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Gegen das Urheberrecht!

Im Streit um das Urheberrecht hat ein Verleger aus Berlin einen Coup gelandet: Er hat eine Streitschrift zweier niederländischen Autoren gegen das Urheberrecht in seinem Verlag veröffentlicht. Die Autoren bezeichnen darin das Eigentumsrecht an künstlerischem Material als eine Spielart der Zensur.

Von Florian Felix Weyh | 26.06.2012
    Wir befinden uns im Jahre 2012 nach Christi. Ganz Europa ist von Urheberrechtsinhabern besetzt. Ganz Europa? Nein ... doch halt: Darf man dieses abgewandelte Zitat überhaupt verwenden? Oder ist nicht die Materie derart widersprüchlich und Angst einflößend, dass man sich besser in eine defensive Haltung begibt?

    "Ich hab ein paar Jahre Kampfsport betrieben, ich weiß, wenn der Feind vor dir steht, dann musst du reagieren! Und du musst richtig reagieren! Und wenn der da lang will, wo du stehst, dann machst du ihm Platz! Ich mein, ich lass den doch nicht auf mich raufprallen, das tut doch weh! Dann lass ich ihn doch vorbei!"

    …sagt Alexander Wewerka. Der Inhaber des Berliner Alexander-Verlags hat einen kleinen, frechen Coup gelandet. Mit Joost Smiers’ und Marieke van Schijndels Streitschrift "No Copyright" – dem Plädoyer für eine komplette Abschaffung jeglicher Urheberrechte – legt er sich mit der eigenen Branche an, die unmissverständlich für starke Schutzrechte plädiert:

    "Auch wenn ich selber einen Verlag habe, finde ich’s extrem langweilig, deprimierend und frustrierend, wie ein Großteil meiner Kollegen oder wie eigentlich der Verband der Buchhändler und Verleger, nämlich der Börsenverein, seit mehreren Jahren einfach mit beiden Füßen auf der Bremse steht, alle Fenster zugemacht, Ohren zu, Augen zu: Nein, nein, nein! Nichts darf sich verändern, alles ist ganz schlimm, Internet ist unser Ende! Das find ich Quatsch."

    Und so greift Wewerka zu den ureigenen Mitteln des Verlegers: Er schafft Platz für fremde Stimmen, die sein Unbehagen artikulieren. Wenn allerdings jegliche Eigentumsrechte für geistige Produkte entfallen, wie von Joost Smiers und seiner Koautorin gefordert, bricht dann nicht auch die wirtschaftliche Basis allen Verlegens weg?

    "Also wenn Sie jetzt irgendwie sagen, ich will mich selber abschaffen ... natürlich will ich mich nicht abschaffen! Und ich bin natürlich auch mit vielem a) nicht einverstanden, b) finde ich seine Schlüsse, soweit ich das beurteilen kann... ich bin weder Jurist, noch bin ich kaufmännisch besonders talentiert, was ich als Verleger sein könnte, aber das ist nicht, warum ich einen Verlag mache. Das heißt, vieles kommt mir rätselhaft vor, vielleicht naiv. Andererseits hat mich gereizt, dass hier jemand sich quasi wissenschaftlich damit beschäftigt hat, mit der ganzen Problematik Urheberrecht. Dass er historisch mal kurz aufrollt, wie sich das eigentlich entwickelt hat, unser heutiges Urheberrecht. Man denkt ja, das schützt den Urheber, aber es schützt vor allen Dingen die Verwerter, also auch den Verleger."

    Die Verwerter, das sind bei den beiden Niederländern vor allem internationale Medienkonzerne, Hollywoodproduzenten, Rechteakkumulierer aller Art. Will man die innere Logik von "No Copyright" nachvollziehen, muss man sich dieser Sicht auf die "hyperkontrollierte und überfinanzierte Landschaft" fügen, die zuweilen so wirkt, als seien Horkheimer und Adorno mit ihrem Zorn auf die Kulturindustrie wiederauferstanden. An manchen Stellen schimmert fast schon ein bisschen Häme durch, wenn das Autorenduo die Folgen des Non-Copyrights für bestimmte Branchen durchexerziert:

    "Würden dann zum Beispiel große Filmspektakel nicht mehr gedreht? Vielleicht nicht, oder vielleicht nur noch in animierter Form. Wäre das ein Verlust? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass durch veränderte Produktionsbedingungen bestimmte Genres untergehen und andere auftauchen, die vielleicht unglaublich populär werden. Vielleicht würde man sich daran schnell gewöhnen. Außerdem gibt es keinerlei Grund, ausgerechnet solchen Riesenproduktionen, die durch maßloses Marketing gepusht werden, einen Investitionsschutz zu gewähren. Schließlich sind gerade diese Blockbuster dafür verantwortlich, dass die real existierende kulturelle Vielfalt immer mehr aus dem Markt herausgedrängt wird."

