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Geflüsterte Abschiedsstimmung

Als Sensation wurde das Auftauchen Ingeborg Bachmanns in der deutschen Literatur Anfang der 50er Jahre empfunden: Eine zurückhaltende, scheue Frau las ihre Gedichte vor. Realistisch und zugleich poetisch-melodiös war ihr Ton, von Abschied und Angst handelte der Inhalt - wie im vor 50 Jahren erstmals ausgestrahlten Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan".

Christian Linder | 29.05.2008
    "Bei grünem Licht gehen … weitergehen …"

    Ein Hörspiel, ein- oder zweimal gesendet, ist ein flüchtiges literarisches Ereignis, das aufblüht, schwebt und wieder versinkt. Dass das Hörspiel als Medium gleichwohl viele Autoren immer wieder fasziniert hat, liegt gerade an seiner kurzen, expressiven und unbestimmten Form, die das Fragmentarische nicht nur erlaubt, sondern vielleicht sogar ästhetisch fordert.

    Als Autor wie als Hörer, der eine Szene im Dunkeln belauscht, gerät man in eine reizvolle Halbschlaf-Welt, tief unterhalb der Konventionalität unserer Lebensformen. In diesem Bereich, wo unsere Welt gesellschaftlich nicht kontrolliert, überformt und auf Lösungen hin durchdacht ist, hat auch Ingeborg Bachmann ihr berühmtestes Hörspiel angesiedelt, "Der gute Gott von Manhattan", am 29. Mai 1958 erstmals gesendet.

    Das Stück spielt in New York. Zwei junge Menschen, Jan und Jennifer, begegnen sich am Grand Central Bahnhof von Manhattan und lassen sich aufeinander ein.

    Jennifer: "Man geht nicht mit einem Fremden in ein Hotel, nicht wahr?"
    Jan: "Mir sind diese Redensarten bekannt."

    Aber dann verbringen sie doch ihre erste Nacht in einem Hotel, zunächst in einem Zimmer im Erdgeschoss. In den nächsten Nächten ziehen sie von Stockwerk zu Stockwerk höher und lassen sich so auch äußerlich aus ihren festen Orientierungen herausfallen und sind bereit, die Welt für sich neu zu erschaffen.
    Jan: "Ich möchte Sie ein paar Stunden lang ansehen, kühle Schultern, kühles Gesicht, kühle, runde Augen. Glauben Sie, dass das möglich ist?"
    Jennifer: "Ich glaube es fest."

    In ihrem Hörspiel baut Ingeborg Bachmann eine imaginäre Bilderwelt auf, mit leichter Hand gestaltet - zerbrechlich aber auch in ihrer sprachlichen Form, so fragmentarisch und zweiflerisch wie auch die Sprache vieler ihrer Gedichte. Je mehr sich die beiden jungen Menschen von der äußeren Welt absondern, umso mehr beginnen ihre inneren Stimmen zu reden und ihre inneren Phantasmen sich zu entwickeln.

    Aber dann bricht die äußere Realität in den Liebestraum ein. Diese Realität repräsentiert ein selbsternannter guter Gott von Manhattan, der konventionellen Ansicht, das junge Paar habe die schicklichen Grenzen überschritten.

    Er spricht das Todesurteil und wirft eine Bombe - und muss sich hinterher vor dem wirklichen Gott rechtfertigen. So führt das Stück durch die subjektiv-spirituelle Welt der beiden Protagonisten wie durch die Innenwelt eines äußeren Albtraums.

    "Der Tag war da. In allen Senkrechten und Geraden der Stadt war Leben. Und der wütende Hymnus begann wieder, auf die Arbeit, den Lohn und größeren Gewinn. Die Schaumsteine röhrten und standen da wie Kolonnen eines widerstandenen Minife oder Babylon."

    Eine im Stil der 50er Jahre schöne Inszenierung in der Regie von Gert Westphal, mit Sprechern wie Charles Regnier und Martin Benrath. Ein Jahr nach der Erstsendung wurde das Stück ausgezeichnet mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden - der Autorin, befand die Jury, sei ein "unverwechselbares Liebesgedicht" über die Problematik und Dialektik der Liebe in einer Großstadt gelungen, jenseits aller in den 50er Jahren dominierenden Klischees aus Film und Illustrierten. Ingeborg Bachmann in ihrer Dankrede:

    "Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die anderen, wenn sie ihm in Lob und Tadel zu verstehen geben, dass sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Zustand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar."

    Ein "Wahnsinnsstoff", den Ingeborg Bachmann in "Der gute Gott von Manhattan" dargestellt hat, wie in all ihren Arbeiten. Eine Phantasmagorie über Gelin-gen und Misslingen der Liebe, durch die sich ein dunkler Ton zieht, die Melancholie und am Ende der Tod.
    Jennifer: "Weil jeder sehen kann, dass ich bald ganz verloren sein werde, und fühlen kann, dass ich ohne Stolz bin und vergehe nach Erniedrigung, und dass ich mich jetzt hinrichten ließe von dir oder wegwerfen wie ein Zeug nach jedem Spiel, das du ersinnst."

    Der Tod taucht in Ingeborg Bachmanns Werk überall auf. Ihre Gedichte, Romane, Erzählungen und Hörspiele sollten zusammengenommen ein einziges großes Buch bilden, träumte sie, und für dieses Lebenswerk stand der Titel "Todesarten". Eine der Todesarten, die sie immer wieder beschrieben hat, war der Tod durch Feuer.

    Als 1973 die Nachricht kam, Ingeborg Bachmann sei mit einer brennenden Zigarette in ihrer römischen Wohnung eingeschlafen und eine Woche später an ihren Brandverletzungen gestorben, erinnerten sich viele an die Todesart, die sie in ihrem Hörspiel "Der gute Gott von Manhattan" beschrieben hatte:

    "Zurückbleiben wird ein Bett, an dessen einem Lande die Eisberge sich stoßen. Und an dessen unteren Rand jemand Feuer legt."