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Gegen die Überwachungsgesellschaft

Videoüberwachung, Gesundheitskarte, Biometrie, Online-Durchsuchung: Anzeichen einer fortschreitenden Ausforschungsgesellschaft gibt es genug. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar leistet nun in seinem Buch "Das Ende der Privatsphäre" Überzeugungsarbeit gegen den Überwachungsstaat, jedoch doch in moderatem Tonfall. Moritz Behrendt hat es mit Gewinn gelesen.

Moderation: Jasper Barenberg |
    Auf Bahnhöfen, in Kaufhäusern werden wir von Videokameras überwacht, über unsere Handys können Dritte herausfinden, wo wir uns aufhalten, unsere Telefonverbindungen werden bald ein halbes Jahr lang gespeichert, und wie wir uns im Internet verhalten, ist im Detail nachprüfbar. Der Staat, aber auch private Firmen wissen immer mehr über uns, unserer Vorlieben und Gewohnheiten. Und zwar oft, ohne dass wir es selbst wissen:

    Wolfgang Schäuble: "Das beschreibt Schaar in diesem Buch. Deswegen ist es ein lesenswertes Buch. Man kann man es zur Lektüre empfehlen."

    Mit einem säuerlichen Lächeln quittierte Peter Schaar, der Bundesdatenschutzbeauftragte, dieses Kompliment Wolfgang Schäubles bei der Präsentation seines Buches in Berlin. Ist doch der Innenminister ebenso wie sein Amtsvorgänger Otto Schily mitverantwortlich für das was Schaar "den Weg in die Überwachungsgesellschaft" nennt.

    Schaar: "Bestimmte Maßnahmen, die begründet werden mit der Schaffung von mehr Sicherheit, schränken Freiheitsrechte ein und häufig stärken sie nicht einmal die Sicherheit!"
    Als Beispiel nennt Schaar in seinem Buch die großflächige Videoüberwachung in Großbritannien. Obwohl nahezu jede Straße in der Londoner City von Kameras erfasst werde, habe die Kriminalitätsrate nicht ab- sondern zugenommen. Daher müsse man bei allem, was derzeit im Namen der Sicherheit und der Terrorismusbekämpfung gefordert werde, nachfragen: Stehen Aufwand und Sicherheitsgewinn in einem angemessenen Verhältnis? Und wie stark wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beschnitten? Schäubles nächster Wunsch, Polizei und Nachrichtendiensten per Onlinedurchsuchungen den heimlichen Zugriff auf Privatcomputer zu ermöglichen, ist für Schaar ein viel zu gravierender Eingriff in die Privatsphäre: Findet doch das Privatleben vieler, vor allem der Jüngeren, in Zeiten der Informationsgesellschaft auf der Festplatte im Ordner "Eigene Dateien" statt. "Das Ende der Privatsphäre" ist keine Zustandsbeschreibung, sondern ein Zukunftsszenario. Und da darf natürlich auch der Verweis auf die klassische Vision eines Überwachungsstaates nicht fehlen. George Orwells 1984:

    Orwell warnte nicht vor der Technologie an sich, sondern vor der Gefährdung der Demokratie und der Selbstbestimmung durch totalitäre Ideologien und Mächte, die sich der Überwachungstechnik bedienen könnten - eine Befürchtung, die bis heute ihre Berechtigung hat.
    Der Vergleich mit Orwells 1984 ist natürlich hoch gegriffen, und das weiß Schaar auch und so schränkt er oft ein. Denn natürlich darf nicht alles, was er im Abschnitt über das technisch Mögliche beschreibt, in Deutschland auch so durchgeführt werden. So wurden bekanntlich die Einsatzmöglichkeiten des Großen Lauschangriffes vom Bundesverfassungsgericht stark zurück gestutzt. Und Schaar vergisst auch nicht, auf das generell hohe Niveau des Datenschutzes in Deutschland hinzuweisen. Eine Folge zweier Diktaturen, die nur zu gerne im Privatleben ihrer Bürger herumgeschnüffelt haben. Diese Einschränkungen und Schaars abwägendes Mahnen nehmen dem Buch etwas von seiner Eindringlichkeit - von der man sich eigentlich mehr gewünscht hätte. Nichtsdestotrotz kann der Autor glaubhaft darlegen, dass das von ihm in nüchternem Ton dargestellte Szenario einer Rundumüberwachung realistisch ist: Die Erfahrung, so Schaar, habe zweierlei gezeigt: Das, was technisch möglich ist, wird irgendwann auch gemacht, und die Daten, die verfügbar sind, wecken Begehrlichkeiten, sie auch zu anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehenen zu verwenden. Beispielhaft sind hier die Mautdaten: Schon kurz nach der Einführung des Mautsystems forderten Innenpolitiker, die Daten auch für die Strafverfolgung auszuwerten. Innenminister Schäuble will sie sogar präventiv einsetzen. Schaars Fazit:

