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Gefährliche Wärme

Biologie. Durch den Klimawandel wird auch das Wasser in Meeren, Seen und Flüssen wärmer. Meeresforscher in ganz Deutschland untersuchen, wie sich das auf die Organismen im Wasser auswirkt, auf Fische und Kleinstlebewesen, das so genannte Plankton.

Von Jens Wellhöner | 02.01.2007
    Die Kühlung funktioniert gut im Keller des Kieler Instituts für Meereskunde. Zehn Grad frisch ist es hier, gut für die kleinen Organismen in den Tanks voller Ostseewasser, die hier stehen. Meeresbiologin Julia Wohlers:

    "Das sind 1500-Liter-Tanks, in die wir Wasser aus der Förde gefüllt haben, so dass wir alle Organismen, die wir draußen in der Förde finden, hier in den Tanks haben. Und wir versuchen nun, den Einfluss höherer Temperaturen auf das Planktonnahrungsnetz zu untersuchen."

    Weltweit wird die Lufttemperatur in den kommenden 100 Jahren um zwei bis sechs Grad steigen. Damit rechnen Klimaforscher. Das würde besonders die Lebewesen im Wasser betreffen, da sie sehr empfindlich auf Temperaturveränderungen reagieren. Wie genau Pflanzen und Tiere im Meerwasser, in Seen und Flüssen reagieren würden, das soll das Projekt Aquashift klären. 17 Institute in ganz Deutschland beteiligen sich daran. Projektkoordinator ist der Kieler Meeresökologe Ulrich Sommer:

    "'Shift' ist Verschiebung, 'Aqua' das lateinische Wort für Wasser. Und das bedeutet Verschiebung jahreszeitlicher Ereignisse durch Klimawandel. Die Organismen, die in unseren Gewässern leben, sind natürlich daran angepasst, dass es einen jahreszeitlichen Wechsel in der Wassertemperatur, im Licht und dergleichen gibt."

    Und so hängt auch der Zeitpunkt der Geburt von Fischlarven von der Jahreszeit ab. Heringe zum Beispiel laichen immer im Frühjahr, bei Wassertemperaturen von ungefähr acht Grad. Sind sie erst einmal geschlüpft, leben die Heringslarven von kleinsten Meerestieren, dem so genannten Zooplankton. Diese wiederum ernähren sich von kleinen Pflanzen, dem Phytoplankton. Diese Nahrungskette funktioniert natürlich nur dann, wenn das Plankton voll ausgewachsen ist, wenn die Fischlarven schlüpfen. Aber durch den Klimawandel gerät das ganze System durcheinander. Ulrich Sommer:

    "Das führt dazu, dass bei Erwärmungen über fünf Grad über dem langjährigen Mittelwert das Wachstum des Zooplanktons vor das Auftreten des Phytoplanktons fällt und dass ihnen daher sehr wenig Nahrung zur Verfügung steht und sie zu einem großen Teil verhungern müssen."

    Sterben die kleinen Meerestiere ab, dann fehlt damit auch den Fischlarven die Nahrung. Auch sie müssen dann verhungern: ein erstes Ergebnis des Aquashift-Projekts. Aber nicht allen Fischen schadet der Klimawandel. Fischereibiologe Christoph Petereit:

    "Hier in der Ostsee haben wir den Dorsch, den Hering und die Sprotte als Hauptarten. Und wir nehmen an, dass die zunehmende Erwärmung weniger günstig für den Dorsch ist, wohingegen die Sprotte als wärmeliebende Art eher zunehmen könnte."

    Dabei machen die höheren Wassertemperaturen dem Dorsch eigentlich gar nichts aus. Aber auch ihm wird durch den Klimawandel irgendwann die Nahrung fehlen:

    "Ihr Hauptnahrungsorganismus namens Pseudo-Calanus, der mag es nicht so gerne, wenn es sehr warm wird. Wenn dieser Organismus nicht zur Verfügung steht in ausreichender Menge, ist das schlecht für den Dorschbestand."

    Aussterben werden Dorsch und Hering aber nicht. Wahrscheinlich werden sie sich einfach in kühlere Gewässer zurückziehen, in die nördliche Nordsee und in die Gewässer vor Finnland. Für die deutschen Fischer würde das aber das Aus bedeuten. Auch in den Binnengewässern würde durch den Treibhauseffekt einiges durcheinander geraten. Aquashift-Versuche mit Fischen in einer Talsperre in Sachsen haben das bereits bewiesen. Ökologe Ulrich Sommer:

    "Da ist es so, dass normalerweise die Altfische bei den Barschen, das ist dort der hauptsächliche Fisch, sich von den Puppen der Chironomiden-Larven ernähren. Aber in besonders warmen Jahren kommen die auch nicht zum richtigen Zeitpunkt."

    Und die Barsche müssen hungern.

    Eines steht für die Aquashift-Forscher jedenfalls fest: Der Klimawandel birgt für das Ökosystem so viele Gefahren, dass noch niemand es heute absehen kann. Nur rechtzeitiges Umsteuern, vor allem durch die Reduktion von Kohlendoxid in der Atmosphäre, könnte diese Entwicklung noch stoppen.