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Gefährliches Engagement

Erneut wurde eine tschetschenische Menschenrechtsaktivistin in Grosny tot aufgefunden. Sarema Sadulajewa leitete die Organisation "Rettet die Generation". Sie kümmerte sich vor allem um kriegsversehrte Kinder, Opfer von Landminen. Müssen jetzt auch Mitarbeiter humanitärer Organisationen um ihr Leben fürchten?

Von Gesine Dornblüth | 13.08.2009
    Nachdem der Mord an Sarema Sadulajewa und ihrem Ehemann bekannt wurde, versammelten sich gestern Vertreter nahezu aller Nichtregierungsorganisationen in Grosny - um zu trauern, aber auch, um zu beraten, wie sie weitermachen wollen. Die Bürgerrechtler sind schockiert und haben Angst. Sie sorgen sich um ihre Sicherheit. Er habe seine Mitarbeiter angewiesen, nur noch zu zweit auf die Straße zu gehen, berichtet der Leiter eines Menschenrechtszentrums. Außerdem wollten sie von nun an noch vorsichtiger sein, welche Informationen sie veröffentlichen und welche nicht.

    Der Mord ist ein herber Schlag für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien. Die steht schon jetzt fast vollständig unter der Kontrolle von Präsident Ramsan Kadyrow. Es gibt zwar eine Fülle von Nichtregierungsorganisationen, sogenannten NGOs. Sie heißen "Frauenunion Tschetscheniens", "Gerechtigkeit", "Stabilität", "Friedenszentrum", "Echo des Krieges" oder "Dialog". Aber es ist schwierig, zu beurteilen, wessen Interessen solche Organisationen wirklich vertreten. Viele NGOs wurden in den letzten Jahren auf Initiative des Präsidenten oder seines Apparates gegründet oder aber von ihnen übernommen - sie sind also in Wirklichkeit von der Regierung gesteuert und vertreten dementsprechend die Interessen der Machthaber.

    Vertreter dieser Organisationen kritisieren zwar Missstände, aber nur solche, die der Staatspräsident Kadyrow sowieso beseitigen will. So setzen sie sich zum Beispiel für die Aufklärung der Kriegsverbrechen in den frühen 2000er-Jahren ein; sie kämpfen gegen die Misshandlung tschetschenischer Häftlinge in russischen Gefängnissen; oder sie prangern die Diskriminierung von Tschetschenen in Russland an. Und sie widmen sich humanitären Problemen. Politik oder gar Kritik an der Regierung und an Präsident Kadyrow sind für sie tabu. Morde, Folter oder fabrizierte Prozesse im heutigen Tschetschenien thematisieren sie nicht.

    Derlei Kritik offen zu äußern, traute sich in Tschetschenien vor allem die Menschenrechtsorganisation Memorial. Die aber hat Mitte Juli ihr Büro in Grosny geschlossen - als Reaktion auf den Mord an ihrer Mitarbeiterin Natalja Estemirova.

    Viele vermuten, dass Kadyrow selbst den Mord an Estemirova angeordnet hat. Der war sich nicht zu schade, die Bürgerrechtlerin noch nach ihrem Tod zu verunglimpfen. Dem Radiosender Radio Liberty sagte er vor gut einer Woche:

    "Warum sollte ich eine Frau umbringen, die niemand braucht? Sie hatte niemals Ehre, Würde und Gewissen."
    Ganz ähnlich hatte Vladimir Putin, damals Präsident Russlands, reagiert, als die russische Journalistin Anna Politkowskaja im Herbst 2006 in Moskau ermordet worden war. Auch Politkowskaja hatte Verbrechen und Unrecht in Tschetschenien öffentlich gemacht. Putin tat das Verbrechen an der Journalistin damals mit den Worten ab, Politkowskaja habe in Russland kaum eine Rolle gespielt. Ihr Tod habe Russland mehr Schaden zugefügt als ihre Zeitungsartikel.

    Sarema Sadulajeva galt nicht als offene Kritikerin Kadyrows. Im Gegenteil, bei einigen Projekten hat sie sogar mit Regierungsvertretern zusammengearbeitet. Kollegen von Sarema Sadulajeva berichten, ihre Opposition sei eher still gewesen und symbolisch. So hatte sie zum Beispiel kein Porträt des Präsidenten in ihren Büro aufgehängt, anders als viele andere.

    Nach der Ermordung Sarema Sadulajevas und ihres Mannes sprach Ramsan Kadyrow gestern in Grosny von einem "zynischen und unmenschlichen Mord". Er erklärte es zu einer "Ehrensache", den Mord so schnell wie möglich aufzuklären. Und er sprach nebulös von "Banditen" und "Feinden des tschetschenischen Volkes und Russlands", die eine Atmosphäre der Angst verbreiten wollten, um den Wiederaufbau der Republik zu behindern.

    Wer auch immer hinter diesem Mord steht, das Signal zumindest wirkt: Der Redakteur einer Zeitung in Grosny sagte diesem Sender: "Wir ziehen unsere Schlüsse. Still und jeder für sich." Damit, dass nach den drei Morden in kurzer Zeit die Kritik gegenüber Kadyrow in Tschetschenien wächst, ist nicht zu rechnen.