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Gefahr vom neuen Feminismus

In Frankreich ist es seit Jahrzehnten selbstverständlich, dass Mütter ihre Kinder im Alter von wenigen Wochen in der Kinderkrippe abgeben. Dennoch sieht die französische Feministin Elisabeth Badinter auch dort die Gefahr, dass Frauen zurück in die überkommene Mutterrolle gedrängt werden.

Von Christine Heckmann | 22.11.2010
    Ein neuer Feminismus gefährdet die Frauen weltweit, warnt die französische Autorin Elisabeth Badinter. Die Freiheit der Frau sei in Gefahr, schreibt die hoch anerkannte, aber auch umstrittene französische Soziologin und Philosophin. Sie sieht sich als geistige Schwester der Feministin und Schriftstellerin Simone de Beauvoir. In ihrem Buch "Der Konflikt. Die Frau und die Mutter" beschreibt Badinter eine Strömung, die ein fast vergessenes, traditionelles Frauenbild wieder aufblühen lässt. Diese konservative Kehrtwende beschreibt Badinter so:

    "Man kehrte dem naturalistischen Ansatz von Simone de Beauvoir den Rücken, die mit einem Verweis auf die Ähnlichkeit der Geschlechter für Gleichberechtigung und Koedukation eingetreten war. Die zweite Welle des Feminismus entdeckte hingegen, dass die Weiblichkeit nicht nur eine Essenz, sondern auch eine Tugend ist, deren Kern die Mutterschaft bildet. Im Gegensatz zu Beauvoir, die in der Mutterschaft nur eine Begleiterscheinung im Leben der Frauen sah, begriff eine neue Generation von Feministinnen, die Mutterschaft als zentrale Erfahrung der Weiblichkeit. Die Frauen müssten wieder stolz auf ihre Rolle als Nährende sein, von denen Wohl und Schicksal der Menschheit abhängt."

    Die 66-jährige Badinter kritisiert, Ökologen und Verhaltensforscher predigten einen Mutterwahn. Dieser degradiere die Frau zum reinen Muttertier - zu einer Gebär-, Still- und Erziehungsmaschine. Das passt der dreifachen Mutter Badinter so gar nicht.

    "Dieses ideologische, naturalistische Modell hat zum Ziel die Bindung zwischen Mutter und Kind weiter zu vertiefen und viel länger aufrecht zu erhalten, als wir das gewohnt sind. Dazu gehört auch, 24 Stunden am Tag da zu sein und 6 Monate lang zu stillen. Wenn das Kind es will, sogar noch zusätzliche 18 Monate. All das setzt voraus, dass die Frau ihre Mutterrolle wieder ins Zentrum stellt und darin aufgeht - auf Kosten ihrer eigenen Wünsche."

    Frauen gerieten zunehmend unter Druck, eine perfekte, ja eine Übermutter zu sein, so Badinter. Sie würden verdonnert, mehr auf ihre Hormone als auf ihre Wünsche zu hören. Denn die Mutterschaft werde wieder zum Dreh- und Angelpunkt der weiblichen Identität.

    "Vor allem verfügt die naturalistische Philosophie über die Macht, Schuldgefühle zu erzeugen. Mütter, die vom perfekten Kind träumen, müssen den Preis dafür zahlen."

    Es ist der Preis der Freiheit, meint Badinter. Ihren Feind hat die ehemalige Hochschulprofessorin längst ausgemacht. Es ist die 'Leache Ligue' - ein Verband amerikanischer Mütter - der nichts anderes predigt, als der moralischen Autorität der Natur zu folgen. Und das heißt in erster Linie: Stillen! In ihrem Buch betreibt Badinter einen wahren Feldzug gegen die Organisation, die sie wie eine Sekte beschreibt. Von Milch-Terror und Still-Ayatollahs ist da die Rede. Die elegante Dame wird zum knurrigen Wadenbeißer. Mit ihrer wortgewaltigen Kritik erntet Badinter allerdings Aufmerksamkeit. Und genau das will sie.

