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Gegen Armut, für den Frieden

Bis zum Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen viel vorgenommen: Bis dahin soll der Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung, die täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen, halbiert werden. Ein hehres Ziel, von dem die Weltgemeinschaft seit der Verabschiedung der so genannten "Milleniumsziele" im Jahr 2000 allerdings noch weit entfernt ist. Denn noch immer gelten rund 800 Millionen Menschen als extrem arm. Und so ist die Entscheidung des Nobelkommitees in Oslo für die Vergabe des Friedensnobelpreises an den Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus aus Bangladesch und seine Grameen Bank auch als Mahnung zu verstehen, der Armutsbekämpfung einen höheren Stellenwert als bisher einzuräumen. Yunus gilt als der Erfinder des so genannten "Mikrokredits" - eines Kredits für die Ärmsten, denen keine andere Bank Geld leihen würde. Pünktlich vor der Verleihung des Friedensnobelpreises erscheint Yunus' Autobiographie auf Deutsch. Friederike Schulz stellt sie Ihnen vor.

Von Friederike Schulz | 04.12.2006
    "Ich lade jeden ein, meine Idee zu klauen. Ich sage nicht, niemand darf meine Idee anrühren, sondern ich sage: Es ist eine tolle Idee, jeder sollte das tun. Ich beschwere mich nur, dass sich nicht noch viel mehr Leute dieser Idee annehmen und sie umsetzen."

    Muhammad Yunus hat mit dem Mikrokredit einen Weg gefunden, wie Armut auf lokaler Ebene wirksam bekämpft werden kann. Seit mehr als 30 Jahren ist er unermüdlich auf der Suche nach Mitstreitern. Deswegen berichtet er immer wieder in Interviews von seinen Erfolgen, und deswegen hat er jetzt auch seine Lebensgeschichte aufgeschrieben. Seine Autobiographie ist die Bilanz eines Mannes, der gegen allen anfänglichen Spott von Regierungsmitarbeitern und Weltbank-Funktionären beharrlich an seiner Mission festgehalten hat. Die Lektüre ist fesselnd. Denn anders als die meisten entwicklungspolitischen Schriften ist das hier ein Erfahrungsbericht aus erster Hand, von jemandem, der selbst in einem Entwicklungsland aufgewachsen ist. Yunus versteht es, seine Leser mitzunehmen in seine Welt, zuallererst in das Dorf Jobra. Das liegt neben der Universität von Chittagong, im Südosten von Bangladesch. 1974 war es, das Jahr einer großen Hungersnot. Der junge Professor hatte gerade seine Stelle als Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften angetreten, als er sich zum ersten Mal fragte, wozu er eigentlich Ökonomie studiert hatte. Er kannte zwar die hochtrabenden Theorien zum Funktionieren der Wirtschaft, wusste aber kein Mittel gegen die Armut vor seiner Tür. Eindrücklich schildert er zu Beginn seiner Autobiographie die Selbstzweifel, die ihn damals beschlichen und die bis heute sein Engagement begründen.

    "Ich verspürte nur noch einen Wunsch: Ich wollte mich aus dem Staub machen, alle Lehrbücher hinwerfen und das Hochschulleben aufgeben. Ich wollte die Wirklichkeit verstehen, die das Leben eines Armen ausmacht, und die wahre Ökonomie entdecken, also die des wirklichen Lebens - zuallererst im benachbarten Dorf Jobra. Ich beschloss, wieder Student zu werden. Jobra sollte mir als Universität dienen, und die Einwohner Jobras sollten meine Professoren sein."

    Das Kapitel, in dem der Friedensnobelpreisträger beschreibt, wie er damals mit sich und seiner Profession haderte, gehört zu den stärksten Passagen des Buches. Die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit wurde zum Ausgangspunkt seines Engagements in einem Land, in dem bis heute 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums leben. Wer Yunus verstehen will, muss seine Wut über die eigene Hilflosigkeit verstehen. Sie wird zum Antrieb bei der Suche nach den Ursachen der Armut, die er mit keiner wirtschaftswissenschaftlichen Theorie erklären kann. Weil er keine Antwort weiß, hört er den Menschen, denen er helfen will, zunächst einmal aufmerksam zu. Keineswegs eine Selbstverständlichkeit, wenn man an all die von westlichen Hilfsorganisationen erdachten komplizierten Projekte denkt, die oft die Situation in den Empfängerländern eher verschlimmert als verbessert haben. Auf diese Anfangsphase seiner Mission kommt Yunus im Laufe der Erzählung immer wieder zurück. Oft lässt er seine Kundinnen zu Wort kommen, mit vollem Namen, und stellt ihr Schicksal vor. So gibt er einen authentischen Blick auf die Barrieren einer prüden Gesellschaft frei, in der die Frauen abhängig sind von der Willkür ihrer Männer und von geldgierigen Pfandleihern, weil keine offizielle Bank mit ihnen Geschäfte machen will.

    "Wie heißen Sie?"

    "Sofia Begum."

    "Gehört Ihnen dieser Bambus hier?"

    "Ja."

    "Wie beschaffen Sie den?"

    "Ich kaufe ihn."

    "Wie viel bezahlen Sie dafür?"

    "Fünf Taka."

    "Haben Sie diese fünf Taka?"

    "Nein, die leihe ich mir von den Zwischenhändlern."

    "Was handeln Sie mit denen aus?"

