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Gefährliche Langeweile im siebenjährigen Krieg

Mit "Troilus und Cressida" begann der britische Dramatiker William Shakespeare eine neue Werkgruppe, in der tragische wie komische Elemente die Handlung vorantragen. Die Geschichte um den Königssohn und die Priestertochter spielt im Trojanischen Krieg. Regisseur Luc Perceval das Drama für die Wiener Festwochen inszeniert.

Von Sven Ricklefs |
    Weit hinten rechts ragt ein freundliches Pferd in den Raum, schließlich sind wir in Troja. ansonsten ist der Bühnenraum weit und offen und schwarz. Schüssel und Töpfe stehen überall herum, aus Blech, aus abgestoßener Emaile: Essgeschirr oder Nachttöpfe, wer weiß das schon. Es ist Krieg, doch keiner rührt sich. Die sitzen alle nur rum. Von hoch oben tropft es herunter. Irgendwas ist leck. Vielleicht die Welt. Luc Perceval hat sich für seine Version von Shakespeares "Troilus und Cressida" selbst den Raum geschaffen, ein trauriges Niemandsland in der die gähnende Langeweile eines bereits siebenjährigen Krieges spürbar wird, von dem wohl niemand mehr genau weiß, warum man ihn führt:

    Menelaos: " Helena waschen. Alles waschen alles waschen. Das sind doch alles Helena-Waschlappen und keine Helena-Krieger. "

    Waschlappen, Witzfiguren, Hängesäcke sind das und keine Krieger, trotzdem mandeln sie sich dann doch immer mal wieder auf, als König, als Feldherr, als Held, doch wenn der eine spricht, blödeln die anderen herum, hier funktioniert schon lange nichts mehr, wenn selbst Griechenkönig Agamemnon sich nicht zu schade ist, das, was er sich aus dem Flachmann ins Ohr kippt, aus dem Mund wieder raus laufen zu lassen. Die Trojaner stehen diesem Haufen an Lächerlichkeit in nichts nach und wenn sie die Blechschüsseln als Soldatenhelme aufsetzen, sehen sie aus wie aus einer geschlossenen Anstalt Entlaufende.

    Luc Perceval bringt in seiner Version von "Troilus und Cressida" das, worauf Shakespeare hinauswollte, auf den Punkt: Anders als die Ilias, ist dies ja keine Geschichte mehr von rühmlich ehrenhaften Helden, sondern ein zynisch-bitterer Blick auf eine vom Krieg erschlaffte Männergesellschaft, deren Gewaltpotential jedoch auf dem Humus der Langeweile sogar noch wächst. Auf dieser Basis muss eine Liebesgeschichte wie die von Troilus und Cressida, die aus jeweils feindlichen Lagern stammen, zum Scheitern verurteilt sein:

    Cressida: " Obwohl ich sehr verliebt war, wollte ich nicht um dich werben. Ich hatte Sehnsucht nach einem Mann und wollte schon wie sonst nur ein Mann den ersten Schritt wagen. Liebster halt mich doch auf, sonst sage ich in diesem Rausch Dinge, die ich noch bereuen werden. "

    Brillant trifft Julia Jentsch als Cressida den Ton zwischen dem ungebändigten Wildfang und dem zarten Mädchen, zwischen einer, die aufbegehren will gegen den Mechanismus die Unterworfene zu sein, wenn sie sich hingibt und die sich letztlich diesem Mechanismus doch ausliefert. Und Luc Perceval hat für seine Cressida und ihren Troilus einige zarte Liebesmomente geschaffen, etwa, wenn sich die beiden für den ersten Kuss gemeinsam Cressidas kindergelben langen Pullover über die Köpfe ziehen. Das sind die Kontrastszenen zu den bewusst penetrant und enervierenden Szenen von Troja und Griechenlager, auf deren grotesken Slapstick sich aber das Ensemble der Münchner Kammerspiele ohne Ausnahme spielfreudig einlässt. Ohnehin endet diese Liebe ja bekanntermaßen schnell, wird doch Cressida gegen einen Gefangenen ausgetauscht und unterwirft sich - trotz Treueschwur - schließlich anderem Begehren.

    Herkules: " Was jetzt Shakespeare in diesem Drama verdichtet, was er darstellt, indem er es eben Troilus und Cressida nennt und eine Liebesgeschichte gleichsam als Folie vor das Kriegsgeschehen hängt, was sich aus dieser Spannung ... "

    Mit einiger Ironie kommentieren sich die Figuren in dieser sehr offenen Text-Bearbeitung von Paul Brodowsky nicht nur selbst, sondern sie kommentieren auch Shakespeare, was noch einmal eine zusätzliche Distanz schafft.

    Und am Ende siegt der Krieg, und hier verdichtet sich die Inszenierung von Luc Perceval zu einem szenisch großartigen Showdown. Während sich der rachedurstige Troilus am vorderen Bühnenrand mit Blut besudelt und hinter ihm eine verzweifelt-wissende Kassandra einen leeren Rollstuhl mit ihren klarsichtigen Vorhersagen der drohenden Katastrophe beschreit, produzieren sich hinten noch einmal die so gefährlich lächerlichen Helden bei ihrem Abgang ins Schlachten. Mit diesen Szenen zwischen Performance und Figureninstallation zeigt Perceval beeindruckende Bilder vom Krieg weit jenseits irgendeines peinlichen Realismus und beweist damit wieder einmal, dass er mit seinem Theater immer auch versucht, ästhetisch weiter zu denken.