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Gegen die Zukunft

Der Architekt Peter Zumthor hat eine Vision. Er möchte im allgäuischen Isny ein Stadttor aus Glas bauen lassen, dessen Innenraum Platz für kulturelle Veranstaltungen bietet. Die Bürger der idyllischen Gemeinde haben jener Vision nun aber ein Ende gesetzt.

Von Reinold Hermanns |
    Zumthors Entwurf sieht ein 35 Meter hohes, auf drei runden, röhrenförmigen Säulen ruhendes Stadttor vor – ein Stadttor ganz aus Glas. Im oberen Teil vereinigen sich die Säulen zu einer großen Hohlform. In die Hohlform eingepasst: eine riesige hölzerne Kugel. Deren Innenraum konzipierte Zumthor als Tagungs- und Begegnungsstätte, Theater- und Konzertsaal – ein leuchtendes, beschwingtes Wahrzeichen städtischer Modernität.

    Das Tor sollte jene Lücke ersetzen, die durch den 1830 erfolgten Abbruch des Obertors entstanden war. Die Verkehrsentwicklung hatte dies einst erzwungen, damit aber eine Bresche in das von mittelalterlichen Türmen, Toren und Stadtmauern geprägte Idyll der einst freien Reichsstadt gerissen; kein schönes Entrée fürs Auge der Bewohner und Besucher Isnys.

    So stieß die Idee eines – verkehrskompatiblen – neuen Stadttors durchaus auf Interesse. Der Entwurf des von der Stadt angefragten Schweizer Architekten aber warf nicht nur die Frage auf, wie das Tor aussehen solle, sondern auch, welche von anno dunnemals verschiedene Funktionen es haben sollte. Was etwa soll es durchlassen und ermöglichen, was also soll und darf "passieren"? Und was soll außen vor bleiben?

    Damit aber stand nicht nur ein ästhetisches Urteil an, sondern eine Entscheidung zur Mitgestaltung der eigenen Zukunft. Den Sprung in die Zukunft aber hat Isny mit der Entscheidung gegen Zumthors Projekt verpasst. Die hohe Quote der bürgerschaftlichen Ablehnung ist allerdings bemerkenswert. Ein Grund dafür mag sein, das gerade in den pittoresken, scheinbar heilen Winkeln unserer Gegenwart jede Änderung, jedes Aufbruchssignal zu Neuem und Ungewohntem auf besondere Ängste trifft: Je idyllischer der Winkel, desto stärker schottet er sich ab. Sich unter dem Schutzmantel historischer Tradition aber verstecken und Zukunft einfach abwarten, geht nicht. Von Belang bleibt nur, was sich ändert; zur Identität von Stadt gehört ihr Wandel. Im kulturellen Gedächtnis einstiger Reichsstädte wie Isny müsste dies eigentlich gespeichert sein: waren sie über Jahrhunderte selbst doch maßgebliche Träger wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Fortschritts, technischen und sozialen Wandels.

    Nun ist gegenwärtig bereits ein neuer Wandel im Gange und längst im Fokus von Stadtplanern, Zukunftsforen und Entwicklungsforschern. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, von Migration, neuen Verkehrssystemen und der digitalen Vernetzung unseres Alltags wird sich der städtische Kosmos demnächst radikal wandeln. "Stadt" wird sich ändern und ändern müssen, will sie nicht untergehen. Genau dem hat Zumthors Entwurf Rechnung getragen: Eine Art gläserner Zeit-Leuchtturm als Tor zu einer "lichten" Zukunft. Architektonisch ist dieser Entwurf eine Synthese aus Tradition und konkreter Utopie, ein nach außen wie nach innen transparenter Ort historischer Besinnung wie zukünftiger Bildung und Kommunikation. Ein Ort, der als kommunales Begegnungslabor über Isny hinaus hätte Pionierfunktion und Strahlkraft haben können – schade um die verpasste Gelegenheit.