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Gefallen ohne Krieg?

Der Afghanistaneinsatz ist kein Krieg, sagt Bundesverteidigungsminister Jung, und es hat gedauert, bis er sagte, deutsche Soldaten seien gefallen. Aber ist das Wort "gefallen" nicht unauflöslich mit einem Krieg verbunden? Für den Friedensforscher Dieter Senghaas ist der ISAF-Einsatz "nach gängigen Definitionen eine kriegerische Auseinandersetzung".

Dieter Senghaas im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: In Afghanistan sind bisher 35 deutsche Soldaten gestorben. Aber sind sie umgekommen, sind sie gefallen oder wurden sie getötet? Und sind sie in einem Stabilisierungseinsatz gestorben, in einem Kampfeinsatz oder sogar in einem Krieg? In der deutschen Politik findet hier zurzeit ein verbaler Eiertanz statt und es wird darüber gestritten, wie über den Afghanistaneinsatz geredet werden soll. Es ist kein Krieg, sagt Bundesverteidigungsminister Jung, und es hat gedauert, bis er sagte, deutsche Soldaten seien gefallen. Aber ist das Wort "gefallen" nicht unauflöslich mit einem Krieg verbunden? Man wolle keinen Krieg um Worte führen, betont der Bundeswehrverband. Gleichzeitig verlieh aber dem Unmut vieler Soldaten Ausdruck, dass die deutschen Politiker ihren Einsatz offenbar nicht als das würdigen, als was sie ihn erleben - als Krieg nämlich. Frage an den Friedensforscher Dieter Senghaas, Herr Senghaas: Warum haben denn die deutschen Politiker mit den Worten "Krieg" und "gefallen" solche Probleme?

    Dieter Senghaas: Das hängt natürlich mit unserer Vergangenheit zusammen. Wir hatten in den 50er-Jahren ja eine intensive Diskussion über die Wiederbewaffnung, die große Auseinandersetzung, schließlich und endlich hat man das gemacht und die großen Parteien haben sich nach einer bestimmten Zeit an die neue Situation angepasst. Aber trotzdem ist natürlich dieser historische Hintergrund der 30er-, der 40er-Jahre des Zweiten Weltkriegs, des Faschismus, der Eroberungspolitik Hitlers, ist natürlich immer noch ein Datum, und dieses Datum ist unverrückbar.

    Schäfer-Noske: Das heißt also, die Bundesrepublik ist auch im Jahr 60 nach ihrer Gründung noch keine, in Anführungsstrichen, normale Nation?

    Senghaas: Na ja, normale Nationen gibt es eigentlich gar nicht. Nehmen Sie zum Beispiel Japan. Normal ist, dass Japan sich nicht engagiert, dass es kein Militär hat, ganz anders als beispielsweise die USA, die das Militär im Grunde genommen versteht als ein imperiales Machtinstrument. Das mag sich inzwischen auch etwas mit der neuen Administration sich ändern, aber das war doch in der Vergangenheit so. Oder nehmen Sie Schweden oder die Skandinavier insgesamt, dort wurde das Militär vor allem interpretiert als ein Beitrag für die Vereinten Nationen im Sinne von Blauhelm-Missionen. Oder nehmen Sie Frankreich, die Normalität in Frankreich ist bis heute eigentlich so definiert, dass man Expeditionskorps, Interventionsarmeen hat in Schwarzafrika, im frankophonen Afrika. Jetzt gibt es seit einiger Zeit Kritiken, ob diese Normalität denn noch zeitgemäß ist, aber eigentlich mehr unter Kostengesichtspunkten. Ist es noch nützlich? Das heißt also, es gibt immer ganz unterschiedliche Verständnisse von Normalität, und das hängt damit zusammen, dass natürlich einzelne Nationen andere Vergangenheiten haben, die genau diese Normalitätsdefinition prägen.

    Schäfer-Noske: Die meisten Deutschen würden einen Rückzug deutscher Soldaten aus Afghanistan inzwischen begrüßen. Stellen Sie da in der aktuellen Diskussion bei den Politikern ein Nicht-wahrhaben-Wollen und ein Sich-selbst-Belügen fest?

    Senghaas: Nein, ich glaube das nicht, dass das der Fall ist. Man weiß ja, warum man in Afghanistan mit interveniert hat, da gab es bestimmte, selbst definierte Verpflichtungen gegenüber der Allianz. Ich glaube, dass die Politik natürlich deutlicher artikulieren müsste, warum man glaubt, heute noch in Afghanistan sein zu müssen. Es gab natürlich Gründe, warum man ursprünglich rein wollte, aber nachdem man nun einmal interveniert hat, ist natürlich die Frage: Wie inszeniert man das Desengagement? Wie kommt man aus dieser Sache wieder heraus, ohne dass der gesamte Einsatz der vergangenen Jahre ein Fehleinsatz gewesen ist, das heißt also, dann in Afghanistan Dinge passieren würden, die man eigentlich verhindern wollte?

    Schäfer-Noske: Wie wichtig ist denn der Punkt in der aktuellen Diskussion, dass im Krieg ja Kriegsrecht gilt, was die Taliban ja zu Kombattanten machen würde, die ja mit Recht dann auf deutsche Soldaten auch schießen dürften?

    Senghaas: Das ist natürlich eine Implikation, die durch das Völkerrecht vorgegeben ist, das ist übrigens auch nicht nur bezogen auf das, was Sie eben erwähnt haben, von Bedeutung, sondern wenn Sie diese Intervention als Krieg definieren, dann hat das für alle Soldaten auch unmittelbare und insbesondere für das Verteidigungsministerium unmittelbare Implikationen bezogen zum Beispiel auf ganz banale Dinge wie Lebensversicherung. In dem Augenblick, in dem ein Soldat im Krieg sich befindet, tritt die Lebensversicherung in aller Regel nicht mehr für einen Extremfall ein. Dann ist das Verteidigungsministerium sozusagen gefordert.

    Schäfer-Noske: Dann gibt es ja auch noch diese Auseinandersetzung um das Wort "gefallen". Da sagt zum Beispiel das Darmstädter Signal, "gefallen" sei eine Verharmlosung des Todes.

    Senghaas: Die Soldaten, die dort zu Tode kommen, sie sind gefallen, sie sind getötet, sie sind ... Letztendlich sind sie natürlich Kriegsopfer. Das, was in Afghanistan passiert, ist natürlich nach gängigen Definitionen eine kriegerische Auseinandersetzung. Wie man das aus Opportunitätsgesichtspunkten dann definiert, ist eine ganz andere Frage, und wie gesagt, da spielen dann bestimmte völkerrechtliche, aber auch lebensversicherungsrechtliche und andere Dimensionen eine Bedeutung, ob man das so oder anders bezeichnet.

    Schäfer-Noske: Das war ein Gespräch mit dem Friedensforscher Dieter Senghaas.