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Gegen die Langeweile

Vorstellen möchte ich Ihnen heute Musik, mit der Benjamin Britten seinerzeit seine "Langeweile zu mildern" versuchte. Wenigstens behauptete er das in einem Brief an eine Freundin. Tatsächlich dürfte es nicht nur Langeweile gewesen sein, sondern vielleicht auch Angst. Denn Brittens "Seven Christmas Carols", um die es heute geht, entstanden auf hoher See zwischen Amerika und Europa - und das war im Kriegsjahr 1942 ein extrem gefährliches Fahrwasser, schließlich kreuzten dort auch viele deutsche U-Boote, die es auf ausländische Schiffe abgesehen hatten. Der Musik ist davon jedoch nichts anzumerken. Ganz im Gegenteil: Sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.

Von Falk Häfner |
    So beginnen die "Seven Christmas Carols" von Benjamin Britten. Er greift hier auf den gregorianischen Gesang "Hodie christus natus est" zurück, bevor er das "Wolcum Yole" anschließt.

    Fünf weitere Texte dieser insgesamt 7 Weihnachtsgesänge fand Britten in einem Buch, das er sich in Halifax kaufte, kurz bevor sein Schiff Richtung Europa ablegte. "The English Galaxy of Shorter Poems" bot ihm reichlich Anregung für seine Komposition.
    Die dort zusammengetragenen Texte wurden bereits im Mittelalter und in der frühen Renaissance-Zeit meist singend vorgetragen. Allerdings sind nur wenige der dazugehörigen Melodien überliefert. Denn zur damaligen Zeit wurden die Lieder mündlich weitergegeben; man improvisierte und dadurch veränderten sich die Weisen immer wieder.

    Benjamin Britten behielt das antiquierte Englisch der Texte bei. Doch nicht nur dadurch wirken seine Weihnachtsgesänge teilweise wie aus mittelalterlicher Zeit. Es sind auch Stilmittel wie der einstimmige Gesang oder die Verwendung der Harfe, die diesen Eindruck entstehen lassen. Dabei hatte auch die Wahl des Instruments einen ganz pragmatischen Hintergrund: Denn auf seiner Überfahrt von Amerika nach England beschäftigte sich Britten auch mit zwei Handbüchern über die Harfe, da er einen Auftrag von Edna Philips für ein Harfenkonzert angenommen hatte. In den nun folgenden zwei Liedern schimmert aber - bei allem mittelalterlich-volkstümlichen Kolorit - auch die Handschrift des Komponisten Britten deutlich durch...

    Die "Ceremony of Carols" von Benjamin Britten gehört zu dessen erfolgreichsten Werken überhaupt. Im Dezember 1943 wurde der Zyklus in der Londoner Wigmore Hall uraufgeführt - und zwar von einem Knabenchor. Diese Fassung (der übrigens auch noch eine für gemischten Chor folgte) funktioniert ideal auch für den Psallite Women's Choir. Die 15 Damen aus London haben es für ihre CD aber nicht nur bei der Version von Benjamin Britten belassen. Vielmehr generierte die Leiterin des Chores Nancy Hadden auch noch eine zweite Fassung. Dafür nutzte sie die gleichen Texte aus bereits erwähnter Sammlung und kombinierte sie mit mittelalterlichen Melodien anderer Lieder bzw. mit irischer, schottischer und französischer Tanzmusik...

    Das eben gehörte Lied "This little Babe" klingt in der Alternativversion dann so.

    This little Babe - in einer Version des Psallite Women's Choir - aufgenommen in einer Kirche im mittelenglischen Glochestershire. 1993 hat sich das Ensemble gegründet. Die 15 Frauen widmen sich vor allem Renaissance- und Barock-Repertoire und sind damit schon bei einigen Festivals für Alte Musik aufgetreten.

    Obwohl die Frauen einen sehr einheitlichen Chorklang kreieren, haftet ihrem Gesang eine gewisse Rauheit an, die gut zu den einfachen Weisen passt und sie natürlich und unverkünstelt wirken lässt. Geleitet wird das Ensemble von Nancy Hadden, einer professionellen Flötistin, die in England weithin bekannt ist und schon zahlreiche CDs eingespielt hat.

    Mit der CD "Ceremony of Carols" ist dem Psallite Women's Choir eine reizvolle Mischung von neuen und alten Weihnachtsweisen und Tänzen gelungen. Die Gegenüberstellung der gleichnamigen Liedfolge von Benjamin Britten und den mittelalterlichen Weisen wirkt organisch. Selbst wenn es sich - abgesehen von Benjamin Brittens Zyklus - bei den Carols nicht um originale Kompositionen handelt, sorgt die sparsame Begleitung einzelner Lieder mit Harfe, Gitarre oder Drehleier für authentische Atmosphäre. Ein Manko ist das englischsprachige Booklet, das nur wenig Informationen sowohl zu den Künstlern als auch zum Repertoire bietet.

    "Ceremony of Carols. Carols and Dances from Medieval and Renaissance England" - so heißt die neue CD des Psallite Women's Choir unter Leitung von Nancy Hadden. Beim englischen Label crd ist die Platte jetzt erschienen. In Deutschland wird die Aufnahme vertrieben von Musikwelt Tonträger in Münster.

    Komponist: Benjamin Britten
    CD-Titel "Ceremony of Carols. Carols & Dances from Medieval and Renaissance England"
    Psallite Women's Choir; Leitung: Nancy Hadden
    (LC - / crd records 3514, Deutschlandvertrieb Musikwelt Tonträger Münster)