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Gefühlte Hochstaplerinnen

Als Hochstapler wider Willen - so fühlen sich viele Wissenschafter und vor allem Wissenschaftlerinnen. Trotz ihrer Erfolge denken sie, dass sie von ihrem beruflichen Umfeld permanent überschätzt und für viel zu gut gehalten werden. Reden können sie über diese Selbstzweifel kaum, schon gar nicht mit Kollegen. Dabei ist das Problem weitverbreitet.

Von Armin Himmelrath | 25.08.2010
    Beruflich läuft es bei Eleonora, 46-jähriger Ärztin und Psychologin aus der Nähe von Barcelona, eigentlich richtig gut. 2001 wurde die Spanierin von einer deutschen Universitätsklinik angeworben, weil sie mehrere Fachartikel zu ihrem Spezialthema Suchtkrankheiten veröffentlicht hatte. Der Institutsdirektor wollte die Wissenschaftlerin daraufhin unbedingt in seinem Team haben. Doch richtig glauben kann Eleonora das bis heute nicht.

    "Das Feedback, das ich bekomme, ist gut, ist sehr gut. Ich glaube schon, dass ich nicht schlecht bin. Also, wenn ich ganz schlecht wäre, dann würde ich das gar nicht machen können. Also, ich bin nicht schlecht - aber ich bin nicht so gut, wie die Leute meinen."

    Ein Fall, der gar nicht so selten vorkommt. Experten gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte der Berufstätigen solche Ängste kennt. Problematisch wird es, wenn diese Sorgen ständig da sind. Gerade hoch qualifizierte Frauen wie Eleonora zweifeln oft an sich selber - und fürchten sich permanent vor dem Tag, an dem ihre vermeintliche berufliche Inkompetenz aufgedeckt wird. Imposter- oder Hochstapler-Syndrom heißt dieses Phänomen - weil sich die Menschen wie Betrüger fühlen, obwohl sie keine sind.

    "Das Schlimmste, das passieren könnte: Dass ich über irgendwas gefragt werde und ich hätte keine Ahnung in dem Moment. Und ich glaube, ich könnte in dem Moment auch nicht frei denken. Und ich würde mich unheimlich blamieren. Das ist meine Angst - dass ich gefragt werde und keine Antwort habe und jemand das auch so kommentiert."

    Dass diese Angst unberechtigt ist und dass der bisherige berufliche Erfolg das Gegenteil beweist - das können die Betroffenen einfach nicht glauben. Nicht einmal dann, wenn sie sogar Preise für ihre Arbeit bekommen haben oder längst auf eine Professur berufen wurden. Frauen sind häufiger als Männer vom Hochstapler-Syndrom betroffen, und besonders häufig kommt es an Universitäten vor, sagt die Berliner Therapeutin Monika Klinkhammer, die Forscherinnen auf ihren Karrierewegen berät:

    "Der Wissenschaftsbereich und da noch mal besonders Deutschland - und da leider weltweit führend - ist ein System, wo es jahrelang Bewertungs- und Prüfungsrituale gibt. Und das ist durch die aktuellen Reformen der Hochschule noch mal verschärft worden, das heißt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis ins Lebensjahr von 50 und mehr immer wieder nachweisen müssen, dass sie gut sind."

    Ein schwieriges berufliches Umfeld, in dem permanent die Fähigkeit zum Bluff und zum Blenden gefragt ist. Denn in der Wissenschaft ist es absolut üblich, beim Übergang zum nächsten Qualifikationsschritt so zu tun, als wäre man eigentlich schon viel weiter: Die Doktorandin spielt die Rolle der Post-Doc-Forscherin, um sich für weitere Zeitverträge zu empfehlen. Und als wissenschaftliche Mitarbeiterin muss sie sich schon wie eine Professorin benehmen, um zu zeigen, dass sie dafür tatsächlich geeignet ist. Ein Karrierespiel, das starke Nerven erfordert - und ein solides Selbstbewusstsein. Genau das aber fehlt den Menschen mit Hochstapler-Syndrom. Monika Klinkhammer:

    "Da hat man festgestellt, dass das Hochstapler-Syndrom familiär bedingt ist, und zwar gibt es da zwei Typen: Der eine Typ ist, das ist untersucht worden vor allem an Mädchen, dass die Mädchen von der Leistungserwartung von ihren Familien her völlig überhöht werden. Also, es wird so getan, als seien die völlige Überflieger und müssten im Grunde genommen alles mit Links machen. Und der zweite Typ sind Mädchen, denen immer gesagt wird: Das Geschwisterkind ist besser."

    Burn-out oder Depressionen sind mögliche Folgen des Hochstapler-Syndroms - umso wichtiger, dass die Betroffenen frühzeitig Hilfe bekommen.

    "Im Coaching ist es wichtig, zunächst einmal Raum für dieses Thema zu haben. Also auszusprechen, was die Personen erleben. Es ist ja so, dass die in der Regel - wenn überhaupt - mit Freunden oder im familiären Umfeld über ihre Unsicherheiten reden können. Das tun die meistens nicht mit Kollegen oder einfach im Austausch im beruflichen Umfeld. Das heißt, für die ist es sehr, sehr wichtig, überhaupt einen Ansprechpartner zu haben, für den dieses Thema kein Tabuthema ist. Denn ich glaube, das ist ein Tabuthema. Und zum anderen, wo keine Abwertung droht. Also, wo sich jemand mit dieser schwachen Seite öffnen kann. Also, Raum überhaupt, um das Thema zu benennen."

    In einem zweiten Schritt geht es dann darum, den Fokus auf die eigenen Stärken zu richten und neue, positive Szenarien zu entwerfen. Das Gefühl, als Betrügerin ständig von Enttarnung bedroht zu sein, wird so ersetzt durch andere, erfolgreichere Bilder. Auch Eleonora geht diesen Weg - weiß aber noch nicht, ob sie ihrem Können wirklich vertrauen kann.

    "Also, ich investiere ganz viel in meine Arbeit. Ich glaube, dadurch, dass ich oft unsicher bin, ich vorbereite mich sehr gut, dass ich alle Details im Kopf habe. Ich hab schon Hypothesen im Kopf und dann, wahrscheinlich, sieht so aus, als ob ich unheimlich viel weiß. Aber dahinter steckt auch ganz viel Vorbereitung, die eigentlich auf einer großen Unsicherheit basiert."

    Vom gefühlten Dasein als Hochstaplerin zum gesunden Selbstbewusstsein - der Weg für die Wissenschaftlerin ist lang. Aber: Er lohnt sich.