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"Gegen die Dummheit meiner Epoche"

Gustav Flaubert, der normannische Kleiderschrank mit dem Vercingetorixbart und der leicht angewiderten Miene, der erste Schwarz-Weiß-Fotograph der Weltliteratur und der letzte große Romancier aus Überzeugung, der Erfinder des "objektiven" realistischen Romans, der aus sich die Madame Bovary herauspresste, - (Madame Bovary c'est moi hat er uns aufgeklärt), er konnte tagelang auf der Suche (nicht nach der verlorenen Zeit, sondern) nach dem mot juste, dem treffenden Wort ( - nur ein Wort ändern, bedeutet gleich mehrere Seiten umzustoßen hat er verzweifelt ausgerufen -), über einer Seite brüten, doch griff dieser Stilperfektionist zur Feder, um seinen Freunden zu schreiben, dann war er völlig ungehemmt.

Von Richard Schroetter | 26.01.2005
    Das hat uns wunderbare Briefe beschert, die an sich schon Weltliteratur sind, die aber, hätte Flaubert nichts anderes als nur sie geschrieben, wahrscheinlich nie an die Öffentlichkeit gedrungen wären. Schon allein deswegen sind wir ihm für seine Romane dankbar, die man, so meinte vor kurzem Martin Mosebach, nicht unbedingt lesen muss, weil es diese privaten Mitteilungen eben noch gibt.

    Aber wir haben sie ja gottseidank, und den Verleger Gerd Haffmans dazu, der sich seit vielen Jahren um Flauberts Werke kümmert und die deutsche Fangemeinde des ruppigen Franzosen mit immer neuen Bänden versorgt.

    Erhalten sind, die Zahl wächst von Jahr zu Jahr - über 3270 Briefdokumente. Darunter kurze Billets, flüchtig hingeworfene Mitteilungen über Verabredungen zum "Pot-au-feu" oder den liegengelassenen Regenschirm und dergleichen Lappalien mehr, - die Krümel, aus denen emsige Philologen ellenlange Fußnoten machen, und später vielleicht auch noch telefonbuchdicke Biographien - aber neben diesen gibt es noch die viel spannenderen "wirklichen" Briefe, in denen Flaubert sein Herz ausschüttet, wo Lust und Frust die Feder führen, wo er sich austobt, ja auskotzt bisweilen, denn zu seiner bürgerlichen Triebökonomie gehört dieses störungsanfällige System aus Sensibilität und Radikalität, aus absolutem Stilwillen und normannischer Großspurigkeit. Dieser gutmütige Bär, so hat er sich selbst bezeichnet, war jedoch reizbar wie ein Stier :

    Ich würde Ihnen mehr .. schreiben, wenn nicht diese gottverdammte Scheißmetallfeder, die ich benutze, mich nicht zur Weißglut brächte. Nein, es ist nur noch die Entrüstung, die mich aufrecht hält. Die Entrüstung ist für mich der Stift, den die Puppen im Hintern haben, der Stift, der sie in der Senkrechten hält. Wäre ich nicht mehr entrüstet, würde ich glatt umfallen.

    … schreibt er den Gebrüdern Goncourt, mit denen er fast 20 Jahre korrespondiert. Die Goncourts, berühmt und berüchtigt wegen ihres klatschsüchtigen 22 Bände umfassenden Tagebuchs, schätzten Flauberts intellektuelle Redlichkeit, seine Unbestechlichkeit, seine kindliche bisweilen auch kindische alles heraustrompetende Offenheit, vor allem aber sein rigoroses antibourgoises Künstlertum. Wie ihr Vorbild Flaubert hatten sie mit der Romantik gebrochen, mit deren lebensuntauglichen Helden, den sehnsuchtsverklärten Träumen und dieser wohlfeilen Poesie.

    Dagegen kämpfen sie mit nüchterner Prosa und desillusionistischer Schärfe. Das waren auch ihre Mittel gegen ein noch schlimmeres Übel, die menschliche Dummheit nämlich. Sie ist das ständige Reizthema dieser Briefe. Flaubert sammelt unermüdlich Beweise für seinen großen Indizienprozeß. Er plant eine Universalenzyklopädie der Dummheit zu schreiben, die jedoch Torso bleibt wie auch sein letzter Roman : Bouvard und Pecuchet. Der Flut an Beweismaterial ist er einfach nicht gewachsen, auch wenn er es sich nicht eingestehen will. Das steigert nur seine Empörung

    Ich empfinde gegen die Dummheit meiner Epoche Hassfluten, die mich ersticken. Es steigt mir Sch.. in den Mund, wie bei einem eingeklemmten Bruch. Aber ich will sie behalten, sie eindicken und daraus einen Brei machen, mit dem ich das neunzehnte Jahrhundert beschmieren werde, wie man die indischen Pagoden mit Kuhfladen vergoldet…

