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Gefahr für Nietzsches Geburtshaus

Die 600-Seelen-Gemeinde Röcken in Sachsen-Anhalt ist ein kleiner Wallfahrtsort. Dort wurde Friedrich Nietzsche geboren, dort fand er nach seinem Tod 1900 die letzte Ruhestätte, und dort steht ein Museum zu seinen Ehren. Doch unter Röckens Erde liegt nicht nur der tote Philosoph, sondern auch jede Menge Braunkohle, die ab 2035 gefördert werden soll. Dadurch sehen viele Nietzsches Dörfchen bedroht.

Von Secilia Pappert |
    Wer nach Röcken kommt, sieht das Dorf mit den Augen Friedrich Nietzsches. Die Wurzeln des "Antichristen", des "Zarathustras" und Verfechters der "fröhlichen Wissenschaft" liegen in ländlicher Idylle - Röcken, das ist Geschichte zum Anfassen, so Ralf Eichberg, Geschäftsführer der Nietzsche-Gesellschaft

    "Was haben wir? Wir haben das Geburtshaus, wir haben die Taufkirche, wo sein Vater gepredigt hat. Wir haben das ganze Pfarrhausareal mit dem Museum. Wir haben den Obstgarten. Wir haben die Schule, wo Nietzsche zur Schule gegangen ist, lesen und schreiben gelernt hat ...Wir haben die Gräber. Friedrich Nietzsches, Elisabeth Förster Nietzsches, Franziska Nietzsches, Karl Ludwig Nietzsches und sein kleiner Bruder, liegt auch noch dort begraben "

    1844 wurde Nietzsche in Röcken als Sohn eines Pfarrers geboren. Hier verbrachte er die ersten sechs Jahres seines Lebens. Immer wieder erinnerte sich der Philosoph an jene glückliche Zeit, so Ralf Eichberg weiter

    "Weil ... wenn wir uns die Autobiografien Nietzsches anschauen : Wie er seine Spielplätze beschreibt, die Teiche, den Weg nach Lützen, den er mit dem Vater zu Fuß gegangen ist."

    Heute wehen große Plakate mit Zarathustra-Zitaten im Dorf. "Bleibt mir der Erde treu" warnen sie. Allerdings hat das weniger mit einer besonders großen Nietzsche-Verehrung der Dorfbewohner zu tun, sondern mit den Probebohrungen, die die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft Mibrag seit Juli 2006 in und um Röcken durchführt. 8.200 Hektar hat man abgesteckt, zwischen der Autobahn A 9 und dem Schlachtfeld Lützen, auf dem der Schwedenkönig Gustav Adolf im Kampf gegen Wallenstein fiel. Ende 2008 sollen die Probebohrungen abgeschlossen sein. Dann erst entscheidet sich, wo genau der Tagebau hinkommt, so Andreas Günther von der Mibrag ...

    "Letztendlich wird es das Ergebnis eines Raumordnungsverfahrens sein, also mit einer anschließenden politischen Entscheidung, wo Braunkohlenabbau stattfindet. So gesehen kann selbst wenn ichs wöllte jetzt nicht sagen, wir nehmen die und die Ortschaft in Anspruch. Wir werden natürlich tunlichst versuchen, keine Ortschaft in Anspruch zu nehmen. "

    Fakt ist, Röcken liegt mitten im Erkundungsgebiet. Ebenso Fakt ist, dass sich im Burgenland-Kreistag alle Fraktionen, außer den Grünen FÜR einen Tagebau im Gebiet Röcken-Lützen ausgesprochen haben. Fakt ist auch, dass hier jede Menge Braunkohle liegt. Geologen vermuten bis zu drei Kohle-Flöze, 15 bis 130 Meter tief gelegen.
    Die Mibrag sei sich des Themas Röcken und Nietzsche durchaus bewusst. Eine definitive Zusage, Röcken zu verschonen gibt sie dennoch nicht. Braucht sie auch nicht, findet Angelika Diesener. Pressesprecherin der Braunkohlegesellschaft. Noch ist ja nichts entschieden.

    "Wenn wir nun alle Auswertungen haben und sagen, Röcken Nietzsche ist überhaupt nicht betroffen. Was denn dann? .. Dann versinkt Nietzsche wieder in der Bedeutungslosigkeit. Weil ich kann mich an das Jahr 2000 erinnern, da hat hier überregional kaum jemand wahrgenommen, das Nietzsche in Röcken war. Also zum Nietzsche-Jahr .. das hat die Bevölkerung hier nicht wahrgenommen. "

    So langsam aber erwacht in Röcken und Umgebung das Interesse an Nietzsche. Könnte doch der Philosoph die einzige Möglichkeit sein, Haus und Hof vor den Braunkohlebaggern zu retten. Laut Bergrecht geht Allgemeinwohl, also Energieversorgung, vor Privateigentum. Bisher konnte sich kein Dorf erfolgreich gegen staatliche Bergbaupläne wehren.

    Joachim Salomon, der Röckener Pfarrer, lebt in Nietzsches Geburtshaus. Er habe zwar keine magische Beziehung zu Nietzsche und Nietzsche sei ja in seiner Kirche nicht unumstritten. Trotzdem gab es keine Frage, wie mit den Anträgen der Mibrag für Probebohrungen auf Kirchengelände zu verfahren sei:

    "Wir haben ohne, dass wir das in unseren Ratssitzungen hätten diskutieren müssen, wurden die Anträge der Mibrag einstimmig ohne Gegenstimme ohne Enthaltung abgelehnt. "

    Neben der Bürgerinitiative, die für die Anwohner kämpft, dem BUND und den Grünen die ein Braunkohlekraftwerk aus Umweltgründen ablehnen, kämpft auch die Nietzsche-Gesellschaft weiter für Röcken. Man habe bereits vor zwei Jahren ein Memorandum verfasst, das von vielen Wissenschaftlern und Intellektuellen unterschrieben wurde, erzählt Ralf Eichberg. Außerdem habe man gegen den Flächennutzungsplan Einspruch erhoben, der Röcken als Bergbaugebiet ausweist. Entwarnung kann man aber keinesfalls geben, so Eichberg.
    "Ich glaube auch, dass niemand der sich mit Nietzsche beschäftigt, die Abbaggerung von Röcken gut heißen wird. Also man wird diese Entrüstung überall erzeugen können. Die Frage ist allerdings, ob die wirtschaftliche Prosperität im Süden Sachsen-Anhalts, höher gewertet wird als dieses kulturhistorische Kleinod Röcken. "