    "Es gibt eine unterschwellige Entwicklung, die vor der Veröffentlichung dieses Buches nicht bekannt war: Das ist der Druck, den Ärzte und Krankenschwestern auf Frauen ausüben, damit sie so lange wie möglich stillen. Und sie wollen auch die Frauen dazu überreden, die das gar nicht wollen. Dieser Druck in den Krankenhäusern auf junge Frauen wird immer stärker. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Um zu sagen: Stopp!"

    Badinter macht das Stillen für eine - wie sie sagt - verheerende gesellschaftliche Entwicklung verantwortlich: den Verlust der Unabhängigkeit der Frau. Denn in Frankreich war stillen bislang vielmehr eine Option als eine Pflicht. Im Laufe des Buches begreift der Leser, Badinter fürchtet um die Emanzipation. Sie kämpft um ihr Lebenswerk, um die Errungenschaften der Feministinnen, wie Beauvoir, darum, dass Frauen ihr eigener Herr sein können. In dem Buch geht es nicht um Erziehungs- oder Familienpolitik, es geht einzig und allein um das Schicksal der feministischen Bewegung.

    "Die sanfte Tyrannei der Mutterpflichten ist nicht neu, aber sie hat sich mit der machtvollen Rückkehr des Naturalismus deutlich verschärft. Der viel gerühmte Maternalismus hat eher zu einer Verschlechterung der Lage der Frauen geführt. Der Rückschritt wird im Namen der Liebe zum Kind, des Traums vom perfekten Kind und der moralisch überlegenen Entscheidung gebilligt. Für diese Umwälzung des Modells von Mutterschaft mussten die Männer keinen Finger krumm machen. Das unschuldige Baby wurde - wenngleich nicht willentlich - zum stärksten alliierten der männlichen Herrschaft."

    Die Väter kommen in Badinters Buch übrigens nicht vor. Ihre Rolle wird ausgespart, so als gehörten sie nicht dazu. Überhaupt hat Badinter einen sehr verengten Blick auf die Mutterschaft. Erfüllung und Glück in der Mutterrolle scheint sie nicht zu kennen, die Last der Aufgabe dagegen schon. Einige ihrer Thesen wirken auf den ersten Blick skandalös. So spricht Badinter davon, Freude und Kummer der Mutterschaft gegeneinander aufzurechnen. Auch im Vorzeigeland Frankreich werde den Frauen immer mehr abverlangt, sagt die Feministin. Vergleicht man aber die französische Familienpolitik mit der deutschen, könnte man Badinter durchaus Panikmache vorwerfen. Denn während man in Deutschland durchaus noch erregt darüber debattiert, ob kleine Kinder durch die Fremdbetreuung in Kitas Schaden nehmen könnten, ist es für französische Frauen selbstverständlich, wenige Wochen nach der Entbindung wieder arbeiten zu gehen. Im europäischen Vergleich ist Frankreich Spitzenreiter bei der Geburtenrate - und nirgendwo arbeiten so viele Mütter Vollzeit. Noch, sagt Badinter:

    "Wenn man die Mutterrolle wie in Deutschland weiterhin so verherrlicht, wird die Geburtenrate dort auch nicht steigen. Meine Sorge ist, dass wir in Frankreich dem deutschen Modell folgen könnten. Deshalb möchte ich zeigen, dass wenn man Frauen weniger Druck macht eine perfekte Mutter zu sein und wenn man ihnen Möglichkeiten der Kinderbetreuung anbietet, dann nehmen auch ihre Schuldgefühle ab. Und dann erlauben sie sich wieder, Kinder zu bekommen."

    Badinter hat nun den Warnschuss abgefeuert - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie provoziert bewusst, um gehört zu werden. Ihr Anliegen ist in erster Linie, die Selbstbestimmung der Frauen zu schützen. In ihrer Streitschrift macht Badinter aber auch deutlich: Richtig oder falsch gibt es beim Thema Mutterschaft nicht. Jede Frau soll für sich selbst entscheiden können - aber Auswahlmöglichkeiten, die müsse man ihr geben! Eine Forderung, die nicht skandalös ist, sondern längst fällig war.

    Elisabeth Badinter: Der Konflikt: Die Frau und die Mutter.
    C.H. Beck Verlag, 222 Seiten, € 17,95
    ISBN 978-3406608018