    Die menschliche Dummheit macht mich im Augenblick so fertig, dass ich mir wie eine Fliege vorkomme, die den Himalaja auf dem Rücken trägt. Ich werde versuchen, mein Gift in meinem Buch auszukotzen. (Flaubert an Goncourt, 9. Oktober 1877)


    Das ist der eine große Themenstrang dieser eloquenten Korrespondenz. Der andere wesentliche: das Metier, die Literatur, die Bücher und Theaterstücke, die damals die Kritik verschmähte oder zu unrecht über alles lobte. Flaubert, der mit dem berühmten Großkritiker Sainte-Beuve befreundet war, ist nicht zu bremsen, wenn dieser ihn einmal nicht, wie gewohnt, günstig bespricht.

    Gestern, im Laufe des Tages, kam Flaubert mich besuchen. Ich erzählte ihm, was Sainte-Beuve gesagt hatte. Er verlor die Beherrschung. Die Wut über die Demütigung brach aus ihm heraus. Das Wort Tragödie und der Zusatz klassisch verletzten ihn bis aufs Blut; und da er unter dem Schock jede Reserve fallen ließ, sagte er zwei Minuten später: Ah, unglaublich! er ist ein Drecksack unser Freund Sainte-Beuve! Bei Prinz Napoleon ist er ein Lakai ... Und außerdem ist er ekelhaft: er ist ein Schwein!

    …vermerken die Brüder Goncourt in ihrem Tagebuch. Es gehört zu den Vorzügen dieser Edition, dass viele Passagen aus dem Riesenfundus der Goncourt-Tagebücher mit aufgenommen wurden. Sie ergänzen das Flaubert-Bild und kommentieren es zugleich. Viele Einzelheiten kommen zur Sprache, also genau die schmähliche Zeitgeschichte, die Flaubert so hasste, aber auch wie die Brüder über ihren berühmten Freund in Wahrheit denken. In ihre Bewunderung mischt sich unter dem Deckmantel sachlicher Beobachtung Überheblichkeit, Rivalität und Neid:

    Je älter Flaubert wird, desto provinzieller wird er. Wenn man von meinem Freund den Ochsen, das Arbeits- und Fleißtier, den Büchermacher von einem Wort pro Stunde abzieht, hat man einen so durchschnittlichen, so wenig originellen Menschen vor sich! Und ich spreche hier nicht nur von der Originalität von Ideen und Konzepten, ich spreche von der Originalität des Tuns, der Lebensart; ich spreche von einer besonderen Originalität, die immer das Siegel eines überragenden Menschen ist. Bei Gott! diese bürgerliche Ähnlichkeit seines Hirns mit dem Allerweltshirn, - was ihn, da bin ich sicher, im Grunde wütend macht, - diese Ähnlichkeit versteckt er hinter groben Seltsamkeiten, volksfeindlichen Grundsätzen, revolutionärem Gebrüll, einem brutalen, ja unerzogenen Widerspruchsgeist bei allen allgemein anerkannten Vorstellungen ... Sein Geist ist behäbig und dick wie sein Körper. Er ist vor allem empfänglich für Phrasendrescherei. Im Grunde ist er ein Provinzler und Wichtigtuer.

    Als seien ihnen die heutigen Kommunikationsmittel längst vertraut, verzichten hier schon die Beteiligten auf die alte durchgeformte klassische Kunst der Brief- und Schreibkultur, sie machen uns vielmehr zum Zeugen ihrer salopp geführten Gespräche. Als seien es mitgeschnittene Telefonate, so klingen diese Briefe. Das ist das Moderne an dieser Schriftstellerkorrespondenz und erklärt auch ihre zum Teil erdrückende Banalität. Doch darin unterscheidet sich Flaubert von den Goncourts. Er konnte auch anders schreiben, zärtlich und gedankenvoll wie zum Beispiel an seine Geliebte Louise Colet, oder an seine Nichte Caroline, deren Ehe ihm so viel Kopfzerbrechen bereiten und beinahe ruinieren sollte.

    Die schönsten Briefe, wissen wir von Alphonse Jacob, einem der besten Flaubert Kenner, richtete der Dichter an die gute Dame von Nohant, an George Sand, die zu den ganz wenigen Personen zählte, die Flaubert wirklich ernst nahm, und die seinem manchmal arg impertinenten Imponiergehabe mit Klugheit und Charme ihre immense Lebenserfahrung entgegensetzte. Davon besaß Flaubert, das bezeugt auch dieser so wunderbar lebendige Breifwechsel, nicht übermäßig viel.