    "Am Ende des Tages muss ich ihnen meine Bambushocker verkaufen, um das Darlehen zurückzuzahlen. Was übrig bleibt, ist mein Gewinn: 50 Paisa."

    "Dies entsprach genau zwei Cent. In allen Ländern der Welt sind Wucherzinsen üblich und so sehr zum Bestandteil des Alltags geworden, dass selbst der Geldverleiher nicht mehr bemerkt, wie ausbeuterisch solch ein Vertrag ist."

    Folgert Yunus und beschließt, den Teufelskreis der Verschuldung zu durchbrechen, indem er den armen Frauen in Jobra zunächst einmal selbst Geld leiht. Und zwar nur den Frauen, weil die, so Yunus, mit Geld viel verantwortungsvoller umgehen als ihre Männer und es in die Zukunft ihrer Kinder investieren. Außerdem zahlen sie es zum Erstaunen aller auch komplett zurück, obwohl niemand für sie gebürgt hat. Es folgt eine packende Erzählung der Odyssee, die der damals 33jährige durch die Institutionen des gerade erst unabhängig gewordenen Bangladesch zurücklegte, bis er 1983 endlich seine eigene Bank hatte. Die Gliederung folgt dabei den einzelnen Phasen der Entstehungsgeschichte seines Kreditinstituts. Das ist etwas einfallslos und liest sich stellenweise zäh, da die Abschnitte zu detailverliebt sind. Allerdings bekommt man dadurch auch einen selten guten Einblick in die Probleme eines Landes, von dem man sonst nur hört oder liest, wenn dort gerade mal wieder ein Wirbelsturm oder eine Flutkatastrophe wütet. Die Stärken des Buches liegen jedoch woanders: In der kenntnisreichen und schonungslosen Analyse der verfehlten und arroganten Entwicklungspolitik des Westens in den vergangenen Jahrzehnten.

    "Nach Schätzungen einer Forschungseinrichtung sind von den über 30 Milliarden Dollar an ausländischen Hilfsgeldern, die Bangladesch in den vergangenen 26 Jahren zugesprochen wurden, drei Viertel nie als Bargeld am Zielort eingetroffen. Die Hilfe floss vielmehr in Form von Ausrüstungsgegenständen, Handelsartikeln, ins Land oder wurde für die Bezahlung von Beratern, Lieferanten, Ratgebern und Experten ausgegeben. Einige reiche Nationen verwendeten ihre Auslandshilfeetats auch dazu, die eigenen Leute zu beschäftigen und heimische Produkte abzusetzen. Dieses Problem ist auf der ganzen Welt gleich."

    Wirklich packend ist auch Yunus' Schilderung seiner Erfahrungen mit der Weltbank, deren Manager ihn zunächst verlachten und ihn nicht einmal ausreden ließen. So ahnt man auch, was für ein Triumph es für den Wirtschaftswissenschaftler gewesen sein muss, dass die UNO 2005 zum Jahr des Mikrokredits erklärte. Dennoch: Groll hegt er nicht, er freut sich vielmehr darüber, dass ihm die hohen Herren endlich glauben. So ist Yunus: ein durch und durch bescheidener Mann. Von sich selbst will er kein Aufheben machen. Nur beiläufig erwähnt er deshalb, dass er sich im Dienste der Sache von seiner geliebten Frau trennte, weil die als Amerikanerin nicht in Bangladesch leben konnte. Nur zwischen den Zeilen lässt sich die Trauer darüber erahnen, dass er für die Bank die Liebe seines Lebens aufgab. Der Privatmann Yunus ist im ganzen Buch nur schemenhaft zu erkennen. Zwar schildert er, wie er in einer gutbürgerlichen Familie aufwuchs, mit einem Stipendium in die USA ging und sich von dort aus mit Feuereifer für den Unabhängigkeitskampf seines Landes einsetzte. Doch der Eindruck bleibt, dass wir dies eigentlich nur erfahren, um Bangladesch und seine verkrusteten Gesellschaftsstrukturen verstehen zu können. Emotional wird Yunus nur, wenn es um die gerechte Sache geht, für die er kämpft. Er will seine Leser von seiner Mission überzeugen. Deswegen vermutlich auch der Ausblick zum Schluss auf das "Export-Modell" Grameen, das sogar in den Slums von Chicago und in den Armenvierteln von Burkina Faso funktioniert. Dem Titel "Autobiographie" wird das Buch nicht wirklich gerecht. Es ist vielmehr die faszinierende Geschichte der Grameen Bank als Yunus' eigene. Es ist aber vor allem ein flammendes Glaubensbekenntnis für eine Welt ohne Armut, und zwar mit Hilfe der Marktwirtschaft, dessen Faszination man sich kaum entziehen kann.

    "Ich glaube an die globale freie Marktwirtschaft und an die Teilhabe daran durch den Einsatz kapitalistischer Mittel. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zahlung von Almosen nicht zu einer Lösung des Problems beiträgt, sondern die Schwierigkeiten der Armen nur zementiert und sie in ihrem Elend festhält. Die arbeitsfähigen Armen wollen keine Almosen und haben sie auch nicht nötig."


    Friederike Schulz über Muhammad Yunus: Für eine Welt ohne Armut. Die Autobiographie des Friedensnobelpreisträgers. Im Bastei Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, das Paperback umfasst 352 Seiten und kostet 14 Euro und 95 Cent.