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Gefährliche Heilpflanze

Medizin. - Weltweit ist Diabetes die Hauptursache für Nierenversagen. Nur nicht in einer Region auf dem Balkan. In dieser Region, die Teile Kroatiens, Rumäniens, Bosniens, Serbiens und Bulgariens umfasst, sterben die Menschen an einer anderen mysteriösen Nierenkrankheit. Ärzte nennen sie Balkan-Nephropathie. Ein amerikanischer Forscher hat jetzt herausgefunden, dass eine Pflanze für sie verantwortlich ist und seine Forschungen in den "Proceedings of the National Academy of Science" veröffentlicht.

Von Kristin Raabe | 12.07.2007
    Eines Tages wachen die Menschen auf und haben geschwollene Beine. Dann wissen sie, dass sie innerhalb von einem, vielleicht anderthalb Jahren sterben werden. Das war in einigen ländlichen Regionen des Balkans jahrhundertelang so. Balkan-Nephropathie nennen Mediziner die Nierenerkrankung, von der dort etwa 100 000 Menschen bedroht sind. Inzwischen gibt es Dialysezentren und der Tod tritt nicht mehr ganz so schnell ein. Vermeiden lässt sich das Sterben derzeit aber trotzdem nicht, denn nach einigen Jahren der Dialyse kommt der Nierenkrebs. Jahrzehntelang haben Mediziner versucht, hinter das Rätsel der nur auf dem Balkan vorkommenden tödlichen Nierenerkrankung zu kommen. Ereignisse in einer ganz anderen Region - in Brüssel - brachten den amerikanischen Wissenschaftler Arthur Grollmann schließlich auf die richtige Spur:

    "”Den ersten Hinweis erhielten wir vor ungefähr zehn Jahren. Damals hatte eine Gruppe von Frauen in Brüssel ebenfalls ein Nierenversagen erlitten. Diese Frauen hatten in einem örtlichen Schönheitsinstitut pflanzliche Schlankheitspillen erhalten. Sie wollten einfach nur abnehmen. In den Pillen war ein Pflanzenextrakt einer chinesischen Heilpflanze, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern aber sehr nahe Verwandte hat, die sogenannte Osterluzei. Diese Pflanze war die Ursache für die Krankheit der Frauen, die dieselben Symptome hatten, wie die Patienten mit der Balkan-Nephropathie.""

    Arthur Grollmann wusste, dass er das Rätsel in seinem Labor an der Stony Brook Universität im Bundesstaat New York nicht würde lösen können. Also flog er nach Kroatien, um mehr über die Lebensumstände der Patienten dort zu erfahren. Grollmann:

    "”Wir sprechen hier nicht über irgendwelche reichen Frauen, die Schönheitssalons aufsuchen, sondern über Bauern mit einem sehr einfachen Lebensstil. Sie haben Weizenfelder, deren Ähren sie zu einem Mehl malen. Ihre Hauptnahrungsquelle ist ein hausgemachtes Brot aus diesem Mehl. Die Menschen gehen nicht in einen Supermarkt, sondern essen das, was sie selbst anbauen. Als ich die vielen Nierenkranken dort in den Hospitälern besuchte, erfuhr ich schnell, dass sie die Osterluzei nicht als Heilpflanze verwenden. Aber auf ihren Feldern konnte ich die Pflanze sehen, wie sie mitten im Weizen wuchs.""

    Die Frauen in Brüssel hatten die gefährlichen Schlankheitspillen etwa ein Jahr lang eingenommen und dabei eine hohes Dosis der giftigen Pflanze zu sich genommen. Die Bauern auf dem Balkan aßen jahrzehntelang Brot, das nur ein bis zwei Samenkörner der Osterluzei enthielt. Aber das Gift sammelte sich über einen langen Zeitraum in ihrem Körper. Durch die Analyse von Gewebeproben der Patienten fand Arthur Grollmann schließlich heraus, warum die Pflanze so krank macht. Sie enthält eine Säure, die nach dem lateinischen Namen der Osterluzei Aristolochiasäure heißt. Grollmann:

    "Sie bindet an die DNA, die Erbsubstanz und bleibt erst mal dort. Wenn die Zelle sich dann teilt, dann dient die alte DNA als Vorlage, um die DNA für die neue Zelle herzustellen. Weil die Aristolochiasäure an der DNA klebt, entstehen aber Fehler bei der Herstellung der DNA für die neue Zelle. Im Laufe der Jahre sammeln sich immer mehr Fehler an und irgendwann entsteht Krebs. Wir konnten eine für die Aristolochiasäure typische Mutation identifizieren, im sogenannten p53-Gen. Ein regelrechter genetischer Fingerabdruck, der ausschließlich in Patienten mit dieser Art von Nierenkrebs vorkommt."

    Die Ursache für die vielen Nierenkranken auf dem Balkan war gefunden. Jetzt musste Arthur Grollmann nur noch dafür sorgen, dass kein einziges Samenkorn der Osterluzei mehr im Brot der Bauern landet. Grollmann:

    "”Als wir vor einem Jahr wieder dorthin fuhren, hatte sich an der Lebensweise der Menschen nichts geändert. Ich organisierte schließlich eine große Konferenz in Zagreb und sprach mit den Verantwortlichen für die öffentliche Gesundheit. Ich hoffe, dass jetzt, nachdem das alles in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift publiziert ist, die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Trotzdem werden wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren noch Menschen an Nierenversagen und Krebs erkranken, weil sich einfach schon soviel von diesen Pflanzenstoffen in ihrem Körper angesammelt hat und es eben dauert, bis der Krebs ausbricht.""

    Weil zwischen dem Konsum der Pflanze und dem Ausbruch der, Erkrankung so viele Jahre, manchmal Jahrzehnte liegen, hat es 2000 Jahre gedauert bis die gefährliche Wirkung der Osterluzei erkannt wurde. Denn solange wird die Pflanze schon als Heilpflanze in Europa und Asien verwendet. Erst vor wenigen Tagen erhielt Arthur Grollmann eine Email von einem britischen Gerichtsmediziner, der von einem Mann berichtete, der die Osterluzei als Heilpflanze konsumiert hatte und an Nierenversagen verstorben war.