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Gefährliches Land für Journalisten: Kolumbiens Bürgerkrieg bedroht die Pressefreiheit

Die Spur war heiß und Jineth Bedoya berufsmäßig neugierig. Im Gefängnis Modelo in Bogota waren 27 Insassen massakriert worden. Der traurige kolumbianische Bürgerkrieg hatte seine Fortsetzung hinter Gittern gefunden - dank der Korruption konnten Waffen nach Modelo hineingeschmuggelt werden. Alles deutet auf die Paramilitärs, rechtsgerichtete so genannte Selbstverteidigungsgruppen hin. Für die Tageszeitung El Espectador hatte die junge Reporterin den Fall aufgegriffen. Ein Interview in der Angelegenheit konnte Jineth Bedoya trotz vorheriger Drohungen einfach nicht abschlagen. Das Rendezvous zum Gespräch mit einem Paramilitär am 25. Mai vor zwei Jahren wurde zum Albtraum.

Burkhard Birke |
    Am Gefängniseingang wurde ich entführt. Sie haben mich aus Bogota nach Villavicencio, einer etwa drei Autostunden entfernt gelegenen Stadt gebracht. Dort haben sie mich nach 14 Stunden Entführung einfach irgendwo hingeworfen, nachdem sie mich geschlagen, vergewaltigt und psychisch unter Druck gesetzt hatten.

    Es mag makaber klingen: aber vielleicht hat Jineth Bedoya Glück im Unglück gehabt. Denn viele ihrer Kollegen bezahlen ihre Sorgfalt bei der Recherche in Kolumbien mit dem Leben: in den letzten zehn Jahren 45! Das ist aber nur die offizielle Zahl: die nach- und von Reportern ohne Grenzen aus-gewiesene. Inoffiziell lässt sich eine andere Bilanz aufmachen: da wurden allein im vergangenen Jahr nicht nur drei, sondern 12 Journalisten ermordet. Ganz zu schweigen von den entführten und bedrohten Reportern. Peter Korneffel, Mitarbeiter von Reportern ohne Grenzen, lebt selbst als Journalist in Kolumbien:

    Journalisten, die sich hier in Kolumbien direkt in den Konflikt einmischen, d.h. also als Reporter vor Ort arbeiten, versuchen zwischen der Guerilla, zwischen der rechtsgerichteten paramilitärischen Vereinigung zu recherchieren, Interviewpartner zu finden und der Wahrheit auf die Spur zu gehen, leben sehr gefährlich. Es ist so, dass sie mehr und mehr zwischen diese Fronten geraten, zwischen rechts und links und manchmal im Dickicht des Regenwaldes, der sehr umkämpft ist, aufgrund auch der großen Kokainanpflanzungen dort, weiss man gar nicht mehr auf welcher Seite man ist. Es geht den Journalisten dann wie vielen Dörfern auch, die bedroht werden, zu kooperieren mit der einen Seite und entsprechend von der anderen Seite bedroht werden und auch immer wieder ermordet werden.

    Der jüngste Fall: Juan Carlos Gomez von der Radiostation La Voz de Aguachica. Er wurde am 1. April vermutlich von Paramilitärs entführt. Zwei Tage später schwamm seine Leiche im Magdalenafluss. Der Konflikt zwischen rechtsgerichteten sogenannten Selbstverteidigungsgruppen, den Paramilitärs und der Guerilla ist nur eine Seite der schmutzigen Medaille. Auch dem Militär werden immer wieder Verstöße gegen die Menschenrechte vorgeworfen, auch von ihm fühlen sich Reporter bedroht. Hinzu kommt das, was in die Rubrik allgemeine Kriminalität eingeordnet wird! 400 Dollar soll der jugendliche Killer kassiert haben, der den Zeitungsredakteur Orlando Sierra im Januar in Manizales umgelegt hat. Sierra hatte einige lokale Korruptionsskandale offengelegt. Auf der Anklagebank sitzt der junge Mörder: die Auftraggeber bleiben im Dunkeln. So - wie auch die Behörden bis heute nicht mit Sicherheit wissen, wer hinter der Entführung von Jineth Bedoya steckt.

    Die Justiz in Kolumbien ist wirkungslos. Zu viele Täter gehen straffrei aus, vor allem Mörder und Kidnapper, In so gut wie keinem der 30.000 Mordfälle, die im Jahr in Kolumbien registriert werden, kommt es zu einer Verurteilung,

    gibt denn auch der liberale Kandidat für die bevorstehende Präsidentschaftswahl, Horacio Serpa, zu. Er will die Justiz stärken, sein Gegenspieler Alvaro Uribe, dem Kontakte zu den paramilitärischen Gruppen nachgesagt werden, mit harter Hand regieren. Die politische Situation bleibt verfahren: 80 Prozent des Territoriums sind direkt oder indirekt in die kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Guerilla, Militär und 'Paras' verwickelt. Patentlösungen kann keiner der Präsidentschaftskandidaten bieten. Für die Journalisten im Land bedeutet das: sie leben weiterhin gefährlich auf der Suche nach Objektivität. Peter Korneffel:

    Eine objektive Berichterstattung ist unter diesen Umständen natürlich nur noch ganz bedingt möglich, sagen wir einmal abdeckend, den Konflikt in Kolumbien abdeckend. Das hat sich erledigt, spätestens seit dem Erstarken der rechtsgerichteten Paramilitärischen Gruppe, die nun eine offene Schlacht führen mit den linksgerichteten Guerillaverbänden Kolumbiens. Dazwischen überhaupt noch objektive Informationen zu bekommen und das Wagnis einzugehen, diese auch zu veröffentlichen namentlich ist das tragende Problem der Unabhängigkeit des kolumbianischen Journalismus.

    Jineth Bedoya hat am eigenen Leib erfahren müssen, wie schmerzvoll die Suche nach der Wahrheit sein kann. Den persönlichen Schock hat sie noch längst nicht verkraftet, aber sie schreibt wieder zum Thema innere Sicherheit: jetzt für die Zeitung El Tiempo. Ein Flugticket mit Aussicht auf Asyl in Europa - wie es einigen wenigen verfolgten Journalisten im Land als Schutzprogramm angeboten wurde - hat sie bisher abgelehnt.

    Ich schulde niemandem etwas. Ich glaube ich habe bis heute meinen Job ehrlich gemacht und deshalb weigere ich mich, mein Land zu verlassen. Kolumbien ist ein bedrohtes Land Wir sind alle bedroht und die Lösung ist nicht zu fliehen. Einige von uns müssen hier bleiben, uns den Herausforderungen stellen und für unser Land kämpfen.

    Das tut Jineth vorbildlich: erst kürzlich besuchte sie zuerst die Lager der kolumbianischen FARC Guerilla in Venezuela, sozusagen um den venezolanischen Präsidenten Chavez zu widerlegen. Anschließend sah sie sich auf kolumbianischem Territorium mit Paramilitärs konfrontiert. Dieses Mal hatte Jineth Bedoya Glück: sie überlebte die Recherchereise unbeschadet, mit Eindrücken aus beiden Lagern der verfeindeten Gruppierungen.