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Geflügelwirtschaft protestiert gegen Vorwürfe

Wie viel Antibiotika steckt im Huhn? Zu viel, sagt eine Untersuchung des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Umwelt und Verbraucherschutz, denn die Medizin werde auch ohne Krankheit eingesetzt, um schlicht das Wachstum der Tiere zu fördern. Das ist aber eigentlich seit 2006 verboten.

Von Daniela Siebert | 31.10.2011
    Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft hat am Freitag umgehend auf die Vorwürfe reagiert und Wachstumsdoping durch Antibiotika als "unwahre Unterstellung" zurückgewiesen. Zu beurteilen, was stimmt, ist schwierig, denn die Studie bezieht sich nur auf Nordrheinwestfalen und ist bislang nicht veröffentlicht. Trotzdem sorgen die Medienberichte natürlich bundesweit für Diskussion und Verunsicherung bei den Verbrauchern, dass im Hühnchenfleisch vielleicht drin ist, was nicht reingehört. Deshalb müht sich der Verband jetzt, einen Generalverdacht abzuwehren. Dazu Pressesprecherin Christiane Riewerts:

    "Verbraucher brauchen gar keine Angst zu haben, dass in dem Hühnerfleisch auf dem Teller Antibiotika drin sind, denn es gibt umfassende Kontrollen und es gibt insbesondere Wartezeiten, die eingehalten werden müssen, bevor das Geflügel geschlachtet werden darf, damit sicher ist, dass keine Antibiotikarückstände in dem Geflügelfleisch sind."

    Der NDR hatte berichtet, dass bei 182 untersuchten Hühnermastanlagen in 83 Prozent der Proben Antibiotika im Fleisch gefunden wurden, allerdings nicht unbedingt zum Schlachtzeitpunkt!

    Genaueres weiß man aber nicht. Über die vermeintlich dramatischen Zahlen will Christiane Riewerts deshalb auch nicht sprechen. Nur soviel:

    "Die Studie liegt uns noch nicht vor, entsprechend können wir zu den konkreten Zahlen und Daten, die da jetzt in einer Vorabmeldung vorliegen, noch nichts sagen. Wachstumsdoping ist EU-weit 2006 verboten und wird auch in der deutschen Geflügelaufzucht entsprechend nicht angewendet. Dafür können wir unsere Hand ins Feuer legen, dass Antibiotika ausschließlich zu therapeutischen Zwecken Einsatz finden und zwar dann wenn das Tier krank ist und behandelt werden muss und auch ausschließlich auf veterinärmedizinische Anordnung."

    Ob es sein kann, dass die jetzt kolportierten Zahlen wirklich durch korrekte tiermedizinische Behandlungen entstanden sein könnten, kann nur ein Fachmann beurteilen: Dr. Martin Hartmann ist Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte. Der Veterinär arbeitet in Baden-Württemberg, quasi auf neutralem Gebiet also und er bewertet die veröffentlichten Zahlen sehr vorsichtig. Auch wenn laut der gemeldeten Studienergebnisse bis zu acht Antibiotika für lediglich ein bis zwei Tage verabreicht wurden, sei das noch kein Wachstumsdoping so Hartmann, der sich bei seiner Einschätzung nur auf die Pressemeldungen zur Studie beziehen kann:

    "Also ein zu kurzer Einsatz klingt nicht nach Wachstumshilfsmitteln, ein zu kurzer Einsatz birgt eher die Gefahr, dass Resistenzen bei den Tieren entstehen, weil die Bakterien, gegen die sie eingesetzt werden, nicht richtig abgetötet werden und dann mit den Erkenntnissen der Antibiotika überleben und dann resistent werden. Für einen Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer würde sprechen, dass sie über einen langen Zeitraum unterdosiert eingesetzt werden."

    Masthühner leben üblicherweise nur etwa fünf bis sechs Wochen. Trotzdem können sie in der kurzen Zeit bakterielle Erkrankungen wie zum Beispiel Salmonellen bekommen, die eine wohldosierte Antibiotikagabe nötig machen, betont Hartmann außerdem.

    Anfang des Jahres wurde die sogenannte DIMDI-Datenbank eingeführt, ein Register beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information in Köln, das die Fütterung von Antibiotika nachvollziehbar machen soll. Sie spielt in dem aktuellen Fall keine Rolle. Denn die Daten in der nordrhein-westfälischen Studie basieren auf der Auswertung von Stallbüchern, also von Unterlagen aus den Mastbetrieben selbst. An DIMDI melden pharmazeutische Unternehmen und die Großhändler jährlich ihre Verkaufszahlen mit einer regionalen Aufschlüsselung – nach Postleitzahlen. Das ist zur wissenschaftlichen Auswertung gedacht, um die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen aufklären zu können. Es geht dabei nicht um missbräuchlichen Einsatz durch Tierärzte und Landwirte. In diesem Zusammenhang wird des Öfteren gemeldet, die Geflügelwirtschaft sei in dem Register nicht erfasst, das ist aber falsch.

    Die aktuelle Frage lautet im Kern: Wie kann Antibiotika-Missbrauch in der Hühnermast wirksam kontrolliert werden? Da gibt es ganz offensichtlich trotz aller vorhandenen Kontrollen noch Lücken.

    Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft will deshalb mit einem eigenen Meldesystem in die Offensive gehen und eine eigene Datenbank schaffen.

    "Die Geflügelwirtschaft ist bestrebt, den Antibiotika-Einsatz weiter zu reduzieren und als Datengrundlage wollen wir ein bundeseinheitliches Meldesystem schaffen, im Rahmen des QS-Systems. Das QS-System ist ein Sicherungssystem innerhalb der Lebensmittelwirtschaft, das die Qualität bei der Herstellung und Verbreitung von Lebensmitteln kontrolliert, und innerhalb dieses QS-Systems wollen wir ein eigenes Meldesystem etablieren, in das sämtliche Antibiotika-Anwendungen gemeldet werden."

    Wer genau was wohin meldet, ist noch nicht geklärt, es soll aber im Januar 2012 schon losgehen.

    Fürs Erste dürfte daher eher eine Meldung des Bundesamtes für Verbraucherschutz Konsumenten von Hähnchenfleisch beruhigen. Es teilte dem Deutschlandfunk heute auf Anfrage mit: Es habe keine Erkenntnisse "über einen umfassenden illegalen Einsatz von Antibiotika in der Geflügelmast".