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Gefährliche Schein-Bewerbung

Die Evaluierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) prüft in diesen Wochen die drei Bewerber um die Winterspiele 2018. Erste Station war Annecy in Frankreich.

Von Jens Weinreich | 14.02.2011
    "Wir sind wieder im Rennen", behauptet Frankreichs IOC-Mitglied Jean-Claude Killy nach dem Besuch der Evaluierungskommission, die von der Schwedin Gunilla Lindberg geleitet wird. Auch Frankreichs Sportministerin Chantal Jouanno äußerte sich optimistisch. Nachdem Killy und führende Politiker bislang bei wichtigen Terminen durch Abwesenheit auffielen, traf sich nun sogar Präsident Nicolas Sarkozy mit der Prüfungskommission.

    Die Franzosen wahren Haltung, mehr nicht. In der Szene weiß jeder, dass Annecys Bewerbung vom IOC längst hätte gestoppt werden müssen, weil die Mindestanforderungen nicht erfüllt worden. Das wurde auch im Bericht deutlich, der auf Grundlage der ersten Bewerbungsunterlagen vom IOC erstellt wurde. Annecy lag Lichtjahre hinter Pyeongchang und München. Dennoch entschied das IOC-Exekutivkomitee im Juni 2010, Annecy den Status der Canddate City zu verleihen. Es gab dafür nur einen Grund: Das geringste Interesse an Winterspielen seit drei Jahrzehnten. Das IOC wollte den Schein wahren, hier wetteiferten drei Kandidaten mit Chancen. Nur ein Zweierfeld mit Pyeongchang und München war zu wenig und hätte einfach dumm ausgesehen - kurz nach dem bislang härtesten Wettbewerb aller Zeiten, als sich Rio de Janeiro für die Sommerspiele 2016 gegen Tokio, Madrid und Chicago durchsetzte und weitere Interessenten in der Vorrunde aussortiert worden waren.

    Selbst in Frankreich nimmt Annecy niemand ernst. Die Sportzeitung L'Equipe hielt diesmal nicht in nationalem Auftrag zur Stange, sondern legte alle Schwächen bloß. Bis vor einem Monat hatten die Bewerber aus Annecy nicht einmal mehr Geld, um die Flugtickets zur entscheidenden IOC-Session im Juli in Durban zu buchen. Auf internationalem Parcour reihte sich eine peinliche Darbietung an die andere. So trat Bewerberchef Edgar Grospiron gelegentlich bei Präsentationen allein in die Bütt, wenn Pyeongchang und München stets prominent bestückte Großteams aufboten.

    Grosprion behauptete eine zeitlang ziemlich frech, Journalisten wollten Annecy nur niedermachen. Im Dezember näherte er sich dann der Wahrheit und erklärte, Annecy habe keine Chance. Wenige Tage später war er entlassen und wurde durch Charles Beigbeder ersetzt. Eine Finanzspritze von zweieinhalb Millionen Euro gab es auch, so dass die Bewerbung nicht eingestellt werden musste. Annecy ist Teil eines größeren Plans, und der lautet: Paris, zuletzt für 2012 knapp an London gescheitert, will die Sommerspiele 2024, vielleicht zieht man sogar schon 2020 gegen Rom wieder in die Schlacht. Annecy ist das Opfer der Franzosen. Und das IOC spielt mit. Das Lob der Prüfungskommissarin Lindberg, Annecy habe sich kolossal verbessert, gehört zum Spiel.

    Eins aber bleibt gewiss: Selbst eine Schein-Bewerbung von Annecy ist ein Problem für München, weil einige europäische Stimmen unweigerlich nach Frankreich gehen.