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Gegen alle Europa-Skepsis

Um den Nordosten Italiens aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf zu holen, muss endlich auch die Grenze zu Kroatien fallen - das denken viele in Italien. Und eigentlich waren die Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft Kroatiens bereits so fortgeschritten, dass 2010 der Beitritt über die Bühne hätte gehen können. Das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag könnte dies jetzt verhindern. Karl Hoffmann berichtet.

    Für Enes Tabacovic wäre die Aufnahme Kroatiens in die Europäische Union die natürlichste Sache der Welt.

    "Ich bin Pula geboren, also in Kroatien. Dann habe ich mich in eine Triesterin verliebt, und lebe dreißig Jahren hier. In Triest könnte man jetzt wirklich einiges auf die Beine stellen, nachdem immer mehr Grenzen fallen, vor allem für den Tourismus. Ich fühle mich heute mehr als Triester denn als Kroate. Auch weil wir hier ja ein wenig von allem sind: ein wenig Italiener, ein wenig Kroaten, zum Teil Slowenier und auch ein bisschen Österreicher. Triest ist wie die Stadt Wien im Kleinen."

    Enes hat ein kleines Restaurant am Stadtrand von Triest, dort hat er zu Jahresanfang den Wegfall der letzten Grenzposten nach Slowenien gefeiert, jetzt wartet er darauf, dass er auch in sein Geburtsland endlich ohne Grenzkontrollen fahren kann. Und eigentlich war schon alles bereit. Die Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft sind fortgeschritten, im Jahr 2010 hätte eigentlich alles über die Bühne gehen sollen. Dass das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag nun alles plötzlich verhindern soll, will Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi nicht einsehen. Für ihn ist Kroatien praktisch schon so gut wie aufgenommen.

    Um den Nordosten Italiens aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf zu holen, muss endlich auch die Grenze zu Kroatien fallen - das denken viele hier. Eine historische Notwendigkeit, meint der Triester Schriftsteller und Journalist Paolo Rumiz.

    "In Nord- und Mitteleuropa, wo der Eiserne Vorhang wirklich undurchdringlich war, haben sich die Grenzen inzwischen um bald tausend Kilometer bis vor die Tore von Sankt Petersburg nach Osten verschoben. Während bei uns, wo der eiserne Vorhang sehr durchlässig war die Grenze seit Anfang des Jahres grade mal um 25 Kilometer versetzt wurde. Ich kann zu Fuß an einem Tag von meiner Wohnung bis an die Grenze zu Kroatien gehen. "

    Der freie Zugang nach Slowenien hat vor Italiens Haustür eine zusätzliche Grenze geschaffen, die außerdem eine neue Teilung hervorgerufen hat.

    "Wenn es denn Toleranz zwischen verschiedenen Völkern im ehemaligen Jugoslawien gab, dann ganz bestimmt in Istrien. Und ausgerechnet Istrien ist nun zweigeteilt. Und zwar existiert dort jetzt eine scharf kontrollierte Grenze. Denn die Slowenen, die als letzte in EU aufgenommen wurden wollen sich nun als besonders vorbildliche Europäer beweisen. Und deshalb kontrollieren sie ihre Grenze zu Kroatien besonders genau."

    Diese Grenze verhindert nach Meinung des deutschen Schriftstellers und Wahltriesters Veit Heinichen den gesunden wirtschaftlichen Austausch. Den des organisierten Verbrechens dagegen nicht. Nur 25 Kilometer hinter Italiens Grenzen gibt es weiterhin Rückzugsgebiete für die internationale Kriminalität. 80 Prozent des in die EU importierten Heroins kommt über den Balkan, der Menschenhandel Richtung Italien , wo etwa 20.000 Prostituierte aus Osteuropa leben, wird im Kosovo in Serbien und in Kroatien abgewickelt. Und auch ein Großteil der unerwünschten illegalen Einwanderer passiert die kroatischen Grenzen, während hunderte von Millionen Euro und Dollar in die umgekehrte Richtung fließen, so Veit Heinichen:
    "Und das bedeutet, dass man sicherlich daran arbeiten muss Kroatien in die europäische Union reinzuholen Und zwar so schnell wie es geht. Auch um gewissen wirtschaftlichen Umverteilungsprozessen vorzuwirken, bevor sie Fuß fassen, das heißt ein Ausverkauf des Landes an wenige Personen oder Gesellschaften."

    Eine Umfrage hat ergeben, dass drei Viertel Bewohner Nordostitaliens die schnelle Aufnahme Kroatiens in die EU wünschen. Und zwar obwohl die fremdenfeindlichen Lega Nord hier viele Anhänger hat. Dass Europa auch weiterhin nur eines Tagesmarsch hinter Triest aufhören soll, wird von ihnen als Anachronismus empfunden.