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Gegängelte Kultur in der Ukraine?

Eigentlich wollte der ukrainische Regisseur Andrij Zholdak in Berlin auf einer Pressekonferenz nur sein Programm für die "Spielzeit Europa" vorstellen. Dann aber berichtet Zholdak, dass die Ukraine auch nach der orangenen Revolution weit von demokratischen Verhältnissen entfernt sei. Er selbst habe das als Theaterleiter in Charkiw zu spüren bekommen. Von amtlichen Maßregelungen berichtet er und von Mittelkürzungen. Schließlich sei er gezwungen worden, dieses Theater mit 200 Mitarbeitern aufzugeben.

Von Eberhard Spreng |
    Als eine Stadt, in der man als prägender Erfahrung ständig unter dem Gestank von Exkrementen leidet, so schildert der Regisseur die Stadt Charkiw in seinem "Romeo und Julia – Fragment" und als Ort, an dem die neue politische Ordnung die alte Unterdrückung nicht überwunden hat. Schon unter dem Regime des Leonid Kutschma sei seine Arbeit sehr kompliziert gewesen, aber in der neuen Ukraine erlebte Zholdak, obwohl zunächst Wiktor Juschtschenko und der Orange-Revolution gegenüber eher positiv eingestellt, einen unerwarteten nationalen Kulturhedonismus. Er wurde vor eine simple Alternative gestellt: Entweder entschärft er seine in Proben befindliche Inszenierung von "Romeo und Julia – das Fragment", oder er verliert seinen Job als Chef des Shevchenko-Theaters.

    "Der Preis für diese Uraufführung ist, dass ich mein Theater verloren habe. Man hat mir gesagt, dass wenn ich die Zensur nicht mitmache, dann schicken sie mir morgen eine Ethik-Kommission ins Theater aus 20 Personen. Die würden dann meine Aktivität analysieren, meine ethischen Aktivitäten. In meiner Inszenierungen habe ich sehr viel nackte Körper, zeige ich sehr viel Scheiße und es gibt auch viele nicht gerade übliche Wörter. Auf dem Bildschirm zeige ich Dokumentationen über die Orangen-Revolution. Diese Montage hat ihnen nicht gefallen und daher haben sie gesagt: Das muss alles weg. "

    Durch Negativäußerungen über seine Heimat war Zholdak aufgefallen: so beklagte er in österreichischen Medien die schlechte Straßenbeleuchtung im ukrainischen Industriegebiet, da wo seine Schauspieler spät Abends nach der Probe Opfer von Straßenbanden werden, eine der Äußerungen, die man ihm daheim sehr übel genommen haben muss. Er stehe für eine entschiedene, vitale Theaterarbeit, hinter der Haltungen erkennbar seien, die jenseits aller westlich-bürgerlichen Geschmacksfragen stehen, sagte Frank Castorf, der überraschend zu der Pressekonferenz in das Haus der Berliner Festspiele gekommen war.

    Da merkt man, dass tatsächlich Energie und Kunst – wir haben das auch bei Einar Schleef gemerkt – dass da etwas sehr Besonderes entsteht, nämlich auch etwas wie Authentizität von Kunst im Augenblick des Produzierens, auch gegenüber den scheinbar übermächtigen Betrachtern, egal von woher sie kommen, was sie denken und was sie wollen. Diese Unabhängigkeit ist uns wieder vor Augen geführt worden. Es ist wichtig, dass dies ein politischer Beruf ist und wir vergessen das. Wir unterhalten Menschen, die eigentlich eine Bestätigung haben wollen für das, was sie schon immer wussten. Das ist nicht so, darf nicht so sein: Es ist ein politischer Beruf und das sehe ich hier. Da bin ich froh, dass Zholdak da ist und wir werden uns überlegen, wie wir uns gegenseitig ein bisschen helfen können.

    Zholdaks "Romeo und Julia" kommt also in Berlin am kommenden Wochenende als Arbeit eines nunmehr Heimatlosen heraus und vielleicht bleiben die beiden Aufführungen, die die Festspiele mit der Volksbühne vereinbart haben, die einzigen, die je von diesem "Romeo und Julia - Fragment" zu sehen sein werden. Bereits gestern zeigte man am Rosa-Luxemburg-Platz Zholdaks "Ein Tag im Leben des Ivan Denissowitsch" nach Solschenizyn, ein körperbetontes ritualhaftes Spiel prägt diese Arbeit des von westlichen Kulturbeobachtern als letztem Surrealisten gefeierten Regisseurs. Dieser Arbeit über den Gulag, in dem Schauspieler vor allem chorisch eingesetzt werden, in der Arien aus Bach-Passionen die Szenen emotional aufladen, soll neben der umstrittenen Uraufführung nach Shakespeare, am 16 .November "Medea in der Stadt" folgen.

    Finster dreinblickende Gestalten hätten Andrij Zholdak in einem dunklen Park gegenüber gestanden, so referierte Frank Castorf eine Anekdote aus dem Leben des Regisseurs. Leute, die ihn davor gewarnt hätten, böses über seine Heimat zu sagen. Diese Szene habe er selbst zu seinen Anklamer DDR- Zeiten nicht erlebt, sagte der Volksbühnenchef vergleichend über die Verrohung der menschlichen Beziehungen.