    Diese mechanistische Prämisse, dass Medienkonzerne Publikumserfolge manipulieren, muss man zum Verständnis des Buches hinnehmen. Sonst bleibt unklar, warum den Konzernen das Geld fürs Blockbuster-Marketing entzogen werden muss. In Verschärfung dieser Verdrängungshypothese scheuen die Autoren nicht davor zurück, "das Eigentumsrecht an künstlerischem Material als eine Spielart der Zensur zu bezeichnen". Starke Worte, die dem Verleger die Rolle des heimlichen Zensors zuweisen, kann er das von ihm besessene Werk doch auch wegschließen, vor allem im verwerterzentrierten US-amerikanischen Copyrightsystem. Das entspricht zwar kaum Alexander Wewerkas Selbstbild, doch fällt ihm ein zensuranaloges Erlebnis ein:

    "Ein großer Buchhändler im Internet, der Größte, mit dem wir auch arbeiten müssen, weil wir inzwischen sehr viel Umsatz mit dem machen, dieser Buchhändler bietet auch elektronische Bücher an. Ich habe einen meiner Titel von einem Franzosen, Jean-Claude Carriere, der hat ein lustiges Büchlein gemacht, da werden die fünf sexuellen Grundbegriffe in tausend Wörtern noch mal umschrieben. Das ist lieferbar, völlig normal, hat sich noch nie einer beschwert, von wegen das wäre pornografisch, jugendgefährdend. Ich hab es den beiden großen E-Book-Anbietern geschickt, und dann kam irgendwann die Antwort: "Sorry, verstößt gegen unsere Regeln". Und 'ne Woche später der andere Amerikaner. Beide fangen mit A an. Da kriegt man mal so ein Gefühl, in zehn Jahren wird’s bestimmte Bücher vielleicht nicht mehr geben, weil irgendein Händler sagt, aus dem und dem Grund: No! Das kommt das Wort "communism" vor. Machen wir nicht!"

    Die vertraute Medienwelt ist längst aus den Fugen geraten, keine Frage, und es macht durchaus Spaß, einmal ganz radikal ein Szenario ohne geistiges Eigentum zu durchdenken. Aber so radikal fällt das Pamphlet dann doch wieder nicht aus. Es ringt sich zum Beispiel nicht zum Geständnis durch, dass Schöpfer und deren stille Helfer dann ihren Lebensunterhalt unkünstlerisch verdienen müssen. Stattdessen propagiert es den Vorteil des "First Movers": Wer ein Buch herausbringe, sei ja auf jeden Fall schneller als sein strafloser Nachahmer, und in dieser Zeit könne er den angemessenen Lohn verdienen, auch wenn der Inhalt nicht geschützt sei:

    "Dann geht er davon aus – da bin ich mir auch nicht sicher –, dass Menschen eigentlich gute Wesen sind. Das heißt: Warum sollte denn einer überhaupt mir Schaden zufügen wollen? Wenn ich jetzt ein Buch habe, was ich ein bisschen verkaufe, dann wird doch keiner mir das wegnehmen, als Raubkopie, weil dann wird das Publikum diesen Raubkopierer ächten."

    "Nicht zuletzt wäre es gute Sitte, den Künstler zu bezahlen, zumindest eine gewisse Zeit lang. Dies wäre im allgemeinen Bewusstsein so stark verankert, dass man nicht ohne Beschädigung des eigenen Rufs darauf verzichten könnte. Noch ist das schwer vorstellbar, aber wer weiß, wie sich das allgemeine Empfinden ändert, wenn die juristischen Zwangsinstrumente nicht mehr zur Verfügung stehen?"

    ... heißt es zuversichtlich gegen Schluss der Streitschrift. Realisten wird das naiv erscheinen. Schwieriger für die gesamte Argumentation ist die mangelnde Trennschärfe des Buches. Hollywoodfirmen und Saatgutkonzerne haben mit literarischen Verlagen fast nichts gemeinsam, und nur weil alle ihre unterschiedlichen Produkte auf Basis eines Copyrights monetarisieren, gewinnt man keine antimonopolistische Marktgerechtigkeit, indem man allen zugleich die ökonomische Grundlage entzieht.

    Zudem entstammt der erhoffte "First-Mover"-Effekt, der den kleinen Kulturproduzenten überleben lassen soll, der analogen Epoche mit ihren materiellen Herstellungsanforderungen. Im Digitalzeitalter würde keine Sekunde vergehen, bis ein rein technikorientierter Anbieter den Inhalt gekapert hat und auf einer werbefinanzierten Plattform umsonst anbietet. Der Marktpreis von digitalisiertem geistigen Eigentum beträgt ohne Rechtsschutz Null, aus dieser Zwickmühle kommen Joost Smiers und Marieke van Schijndel nicht heraus; all ihre Gegenrezepte aus dem Kochbuch des Tingeltangel – der Künstler muss sein Geld halt mit Auftritten verdienen –, sind bloße Augenwischerei. So bleibt als paradoxer Eindruck, dass dieses Pamphlet gar nicht in jener digitalen Welt angekommen ist, der die "Non-Copyright"-Bewegung eigentlich entspringt. Aber paradox ist die Buchveröffentlichung ohnehin:

    "Vorm Vertragsabschluss hab ich natürlich gleich gesagt: "Okay Joost, eigentlich brauchen wir ja keinen Vertrag machen." Hahaha! Also die Späßchen kennt er. Und natürlich, so lange die Dinge sind, wie sie sind, muss man sich an den Gepflogenheiten orientieren."

    Joost Smiers, Marieke van Schijndel: "No Copyright". Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht
    Aus dem Niederländischen von Ilja Braun.
    Alexander Verlag, 168 Seiten, 9,95 Euro