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Gefährliches Doppelspiel

Wie konnten nach dem Einmarsch der westlichen Truppen nach Afghanistan die Taliban trotzdem ungehindert in den pakistanischen Stammesgebieten Unterschlupf finden? Laut Ahmed Rashid wurden die Islamisten dabei vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt - doch aus dem Ziehkind Taliban ist längst ein Problemkind geworden.

Von Joseph Croitoru | 02.08.2010
    Den schwerwiegendsten Fehler hatte dem Autor Rashid zufolge bereits die Regierung George W. Bush begangen. Sie war extrem und viel zu lange auf die Verfolgung der El Kaida in Afghanistan fixiert, die insgesamt wenig erfolgreich war. Dabei vertrauten die Amerikaner zu sehr auf die alten Bestechungsmethoden, die die CIA zwei Jahrzehnte zuvor bei der Mobilisierung der Mudschahedin gegen die Sowjets angewandt hatte. Zwar konnten auf diese Weise die Warlords der afghanischen Nordallianz für ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Taliban gewonnen werden, und sogar manch ein Kommandeur der Radikalen legte für ein großzügiges Bestechungsgeld die Waffen nieder. Gleichzeitig aber erkauften sich mit ebensolchen Methoden Osama Bin Laden und seine Terroristen den Schutz der Taliban. So fanden sie, zusammen mit der bis heute ebenfalls weitgehend intakt gebliebenen Führung der afghanischen Islamisten, Unterschlupf in Pakistan. Diese "große Flucht", wie sie ein pakistanischer Armeeoffizier gegenüber Rashid nannte, hatte enorme Konsequenzen für den danach von den Vereinigten Staaten geführten "Krieg gegen den Terrorismus". Schätzungen zufolge entkamen mehr ausländische Terroristen aus Kundus als später aus Tora Bora. In beiden Fällen wurde es ihnen erlaubt, sich nach Süd- und Nordwaziristan zurückzuziehen, den unzugänglichsten Stammesgebieten Pakistans.

    Ihr Entkommen verdanken die Islamistengruppen vor allem dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Er unterstützt die Taliban als Gegengewicht zum Einfluss des Erzrivalen Indien auf Afghanistan. Der pakistanische ISI trieb, wie Rashid sehr gut veranschaulicht, lange Zeit ein Doppelspiel, aus dem allerdings auch schon bald Pakistan als Verlierer hervorging. Lange Zeit meinte man in Islamabad, die Amerikaner mit der Auslieferung einiger weniger El-Kaida-Kader zufriedenstellen zu können, ohne die Unterstützung der afghanischen Extremisten aufzugeben. Aber mittlerweile ist aus dem Ziehkind Taliban ein gefährliches Problemkind geworden. Die Armee Pakistans, so Rashid, sei längst in einen Bürgerkrieg mit dem immer mächtiger werdenden pakistanischen Zweig der Taliban verstrickt. Ein grundsätzlicher Kurswechsel der Pakistani hinsichtlich ihrer Einmischung in Afghanistan ist laut Rashid nicht in Sicht – zumindest solange Washington den Druck auf Islamabad nicht erhöht. Und davon ist bislang nichts zu erkennen:

    Die Strategie der Regierung Obama bestand hauptsächlich aus Händchenhalten. Sie wollte mit pakistanischen Spitzenpolitikern Beziehungen aufbauen, um diese dann zu bewegen, die Richtung zu ändern. Mindestens ein hochrangiger US-Offizieller kam jede zweite Woche nach Islamabad, um für die amerikanische Sicht zu plädieren.
    Das hat erst kürzlich wieder die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton bei einem Besuch in der pakistanischen Hauptstadt getan. Dass sie eine millionenschwere Aufbauhilfe im Gepäck hatte, ist für amerikanische Verhältnisse allerdings relativ neu. Rashid kritisiert zu Recht, dass Washington den zivilen Wiederaufbau vor allem in Afghanistan viel zu lange vernachlässigt hat. Die afghanische Zivilbevölkerung wurde zudem noch zur Leidtragenden eines westlichen Fehlkalküls. Die über Jahre zu geringe Zahl der eingesetzten US- und Nato-Soldaten versuchte man mit massiven Luftangriffen zu kompensieren, die immer wieder unschuldige Zivilisten trafen. Wenig Rücksicht auf die Menschen im Land nahmen auch die afghanischen Kriegsfürsten der Nordallianz, die lange die Hauptstütze Washingtons, aber auch der Regierung Karsai waren. Mittlerweile sind sie zu mächtigen Drogenbaronen avanciert und tragen die Verantwortung für die von der internationalen Gemeinschaft beklagte Korruption, die auch die Taliban propagandistisch nur allzu gerne ausschlachten. Den ausufernden Drogenhandel beleuchtet Rashids Studie ebenso kritisch wie die nicht immer konsequente Interventionspolitik des Westens. Dazu gehört auch das Engagement der Deutschen beim Wiederaufbau der afghanischen Polizei. Den begrenzten Erfolg dieser Hilfe führt Rashid darauf zurück, dass sie stets nur halbherzig betrieben wurde. Noch folgenreicher aber waren aus seiner Sicht die Rahmenbedingungen für den Einsatz der Bundeswehrsoldaten am Hindukusch:

    Ihr ganzer Modus war rein defensiv, und die Konsequenzen konnte man 2009 beobachten. Die Taliban starteten im Norden und Westen Afghanistans erfolgreiche Offensiven, indem sie jene Truppen angriffen, die – wie die Deutschen – ihre Missionen unter vielen Vorbehalten ausführten. Die deutschen Truppen schlugen nicht zurück und gingen nie in die Offensive, weil ihnen dies nicht gestattet war. Diese Rückschläge wurden von der deutschen Regierung nicht eingestanden oder überhaupt thematisiert.
    Rashid fordert mehr Transparenz in der Afghanistanpolitik. Die Regierung Merkel scheint solchen Forderungen, wenn auch erst in jüngster Zeit, gefolgt zu sein. Aber Deutschland müsse, insistiert Rashid, noch mehr tun: Seinen Soldaten ein klares und umfassendes Kampfmandat erteilen, entschieden mehr Mittel für den Aufbau bereitstellen und sich auch bei den zentralasiatischen Regierungen für eine Annäherung an Kabul einsetzen. Dies sei auch deshalb nötig, weil eine Ausbreitung der Taliban-Bewegung nach Zentralasien unmittelbar bevorstehe.

    Ahmed Rashid: "Sturz ins Chaos: Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban". Erschienen im Leske-Verlag. 320 Seiten kosten 19 Euro 90, ISBN: 978-3-942377-003.