Langsam aber sicher lässt mein Jetlag nach. Zumindest an einigen Abenden gelingt es mir schon, länger als bis 20 Uhr wach zu bleiben. Heute ist so einer. Ich sitze im Bürgerzentrum von Fort McKay, einer kleinen, indigenen Gemeinde mitten in den Ölsandfeldern. Neben mir hat eine etwa 70-jährige Frau in einem langen Fellmantel Platz genommen, mit tiefschwarzen Haaren, mintgrün lackierten Fingernägeln und gleichfarbigen Ringen an jedem Finger. Sie ist wütend. Genauso wie der 90-jährige Mann in Holzfällerhemd und Baseballmütze auf dem Stuhl neben ihr.
Beide sind wegen des Trinkwassers gekommen. Seit etwa einer Woche warnen die Behörden davor, das Leitungswasser in Fort McKay zu trinken. Im Vestibül des Gemeindezentrums stapeln sich deshalb Plastikkanister mit sauberem Wasser. Im Leitungswasser wurden hohe Mengen an Trihalogenmethanen und anderen Stoffen entdeckt, die bei der Desinfektion von Wasser entstehen.
Der Arzt der Gemeinde, John O'Connor, hat die Gemeindeversammlung organisiert, um Fragen zu beantworten. Eine Frage aber, die ihn selbst ratlos zurücklässt, ist die, warum die Behörden seit offenbar mindestens 17 Jahren von den viel zu hohen Werten gewusst, aber es nicht für nötig befunden hätten, Alarm zu schlagen.
Die Dame im Fellmantel will wissen, ob die Ölsandfirmen für das verseuchte Wasser verantwortlich sein. Jeder wüsste doch, dass die nachts irgendwas verklappen würden. Viele der Anwesenden nicken. Der Umweltwissenschaftler Kevin Timoney aber steht auf und schüttelt den Kopf. Solche Stoffe entstünden immer, wenn Wasser mit Chlor versetzt würde, um es keimfrei zu machen. Das werde in jedem Wasserwerk gemacht, aber normalerweise seien die Schadstoffmengen vernachlässigbar klein. Bislang könne niemand sagen, warum ausgerechnet in Fort McKay so hohe Werte aufträten.
Es gelingt ihm nicht, dass Misstrauen der Dame zu zerstreuen. Auch wenn viele Einwohner von Fort McKay gutes Geld auf den Ölsandfeldern verdienen, gehen sie davon aus, dass "der weiße Mann" sich nicht darum schert, was der Ölsandabbau für die Menschen in Nordalberta bedeutet. Fast jeder der Anwesenden hat mindestens einen Krebsfall in der Familie. In einigen Gemeinden stromabwärts der Ölsandfelder ist die Krebsrate bis zu 30 Prozent höher als im Durchschnitt. Nur schleppend laufen Untersuchungen an, die den Ursachen dafür auf den Grund gehen sollen.
Am nächsten Tag ist Remembrance Day in Kanada. Ein nationaler Feiertag, an dem der in Kriegen gefallenen Kanadier gedacht wird. Fast alle Leute auf der Straße haben eine Plastik-Mohnblüte am Revers stecken. Ich bin mit John O'Connor zum Interview verabredet. Er hat als erster auf die ungewöhnlich hohen Krebsraten aufmerksam gemacht und ärgert sich bis heute über die Ignoranz der Behörden, gerade wenn es um die Sorgen der Ureinwohner gehe.
Dieses Land habe nichts mehr mit dem positiven Image zu tun, das es in der Welt verbreite und das ihn vor mehr als 20 Jahren hierher gelockt habe, sagt der gebürtige Ire. Dieser Satz kommt mir merkwürdig bekannt vor. Einer meiner Interviewpartner an der Universität von Alberta hat am Montag fast exakt genau dieselben Worte benutzt. David Schindler, ein Ökologieprofessor, der vor vielen Jahren aus den USA eingewandert ist, weil er hoffte, in Kanada ein Land zu finden, das verantwortlich mit seinen Natur und seinen Ressourcen umgeht. Wäre er 20 Jahre jünger, würde er sich ein neues Land suchen, hatte Schindler gesagt. Schweden oder Norwegen vielleicht.
Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch
Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.
Beide sind wegen des Trinkwassers gekommen. Seit etwa einer Woche warnen die Behörden davor, das Leitungswasser in Fort McKay zu trinken. Im Vestibül des Gemeindezentrums stapeln sich deshalb Plastikkanister mit sauberem Wasser. Im Leitungswasser wurden hohe Mengen an Trihalogenmethanen und anderen Stoffen entdeckt, die bei der Desinfektion von Wasser entstehen.
Der Arzt der Gemeinde, John O'Connor, hat die Gemeindeversammlung organisiert, um Fragen zu beantworten. Eine Frage aber, die ihn selbst ratlos zurücklässt, ist die, warum die Behörden seit offenbar mindestens 17 Jahren von den viel zu hohen Werten gewusst, aber es nicht für nötig befunden hätten, Alarm zu schlagen.
Die Dame im Fellmantel will wissen, ob die Ölsandfirmen für das verseuchte Wasser verantwortlich sein. Jeder wüsste doch, dass die nachts irgendwas verklappen würden. Viele der Anwesenden nicken. Der Umweltwissenschaftler Kevin Timoney aber steht auf und schüttelt den Kopf. Solche Stoffe entstünden immer, wenn Wasser mit Chlor versetzt würde, um es keimfrei zu machen. Das werde in jedem Wasserwerk gemacht, aber normalerweise seien die Schadstoffmengen vernachlässigbar klein. Bislang könne niemand sagen, warum ausgerechnet in Fort McKay so hohe Werte aufträten.
Es gelingt ihm nicht, dass Misstrauen der Dame zu zerstreuen. Auch wenn viele Einwohner von Fort McKay gutes Geld auf den Ölsandfeldern verdienen, gehen sie davon aus, dass "der weiße Mann" sich nicht darum schert, was der Ölsandabbau für die Menschen in Nordalberta bedeutet. Fast jeder der Anwesenden hat mindestens einen Krebsfall in der Familie. In einigen Gemeinden stromabwärts der Ölsandfelder ist die Krebsrate bis zu 30 Prozent höher als im Durchschnitt. Nur schleppend laufen Untersuchungen an, die den Ursachen dafür auf den Grund gehen sollen.
Am nächsten Tag ist Remembrance Day in Kanada. Ein nationaler Feiertag, an dem der in Kriegen gefallenen Kanadier gedacht wird. Fast alle Leute auf der Straße haben eine Plastik-Mohnblüte am Revers stecken. Ich bin mit John O'Connor zum Interview verabredet. Er hat als erster auf die ungewöhnlich hohen Krebsraten aufmerksam gemacht und ärgert sich bis heute über die Ignoranz der Behörden, gerade wenn es um die Sorgen der Ureinwohner gehe.
Dieses Land habe nichts mehr mit dem positiven Image zu tun, das es in der Welt verbreite und das ihn vor mehr als 20 Jahren hierher gelockt habe, sagt der gebürtige Ire. Dieser Satz kommt mir merkwürdig bekannt vor. Einer meiner Interviewpartner an der Universität von Alberta hat am Montag fast exakt genau dieselben Worte benutzt. David Schindler, ein Ökologieprofessor, der vor vielen Jahren aus den USA eingewandert ist, weil er hoffte, in Kanada ein Land zu finden, das verantwortlich mit seinen Natur und seinen Ressourcen umgeht. Wäre er 20 Jahre jünger, würde er sich ein neues Land suchen, hatte Schindler gesagt. Schweden oder Norwegen vielleicht.
Die weiteren Tagebucheinträge von Monika Seynsche finden Sie unter:
Wunden der Erde - Ein Reisetagebuch
Die Recherchereise wurde mit Mitteln der Robert Bosch Stiftung im Rahmen der Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert.


