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Geflügeltes Wort mit schillernder Auslegung

Bundespräsident Horst Köhler hat in Paderborn die Ausstellung "Canossa 1077 - Erschütterung der Welt" eröffnet. Die Schau zeige, dass es damals nicht nur eine Zeit der politischen Auseinandersetzung, sondern auch des künstlerischen Schaffens gewesen sei, sagte Köhler. Wohl war: Der Krach, den Heinrich IV. mit dem Adel hatte, war kulturtreibend. Nach Auffassung des Paderborner Erzbischofs Hans-Josef Becker haben die Themen um den "Gang nach Canossa" bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Es sei um nichts weniger als um die Selbständigkeit der Kirchen gegenüber dem Staat gegangen.

Von Wolf Schön |
    Im Januar des Jahres 1077 ist der deutsche König - und spätere Kaiser - mit großem Gefolge nach Oberitalien unterwegs. Unter den Mauern der Burg von Canossa will er Papst Gregor VII. zwingen, ihn von dessen vernichtendem Bannspruch zu lösen. Drei Tage lang fleht der stolze Salier vor den Toren der Festung barfuß, und im ärmlichen Büßergewand um Vergebung. Dann muss der zürnende Pontifex seinen priesterlichen Pflichten gehorchen und den reuigen Sünder in den Schoß der Kirche zurückführen.

    "Canossa" ist zum geflügelten Wort mit schillernder Auslegung geworden. Schmachvolle Demütigung kann es bedeuten, aber auch vorgetäuschte Unterwerfung: Heinrich, vor 900 Jahren gestorben, geht volles Risiko und wagt den entscheidenden Schachzug, um den drohenden Verlust der Krone listig in einen Triumph zu verwandeln. Fest steht jedenfalls, dass der Zweikampf der beiden mächtigsten Männer des Mittelalters an faszinierender Dramatik kaum zu toppen ist.

    Der filmreife, und überraschende, "Showdown" - ohne jede Waffengewalt - hat denn auch die Historienmaler des 19. Jahrhunderts in Atem gehalten. Sie haben ihren Auftritt in der Städtischen Galerie, wo die neuzeitlichen Nachwirkungen des Canossa-Gangs vorgeführt werden. Wie effektvoll prallen die Kontrahenten auf dem Monumentalbild Eduard Schwoisers aufeinander, und es dauert nicht lange, bis die Fotokamera die politische Szene belichten wird. "Keine Sorge, nach Canossa gehen wir nicht", ruft Otto von Bismarck im Reichstag seinen Parteigängern zu. Der preußisch und protestantisch dominierte Nationalstaat hatte die katholischen "Römlinge" noch einmal als Staatsfeinde entdeckt.

    Wer der wirkliche Sieger im Duell von Canossa war, diese Frage stellt sich heute für Politik, Kirche und Wissenschaft nicht mehr. Denn, unzweifelhaft hat jeder der beiden Rivalen im Streit um die Vorherrschaft über das christliche Abendland, gewollt oder ungewollt, das Fundament für das moderne Europa gelegt. Denn nur vordergründig ging es um die Besetzung geistlicher Ämter, die die römische Kurie der weltlichen Macht nicht länger zugestehen mochte.

    Hinter dem Investiturstreit steckte das Reformbedürfnis einer Kirche, die sich auf ihre geistliche Kernkompetenz besann und die Verstrickung ihres Führungspersonals in profane Interessen beenden wollte. Mit der Entflechtung der Aufgaben verlor das Königtum seinen sakralen Überbau - die autonom gewordene Kirche ihre Verankerung im politischen Herrschaftsbereich. Mit Canossa begann die Trennung von Staat und Kirche, von Religion und weltlicher Macht, mithin der kulturprägende Abschied vom antiquierten Gottesstaat.

    Für die dreiteilige Mammutaustellung ist es ein Segen, dass der staats- und kirchenpolitische Konflikt in den handelnden Personen zu plastischer Anschauung kommt. Doch lange durchhalten lässt sich die Personalisierung nicht. Das 11. Jahrhundert war kein Medienzeitalter mit authentischen Bildern und realistischen Textreportagen. Nur indirekt spiegeln sich die welterschütternden Ereignisse in Architekturelementen, Skulpturen, Buchmalereien und Objekten der Schatzkunst.

    600 kostbare Exponate werden aufgeboten, wobei die theologischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungslinien der Umbruchszeit im Diözesanmuseum nachgezeichnet werden. In der weiten Halle der Pfalz, dem zentralen Ausstellungsplatz, stehen sich der päpstliche Marmorsessel und der bronzene Kaiserthron verlassen gegenüber. Ein lernbegieriges Publikum ist angehalten, die leeren Sitze nach der überreich dargebotenen Wissensvermittlung mit Leben zu füllen.