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Gefängnisse in Sachsen
Gitterlose Zellen sollen Suizide verhindern

Mit speziellen Hafträumen für suizidgefährdete Gefangene reagiert die sächsische Justiz auf die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Jaber Al-Bakr vor zwei Jahren. Sein Suizid in der JVA Leipzig wirkt bis heute nach. Man hatte ihn vor allem als Gefahr für andere eingestuft - und nicht für sich selbst.

Von Bastian Brandau | 18.12.2018
    Das Ortseingangsschild von Leipzig (Sachsen) ist vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig zu sehen.
    2016 hatte sich in der JVA Leipzig der Terrorverdächtige Jaber Al-Bakr das Leben genommen (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Der Schlüsselbund ist ein wichtiges Arbeitsinstrument von Nicole Borchert. Täglich schließt sie mehrere dutzend Türen auf. Und wieder zu, wir sind schließlich in einem Gefängnis. Freundlich und gut gelaunt grüßt die Psychologin Borchert jeden auf unserem Weg durch die langen Gänge und die zahlreichen Gittertüren der Justizvollzugsanstalt Leipzig. Das entspannt in einer Umgebung, in der Plätz für etwa 450 männliche Häftlinge ist. Die Treppe hoch, den Gang entlang, dann zeigt mir Borchert einen Raum, den es so erst seit wenigen Jahren gibt:
    "Sie sehen schon eine etwas freundlichere Farbe. Hellblau ist kühl, ist tatsächlich geeignet ein bisschen anregend zu sein, ist keine trostlose Farbe, wie auch der Rest von dem Raum eher angenehm, also immer bezogen auf ein Gefängnis, gestaltet ist."
    Wir stehen im Suizidpräventionsraum. Nur ein paar Schritte lang, darin ein Bett mit einem Bild darüber, ein Fernseher, der in die Wand eingelassen ist. Vor der Toilette eine etwa hüfthohe Wand. Füße und Kopf bleiben sichtbar, wenn dort jemand sitzt. Denn: In diesem Raum steht der Insasse immer unter Beobachtung – im Nachbarzimmer, hinter einer großen Glaswand, sitzt dann ein Vollzugsbeamter.
    Kommunikation mit Inhaftierten ist wichtig
    Es gibt hier ein kleines Fenster, das kann man öffnen, es geht ja nicht nur darum, zu beobachten, sondern es geht darum, Beziehung zu halten. Das Motto in der Suizidprävention ist: "Nur die Emotionen tragen". Also um jemanden aus dieser Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit wieder herauszuholen, braucht es ein Beziehungsangebot. Kommunikation findet statt, das kann auch jeder Bedienstete. Manchmal sind es auch einfach nur kleine Wortwechsel, dass derjenige sich nicht verfolgt fühlt, sondern das Ganze auch als ein Stück Fürsorge erleben kann.
    Fürsorge, um den Häftling durch eine Phase mit Suizidgedanken zu begleiten. In Leipzig setzt man dabei seit über 15 Jahren auf einen selbst entwickelten Aufnahmebogen. Hat der Häftling schon einmal versucht, sich das Leben zu nehmen? Hat er eine lange Haft zu erwarten? Besteht ein Alkohol- oder Drogenproblem? Alles Faktoren, die auf eine höhere Suizidgefahr hinweisen können. Anhand einer Reihe von Punkten gibt der aufnehmende Beamte eine erste Einschätzung ab. Die Entscheidung, wie ein Häftling einzustufen ist, trifft immer ein Team, die Verantwortung trägt der Anstaltsleiter.
    "Man verschafft sich ja auch Zeit und Sicherheit mit diesem Räumen. Räume sind niemals eine Behandlungsmethode sondern sie helfen nur, dass man in Ruhe nachdenken kann, was braucht derjenige jetzt."
    Und dann entsprechend die Arbeit mit Psychologen oder Psychiatern beginnen kann. Besonders hoch ist das Suizidrisiko in den ersten Wochen, hat man festgestellt.
    "Wir hatten nochmal eine Häufung nach sechs Monaten. Also wenn eine Routine eingekehrt ist, dann kann es sein, dass man jemanden nicht mehr so auf dem Schirm hatte bis vor ein paar Jahren. Deswegen wurde an der Stelle auch nochmal nachjustiert und Leute, die also schon mal einen Suizidversuch unternommen haben, die sind regelmäßig über ein Jahr im Monitoring der Psychologen. Und damit geht nicht mehr viel schief. Also die Suizidrate ist äußerst gering und jedenfalls geringer als in freier Wildbahn.
    Der Fall Al-Bakr wirkt bis heute nach
    2015 gab es keinen Suizid. 2016 nahm sich hier in der JVA Leipzig der Terrorverdächtige Jaber Al-Bakr das Leben, der in Chemnitz einen Sprengsatz gebaut hatte. Ihn hatten sie vor allem als eine Gefahr für andere eingestuft und nicht als akut suizidgefährdet. Auch, weil nicht sofort ein Dolmetscher zur Verfügung stand. Diesen besonderen Fall hat die Anstalt nur schwer verdauen können, sagt Nicole Borchert.
    "Also wir haben bis dahin noch niemals im Vorfeld damit beschäftigen müssen, was machen wir mit einem Terrorverdächtigen? Wie wollen wir mit dem umgehen, was ist wichtig aus der Perspektive der Sicherheit, was ist wichtig aus der Perspektive der Suizidprävention? Diese ganze Dolmetschergeschichte kam ja erst im Zuge dessen auf. Und wir waren sicherlich an der Stelle mit etwas neuem konfrontiert und hatten keine Zeit, gut zu überlegen, was wir wie tun müssen. Und dann war die Zeit zu kurz. Das hat jeden hier betroffen gemacht."
    Als Konsequenz gibt es mehr Dolmetscher. Die Mitarbeiter haben sich außerdem weiter fortgebildet, auch in interkultureller Kompetenz. In den sächsischen Haftanstalten werden derzeit Räume gebaut für Häftlinge, die sowohl für sich als auch andere eine Gefahr darstellen. Im laufenden Jahr gab es in der JVA Leipzig bis Mitte Dezember keinen Suizidversuch.