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Geflügelfleisch
Phagentherapie im Hähnchenstall

Campylobacter-Keime sind die häufigste Ursache für lebensmittelbedingte Durchfallerkrankungen in der EU. Hauptinfektionsquelle ist kontaminiertes Geflügelfleisch. Eine vielversprechende Möglichkeit das zu verhindern, haben Forscher vom Institut für Lebensqualität und -sicherheit der Tierärztlichen Hochschule Hannover gefunden. Sie setzten Bakteriophagen zur Keimbekämpfung ein.

Von Maren Schibilsky | 21.03.2016
    Ein wenig nervös war die Tiermedizinerin Sophie Kittler schon. Schließlich war sie 2014 weltweit die erste, die Bakteriophagen in der kommerziellen Tierhaltung testete. In drei niedersächsischen Hähnchenmastbetrieben verabreichte sie Phagen übers Trinkwasser an jeweils 20 000 Hähnchen pro Stall.
    "Wir hatten einen sogenannten Bakteriophagen-Cocktail mit, das heißt, wir hatten mehrere Bakteriophagenstämme gemischt, um genau die Campylobacter zu bekämpfen, die in dem Hähnchenstall drin waren."
    Phagen sind winzig kleine Viren, die für ihre Vermehrung Bakterien als Wirtzellen nutzen und sie dabei zerstören. Bereits vor 100 Jahren nutzte der Kanadier Felix d´Herelle diese Eigenschaft zur Infektionsbekämpfung. Er legte den Grundstein für die sogenannte Phagen-Therapie. Anders als Antibiotika wirken Phagen spezifisch, je nach Art immer nur gegen eine Bakteriengruppe. Deshalb musste Sophie Kittler die richtigen Phagen gegen Campylobacter im Hähnchenstall erst finden. Nur unter dem Rasterelektronenmikroskop sind die zweihundert Nanometer kleinen Viren zweifelsfrei zu identifizieren.
    "Unsere sehen aus wie kleine Marsroboter mit so einem ganz süßen Kopf und dann haben sie einen Hals und dann kommen sechs Beine. Und mit diesen Beinen docken sie auf dem Bakterium an und injizieren ihre DNA in das Bakterium. Dann übernehmen sie den Stoffwechsel dieses Bakteriums und produzieren ganz viele Nachkommen. Und am Ende, wenn ganz viele Bakteriophagen in dem Bakterium sind, dann zerstören sie die Bakterienzelle und die ganzen neuen Bakteriophagen werden frei gesetzt. Und damit haben wir eine Bekämpfung des Bakteriums in dem Moment."
    In den niedersächsischen Hähnchenställen war die Tiermedizinerin dann überrascht. Mit einer so guten und schnellen Wirkung der Phagen hatte sie nicht gerechnet als sie die ersten Kotproben der Hähnchen untersuchte.
    "Wir konnten in einem der Ställe sehen, dass einen Tag nach der Verabreichung der Bakteriophagen wir keine Campylobacter mehr nachweisen konnten. Auch in den anderen Ställen konnten wir sehen, dass das Wachstum der Campylobacter durch die Bakteriophagen gestoppt wurde."
    Auch im Schlachthof fanden die Forscher keine Keime mehr. Sind die Wirtsbakterien verschwunden, sterben auch die Phagen ab. Dieses Ergebnis ermutigte Sophie Kittler, weiter zu machen. Als Nächstes möchte sie das multiresistente Darmbakterium ´Escherichia coli´ im Stall bekämpfen. Das gelangt auch über Lebensmittel bis zum Menschen.
    "Escherichia coli ist ja ein Bakterium, was viele Erkrankungen beim Hähnchen hervorruft. Das macht den Einsatz von Antibiotika manchmal notwendig. Unser Ziel ist es, die krankmachenden Escherichia coli-Stämme im Hähnchendarm durch den Einsatz von Bakteriophagen so zu senken, dass die Hähnchen einfach nicht mehr krank werden und keine Antibiotika eingesetzt werden muss."
    "Um die spezifischen Phagen für E-coli zu finden, arbeitet Sophie Kittler mit der ´Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen´ in Braunschweig zusammen."
    Dort befindet sich seit Langem Deutschlands größte Phagen-Sammlung. Über 500 Stämme lagern in kleinen Röhrchen bei minus 196 Grad in großen Stickstofftanks. Da Phagen aufgrund der zunehmenden Antibiotikaresistenzen zur Infektionsbekämpfung wieder gefragt sind, sammelt Mikrobiologin Christine Rohde bis zu 200 neue Stämme im Jahr. In Kläranlagen, Tümpeln und Teichen wird sie fündig. Überall dort, wo viele Wirtsbakterien leben.
    "Für E-coli-Keime sind wir sehr gut ausgestattet. Wir haben schon mindestens 50 Phagen und können jeden Tag neue finden. Das ist sehr schön machbar. Die werden wir dann selektieren und Phagen-Cocktails herstellen."
    Um die Wirkung der Phagen zu kennen, muss Christine Rohde ihr Genom genau anschauen. Denn sie will ausschließen, dass die Phagen unerwünschte Eigenschaften mitbringen. Bevor Phagen in der Tierhaltung großflächig eingesetzt werden können, müssen sie aber erst ein aufwendiges Zulassungsverfahren in der EU durchlaufen.