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Gegen die Gleichgültigkeit

Wie in vielen Ländern Europas gibt es in den Niederlanden nicht genug Menschen, die zu einer Organspende bereit sind. Die muslimische Organisation Milli Görus startet jetzt eine Aufklärungskampagne in Moscheen, um Muslime als Spender zu gewinnen. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Ein schmuckloses Büro in Amsterdam-West: Suleyman Akzoy trifft bei einer Besprechung letzte Vorbereitungen für ein Video, in dem er selbst eine Hauptrolle spielen wird: Soll er sich zuhause filmen lassen oder besser im Krankenhaus?

    In diesem Video dreht sich alles um den chronischen Mangel an Spenderorganen – und der 43 Jahre alte Amsterdamer türkischer Herkunft weiß, was es heißt, auf ein Organ zu warten: Vor drei Jahren hat Akzoy selbst seine dritte Spenderniere bekommen – von einem jungen Deutschen, der im Alter von 22 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

    Die Wartelisten seien lang, sagt Suleyman Akzoy. Mindestens zwei Jahre müsse man in den Niederlanden auf eine Niere warten, er selbst habe sich einmal sieben Jahre lang gedulden müssen.
    Der Videofilm ist Teil einer großen Aufklärungskampagne, mit der Muslime in den Niederlanden aufgerufen werden, sich als Organspender registrieren zu lassen. Der Film soll nach Ablauf des Freitagsgebets in den Moscheen gezeigt werden. Neben Info-Broschüren werden bei dieser Gelegenheit auch gleich die offiziellen Formulare verteilt, mit denen man sich als Spender registrieren lassen kann. Sie sollen auf der Stelle ausgefüllt werden, erklärt der Initiator des Projekts Haci Karacaer:

    "Wir schicken unsere Leute nicht mit diesem Formular nach Hause und sagen: ‚Denk drüber nach, es reicht, wenn du es in einer Woche zurückschickst’."

    "Wir zwingen sie zwar nicht, Organsspender zu werden, aber wir legen es ihnen doch sehr, sehr nahe!"

    Karacaer ist einer der Direktoren von Milli Görus in den Niederlanden; einer Organisation, die den Dialog sucht, auf Integration bedacht ist und als weitaus gemäßigter gilt als in Deutschland, weshalb sie in den Niederlanden auch völlig unumstritten ist und Respekt genießt. Karacaer betreut 22 Moscheen: Sämtliche Imame haben sich bereit erklärt, zu Beginn ihrer Predigt das Problem zu erläutern, an alle Gläubigen zu appellieren und klarzustellen, dass aus religiösen Gründen nichts gegen eine Organspende spreche.

    "Zwar gibt es hin und wieder Muslime, für die eine Organspende tabu ist. Doch das sind Ausnahmen – nicht mehr und nicht weniger als bei Christen oder Juden auch. Der Hauptgrund, warum sich Muslime nicht als Organspender melden, liegt nicht in der Religion, dahinter stecken Unkenntnis und Gleichgültigkeit. Beides wollen wir durchbrechen."

    Dass Karacaer dies so betont, kommt nicht von ungefähr: Die Kampagne ist ein Versuch, der Regierung in Den Haag den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gesundheitsminister Hoogervorst hatte darüber geklagt, dass Muslime zwar bereit seien, Spenderorgane zu empfangen, selbst jedoch aus religiösen Gründen keine Organe spenden wollten. Und wer nichts hergeben wolle, so der Minister, dürfe eigentlich auch nichts empfangen.

    "Absoluter Unsinn", entgegnet Karacaer. Aber es gehöre in den Niederlanden ja inzwischen zum guten Ton, Muslime zu kritisieren und zu versuchen, ihnen immer neue Dinge anzuhängen.

    Die Beschuldigungen wurden im Rahmen einer Parlamentsdebatte geäußert, bei der nach neuen Möglichkeiten zur Behebung des Organmangels gesucht wurde. Nach dem Vorbild von Österreich und Belgien hatte das Kabinett eigentlich jeden Bürger automatisch zum Spender machen wollen, es sei denn, er spricht sich in einer Erklärung ausdrücklich dagegen aus.

    Einer Mehrheit im Parlament ging das jedoch zu weit. Stattdessen wurde beschlossen, den Einfluss der Angehörigen zu verringern: Bis vor kurzem konnten sie eine Organentnahme verhindern, auch wenn sich der Verstorbene als Organspender hatte registrieren lassen. Das ist nun nicht mehr möglich. Außerdem wurde beschlossen, verstärkt nach alternativen Werbe-Methoden zu suchen. So etwa sorgte eine Fernsehshow für 140.000 potentielle Spender. Auch mit Rundfunkspots wird versucht, den Niederländern das Problem klarzumachen. Zum Beispiel, was es für einen Nierenpatienten bedeutet, von der Dialyse abhängig zu sein und dreimal pro Woche vier Stunden still zu sitzen.

    Karacaer ist sich sicher, dass auch seine Aufklärungskampagne positive Schlagzeilen machen wird. Videofilm und Infobroschüren werden so gestaltet, dass sie auch von der marokkanischen Gemeinschaft benutzt werden können. Nach und nach sollen so alle Muslime erreicht werden. "Mit Allahs Segen", prophezeit Karacaer nicht ohne Genugtuung, "werden wir so manche Aktion der Regierung mühelos überflügeln".