    "Zweckbindungsvorschriften - mögen sie noch so gut formuliert sein, geraten dann unter Beschuss, wenn die gesammelten Daten für andere Zwecke nützlich sein können."
    Schaar plädiert daher dafür, Daten nicht nur sehr sparsam zu erfassen, sondern Überwachungssysteme schon bei ihrer Entwicklung technisch zu beschränken. Sein Buch hat nichts von Panikmache: Das liegt zum einen daran, dass der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nicht zu Übertreibungen neigt, zum anderen daran, dass manche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gar nicht als solche wahrgenommen werden, sondern als Hilfestellung im Alltag: Wer im Internet ein Buch bestellt, freut sich womöglich darüber, dass ihm sofort ein anders Buch zum gleichen Thema empfohlen wird und denkt vermutlich noch nicht einmal darüber nach, dass sein Kundenprofil ungefragt gespeichert wird. Und damit ein Navigationsgerät im Auto vernünftig funktioniert, muss es ja die eigene Position einem Satelliten übermitteln. Eine mögliche Ortung durch Dritte ist da für viele eine nebensächliche Begleiterscheinung. Das, was technisch an Überwachung möglich ist, wann und wo es eingesetzt werden kann - und darf - das beschreibt Schaar auch für Laien verständlich. Und auch wenngleich manche Einzelmaßnahme als Aufreger nicht taugt, so wirken die Überwachungsmöglichkeiten in ihrer Summe doch bedrohlich. Das Problem ist bloß, wer nimmt das wahr? Schaars Position ist die eines Rufers in der Wüste: Beinahe verzweifelt klingen Nebensätze, in denen er beklagt, dass die Sensibilität für bestimmte Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur in der "Datenschützerszene" besteht.

    "Wenn der Datenschutz nicht auf der politischen Agenda steht, wenn er letztlich die Gesellschaft nicht aufregt und interessiert, wird er verlieren."
    Das klingt schon fast fatalistisch. Denn natürlich ist auch Schaar bewusst, dass wir nicht mehr im Jahr 1983 leben, als das Bundesverfassungsgericht nach massivem Widerstand in der Bevölkerung gegen die geplante Volkszählung die informationelle Selbstbestimmung in den Rang eines Grundrechtes erhoben hat. Nein, wir leben in einer Zeit, in der viele Bürger nur allzu bereit sind, Privates und sogar Intimes auf öffentlich zugänglichen Internetseiten preiszugeben, oder sich, frei nach George Orwell im "Big Brother-Container" freiwillig jede nur erdenkliche Blöße geben. Keine gute Zeit für den Datenschutz. Und dann gibt es ja noch die - bislang zumindest - ebenso abstrakte wie allgegenwärtige Bedrohung durch den internationalen Terrorismus: Für Sicherheitspolitiker ein willkommener Anlass, um neue Datensammlungen anzulegen, und um den Behörden verstärkt Zugriff auf bereits vorhandene Informationen zu verschaffen. Denn angeblich sind die "unbescholtenen Bürger" ja gar nicht betroffen, sondern nur die so genannten Gefährder. Eingriffe in die Grundrechte finden so breite Zustimmung:

    Schäuble: "Da machen Sie mal eine Meinungsumfrage, und dann werden Sie sehen, dass da zwei Drittel oder mehr der Bevölkerung natürlich sagen, zur Abwehr schwerer Anschläge wollen wir das."
    Gegen solche Argumente wirken Schaars kluge Einlassungen gelegentlich fast hilflos. Dennoch: Wer Schaars Buch liest, wird danach vielleicht zu jenem Drittel gehören, das fragt: Wollen wir das wirklich? Wollen wir uns wirklich so mir nichts dir nichts die Hoheit darüber nehmen lassen, was eifrige Datensammler über uns wissen und über uns wissen dürfen? Schaar liefert den wichtigen Hinweis für jedermann, sparsamer eigene Daten preiszugeben. Er fordert von der Politik mehr Einsatz für den Datenschutz. Das alles ist lobens- und lesenswert. Und doch ist zu befürchten, dass Schaars etwas zu zahm vorgetragene Mahnungen ungehört verhallen.

    Wie viel Überwachung muss sein? Moritz Behrendt über das Buch "Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft" von Peter Schaar. Es ist bei C. Bertelsmann erschienen, hat 254 Seiten und kostet Euro 14,95.