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Geflochtene Stabilität

Technik. - Parallel zur Münchener Fahrrad-Messe "Bike-Expo" werden auf einer Fahrradentwickler-Konferenz die technischen Visionen für die Zukunft des Fahrrads diskutiert. Im Trend liegen besonders leichte Fahrradrahmen aus Karbon-Kunststoffen – in Serie gefertigt und für jedermann erschwinglich.

Von Hellmuth Nordwig |
    Olaf Rüger klopft nicht auf Holz, sondern auf einen Fahrradrahmen aus CFK – kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Der Leichtbauspezialist von der TU München hat den Prototyp eines solchen Rads im Büro stehen.

    "Ich komme aus dem Bereich Triathlon, habe auch schon viele Radtouren gemacht, bin also breit gefächert am Fahrrad interessiert. Und aus der Verbindung meiner wissenschaftlichen Arbeit und meines Hobbys hat sich diese Idee ergeben."

    Nämlich auch Fahrräder für Otto Normalverbraucher aus dem gleichen Leichtbaumaterial herzustellen, wie Formel-1-Rennwägen und die neuesten Passagierflugzeuge. CFK-Fahrradrahmen gibt es zwar bereits, aber die wenigsten können sie sich leisten. Rüger:

    "Das ist derzeit sehr viel Handarbeit und dadurch sehr aufwändig. 99 Prozent dieser Fahrräder werden in China und Taiwan gefertigt. Im Hochleistungsradsport ist das Stand der Technik. Aber auch bei ambitionierten Sportlern im Bereich Mountainbike, Rennrad ist das schon oft zu sehen."

    Was bisher von Hand geschieht, soll also automatisch von Maschinen erledigt werden – das ist das Ziel des Forschers am TU-Lehrstuhl für Kohlenstoff-Verbundwerkstoffe. Sein Ausgangsmaterial sind sieben Mikrometer dünne Kohlenstofffasern, versponnen zu Endlosbändern, die so breit sind wie ein Gummiband. Daraus muss ein Gewebe hergestellt werden, in dem die Fasern im Winkel von 45 Grad zueinander verflochten sind. Im Sport gibt es dafür ein Vorbild.

    "Jeder kennt ein Kletterseil, wie es Bergsteiger verwenden: Da ist eine Seele innen drin, die aus Garnen besteht, die auf Zug belastet werden können. Und dann gibt es diese Geflecht-Außenhülle, die man sieht, die meistens aus bunten Fasern gefertigt ist, damit das ein schönes Muster gibt."

    Mit ein paar technischen Tricks konnte Olaf Rüger eine Flechtmaschine für Kletterseile so umrüsten, dass sie auch Kohlenstofffasern in die erforderliche Orientierung bringt. Das Gewebe wird dabei um einen Kern aus Kunststoffschaum herum geflochten. Im nächsten Schritt wird dieses Kohlenstoffseil in eine Form gelegt, die so aussieht wie ein Rohr des Fahrradrahmens. Dann wird ein flüssiger Kunststoff in die Form gespritzt: ein Epoxidharz, das gleiche Material, aus dem auch Surfbretter oder Schiffsrümpfe gefertigt werden. Es härtet in kurzer Zeit aus, die Form wird wieder geöffnet – und fertig ist das CFK-Bauteil. Olaf Rüger:

    "Das ist ein völlig neues Verfahren. Wenn wir das jetzt so in Serie fertigen wollten, müsste man noch ein bisschen Entwicklungsarbeit leisten und Geld in die Hand nehmen, damit man die Anlagen hinstellen kann. Es ist realistisch, später mit dieser Technologie alle zehn Minuten einen Fahrradrahmen zu fertigen."

    Ein chinesischer Arbeiter braucht dafür eineinhalb Tage. Die Kosten sollen bei größeren Stückzahlen den Preis von Aluminium-Rahmen nicht übersteigen. Auch die Stabilität ist vergleichbar, bei deutlich reduziertem Gewicht: Gerade mal ein Kilogramm wiegt der ganze Fahrradrahmen, bei Alu sind es etwa eineinhalb. Für seinen Prototyp hat Olaf Rüger auch das Design völlig neu konzipiert: Normalerweise sind bei einem Fahrradrahmen acht Rohre miteinander verbunden; die Münchner Forscher kommen mit vieren aus, die dafür etwas dicker sind – das Rad ist massiv im Anblick, leicht im Gewicht. Für Wettkämpfe ist allerdings die herkömmliche Bauweise vorgeschrieben, egal, woraus der Rahmen besteht.

    "Dieses Fahrrad ist auf keinen Fall für den Rennsport wie die Tour de France zugelassen. Das war auch nicht unser Fokus. Wir wollten ein Fahrrad herstellen, das jeder ganz gemütlich täglich auf dem Weg zur Arbeit nutzen kann oder in der City zum Rumcruisen. Deswegen auch die breiten Reifen, damit es optisch was hermacht. Das wäre ein komplett neues Anwendungsgebiet für CFK-Fahrradrahmen."

    Ein Schweizer Hersteller experimentiert bereits mit dem neuen Herstellungsverfahren aus München. Es könnte also sein, dass leichte Fahrräder aus Kunststoffen mit geflochtenen Kohlenstoffseilen schon bald auf den Straßen unserer Städte auftauchen.