Heuer: Sind Sie da mit dem deutschen Verteidigungsminister komplett einig, oder gibt es Unterschiede in der politischen und der Bewertung vor Ort?
Löbbering: Die politische Bewertung nimmt ausschließlich der deutsche Verteidigungsminister vor und nicht der ISAF-Sprecher, aber ich denke, dass es hier in der Beurteilung durch die Fachleute keinerlei Unterschiede gibt.
Heuer: Daraus schließe ich, es ist auch keine Situation für Sie denkbar oder vorstellbar, wenn Sie spekulieren sollten, in der die deutschen Soldaten aus Afghanistan möglicherweise sogar abgezogen werden müssten?
Löbbering: Jeder verantwortungsvolle militärische Führer plant alle ihm denkbaren möglichen Lagen ein. Dazu gehört selbstverständlich auch eine mögliche politische Lageentwicklung, die einen Abzug der ISAF-Truppe nötig machen würde. Dieses ist aber nicht, was wir real erwarten.
Heuer: Andersrum gefragt, in welcher politischen Lage würden Sie das denn real erwarten?
Löbbering: Das ist jetzt rein spekulativ. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich mich dazu nicht äußern kann.
Heuer: Die Attentate der vergangenen Woche oder dieser Raketenangriff haben ja gezeigt, dass die ISAF-Truppen doch nicht ganz sicher sind. Haben Sie die Schutzmaßnahmen verbessert?
Löbbering: Wir haben aufgrund der möglicherweise erfolgten Raketenabschüsse Anfang der Woche - ich betone möglicherweise, denn sie sind bisher nicht nachgewiesen - die bisher befohlenen Schutzmaßnahmen beibehalten, das heißt, sowohl der Ausrüstungsstand der Soldaten als auch der Fahrzeuge in ihrer Auftragsausführung sind unverändert geblieben. Wir sind uns der Gefahren durch solche möglichen Anschläge bewusst. Wir haben sie in unser Verhalten einbezogen, und wir sind dafür ausgebildet und ausgerüstet, so dass wir ungeachtet dieser Gefahren unseren Auftrag hier in Kabul weiterführen können.
Heuer: Wenn Sie betonen, es habe sich möglicherweise um Raketenabschüsse gehandelt, worum kann es denn sonst gegangen sein?
Löbbering: Das wäre jetzt rein spekulativ. Ich sage 'möglicherweise' Raketenabschüsse, weil bis dato keine eindeutigen Zeugnisse weder für einen Abschuss noch für einen Einschlag gefunden worden sind. Deshalb sage ich 'möglicherweise'.
Heuer: Die deutschen Soldaten sind ja jetzt in Afghanistan, um das Land nach dem Krieg aufzubauen. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich deutsche Soldaten möglicherweise auch beim Wiederaufbau des Iraks nach einem Krieg beteiligen würden. Ist denn diese Wiederaufbauarbeit, die Begleitung vor Ort nicht sogar gefährlicher als die direkte Kriegsbeteiligung?
Löbbering: Der Auftrag der ISAF-Schutztruppe hier in Afghanistan ist ja ein Auftrag auf der Grundlage eines UN-Mandates, der klar auf Kabul begrenzt und auf die nächste Umgebung begrenzt ist, sowie auf sechs Monate, was jetzt die deutsch-niederländische gemeinsame Führung von ISAF anbelangt, aber es sind natürlich Gefahren vorhanden. Ich nenne beispielhaft Minengefahr, ich nenne die Gefahr möglicher Anschläge, Selbstmordanschläge, Autobomben und dergleichen. All das ist in der Zusammensetzung unserer Truppe in ihrer Ausrüstung und Ausbildung bereits berücksichtigt. Jeder einzelne Soldat, der einen Auslandsauftrag im Rahmen eines UN-Auftrages wahrnimmt, ist sich dieser Gefahr bewusst. Wäre es ohne Gefahr und gäbe es hier keine Kräfte, die destabilisierend wirken, wären wir schließlich nicht hier. Das ist - und ich sage das mit aller Deutlichkeit und Bewusstheit - Teil unseres Berufsrisikos.
Heuer: Und dieses Risiko ist bei einem Wiederaufbau - ich stelle die Frage noch einmal - genau so groß oder größer als bei einer direkten Kriegsbeteiligung?
Löbbering: Das vermag ich nicht zu beurteilen, weil es dann auch die konkreten Einsatzszenarien anbelangt. Hier in Afghanistan, möchte ich betonen, sind wir jetzt seit über einem Jahr tätig bei der Unterstützung der Wiederherstellung von Sicherheitsstrukturen hier in Kabul und Umgebung, und in dieser gesamten Zeit ist kein einziger deutscher ISAF-Soldat dadurch ums Leben gekommen, dass er unmittelbar angegriffen worden wäre. Man muss sicherlich auch hier die konkrete Lage in Kabul betrachten. Die ISAF-Soldaten sind willkommen. Die Bevölkerung zeigt das jeden Tag deutlich allen Soldaten, die in allen Stadtgebieten unterwegs sind, und das ist auch etwas, was uns sozusagen für den Einsatz selbst sehr stark motiviert.
Heuer: Vielen Dank für das Gespräch.
