalt zu begründen, war Sternbergers Kritik sehr klar:

    "Es ist kein Husarenstreich und kein Gewaltstreich, aber es ist allerdings ein Streich, was er hier vollbracht hat, ein Tritt und ein Kniff, der in so weitreichenden Angelegenheiten wahrlich nicht am Platze war, ja die Würde und Autorität eines Regierungschefs zu ruinieren geeignet scheint."

    Für die Studentenrevolte am Ende der 60er Jahre fand er wenig Verständnis, anders als viele seiner Standes- und Berufsgenossen aber hat er sie auch nie diffamiert. Den großen Heilsversprechen mochte der luzide Skeptiker nicht glauben. Auch und zumal dann nicht, wenn sie aus den Seelenlabors der Werbe-Agenturen kamen:

    "Die seligen Hausfrauen, Biertrinker, Zigarettenraucher und Sekretärinnen mit ihren jeweils zugehörigen, glücksverheissenden Konsumgütern scheinen mit ihrer ewigen Freude im Vierfarbendruck auf Glanzpapier der jungen Generation dermaßen auf die Nerven zu gehen, dass diese es vorzieht, mit mürrischen Gesichtern gramvoll, trotzig und gelangweilt einherzugehen oder vielmehr herumzuhocken und herumzuliegen."

    Am meisten freilich dürfte ihm eine Postmoderne missfallen haben, die Moral erst mit Ideologie verwechselt und dann verteufelt. Jenseits von gut und böse, lehrte er, gebe es nämlich keine Freiheit sondern nur – Zitat – "noch mehr Böses".

    Wohl wahr: Dolf Sternberger war ein Bürger. 1989, einen Tag vor seinem 82. Geburtstag, ist er in Frankfurt am Main gestorben.