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Gefahr für den Bel Paese

Geophysik. - Flutwellen nach Seebeben sind nicht nur im Pazifik und im Indischen Ozean eine Gefahr, Tsunamis könnten auch Europas Küsten zerstören. Am Dienstag registrierten die Seismologen ein Seebeben der Stärke 5, 4 in der Ägäis. Und auch die vulkanischen Aktivitäten vor Italiens Küste sind eine Bedrohung. Mit modernsten Geräten versuchen italienische Forscher, die Gefährdung abzuschätzen.

von Thomas Migge |
    Tsunamis wie im Indischen Ozean könnten sich auch im Mittelmeer ereignen.
    Tsunamis wie im Indischen Ozean könnten sich auch im Mittelmeer ereignen. (AP)
    Italien ist das Land Europas mit den meisten Vulkanen - über wie auch unter der Wasseroberfläche. Die Gefahrenherde in der Tiefe können, wie in Südostasien, auch im Mittelmeer Tsunamis provozieren. Mit Hilfe der gerade fertiggestellten Forschungsstation Orion-Geostar 3 wollen die Forscher die reale Gefahr ermitteln, die von diesen Unterwasservulkanen ausgeht. Der Geologe Mario Biasio gehört zum Expertenteam am nationalen geologischen Forschungszentrum in Rom :

    Wir mussten uns mit der Hypothese beschäftigen, dass Italien nicht nur von den bereits bekannten Vulkanen bedroht wird, sondern auch von jenen, die wir bisher immer unterschätzt haben und die in mehr als 3000 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund zu finden sind. Große Sorgen macht uns der Marsili zwischen Salerno und Cefalù. Dieser Vulkan ist vielleicht noch gefährlicher als die anderen.

    Der Roboter Orion-Geostar 3 führt am Fuße des Vulkankegels, der sich auf dem Meeresgrund wie ein riesiger Pickel erhebt, Untersuchungen durch. Der Marsili ist der Hauptvulkan eines gigantischen unterirdischen Vulkankomplexes. Wann wird er ausbrechen? Und: wie wird sein Ausbruch verlaufen? Mario Biasio:
    Unser Aktionsradius in dieser Tiefe ist sehr beschränkt. Orion-Geostar 3 wurde deshalb so konzipiert, wie wir das von ähnlichen geologischen Robotern aus der Raumfahrt kennen: auch unser Vulkanroboter wird ferngesteuert und muss härtesten Bedingungen standhalten. Er sieht aus wie eine unbemannte Station auf einem Planeten und führt vollautomatisch alle Untersuchungen durch. Das Projekt konnte natürlich nur mit EU-Fördergeldern zustande kommen.

    Ergebnis der Forschungsarbeiten ist der sechs mal sechs Meter große Unterwasserroboter. Mit seinen Sensoren misst er auch die kleinsten Bodenbewegungen. Seine Daten schickt er über Radiowellen zu einer Boje, die auf der Meeresoberfläche verankert ist. Von dieser Boje aus werden die Informationen über eine Satellitenantenne an die verschiedenen nationalen Forschungsinstitute, die sich mit geologischen Phänomenen beschäftigen, weitergeleitet. Von den minimalsten Bodenbewegungen am Fuße des Marsili können die Wissenschaftler auf den Druck schließen, mit dem Magma aus dem Vulkaninneren nach oben drängt. Orion-Geostar 3 fängt auch Gase ein, die der Vulkan abgibt. Diese Gase werden vor Ort auf ihre Zusammensetzung hin untersucht. Mario Biasio:

    Diese Daten liefern uns Informationen, um die nächste vulkanische Zukunft vorauszusehen. Bisher wussten wir von deren Existenz, verfügten aber über keine Daten und fühlten uns seiner Gewalt gegenüber so ausgeliefert, wie man sich früher anderen Vulkanen gegenüber ausgeliefert fühlte. Unser Ziel ist es, die Unterwasservulkane ständig zu kontrollieren. So, wie wir das mit dem Ätna, dem Vesuv und dem Stromboli machen. Mit einem Tag und Nacht-Überwachungssystem.

    Ein Kontrollsystem, das nicht nur auf den vulkanisch aktiven Meeresboden zwischen Salerno und Cefalù beschränkt bleiben soll. Geplant ist noch in diesem Jahr eine Forschungsstation zwischen Sardinien und der der Insel gegenüberliegenden Küste bei Rom. In einer Tiefe von 3.350 Metern findet sich dort einer der aktivsten Vulkane Europas, der Vassilov. Erste Hochrechnungen und Computersimulationen aufgrund der durch Orion-Geostar 3 ermittelten Daten ergaben, dass beim Ausbruch dieses Vulkans mit einem Seebeben gerechnet werden muss, das zu Wellen führen könnte, die eine Höhe von bis zu zehn Metern erreichen. Düstere Aussichten für die dicht besiedelten Küstengebiete.