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Gegen eine Anerkennung der DDR

Der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow bezeichnete sie spöttisch als Versuch, "die Sonne mit einer Bratpfanne zu verdecken". Trotzdem galt die so genannte Hallstein-Doktrin 15 Jahre lang als unumstößliche Leitlinie der deutschen Außenpolitik. Die Bundesregierung drohte allen Staaten, die diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen wollten, mit wirtschaftlichen Sanktionen oder mit dem Abbruch der politischen Beziehungen. Am 22. September 1955 verkündete Bundeskanzler Konrad Adenauer die Hallstein-Doktrin im Bundestag.

Von Peter Hertel | 22.09.2005
    "Und so hat uns allen bei den ganzen Verhandlungen, bei den internen Aussprachen, die wir in dem Sonderzug hatten, immer der Gedanke bewegt und manchmal drückend bewegt, was wird werden, wenn wir unverrichteter Dinge auseinander gehen, wenn ohne eine Verständigung und wenn niemand der Gefangenen der Heimat und seinen Angehörigen zurückgegeben wird."

    Bundeskanzler Konrad Adenauer vor der Bundespressekonferenz am 16. September 1955. Gerade hat er in Moskau einen aufsehenerregenden Verhandlungserfolg erreicht. Die Sowjetunion wird die etwa 30 000 deutschen Kriegsgefangenen und Internierten freilassen. Im Gegenzug vereinbart man die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion, obwohl bereits ein DDR-Botschafter in Moskau residiert. Das widerspricht eigentlich dem Anspruch der Bundesregierung, die einzig legitime Vertretung aller Deutschen zu sein. So Konrad Adenauer bereits im Oktober 1949:

    "In der Sowjetzone gibt es keinen freien Willen der deutschen Bevölkerung. .... Die Bundesrepublik Deutschland stützt sich dagegen auf die Anerkennung durch den frei bekundeten Willen von rund 23 Millionen stimmberechtigter Deutscher. Die Bundesrepublik Deutschland ist somit bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes. "

    Den Alleinvertretungsanspruch verbindet Adenauer mit der konsequenten Westintegration der Bundesrepublik. Die Sowjetregierung will dagegen ihre Zwei-Staaten-Theorie mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Bundesregierung untermauern. Werden nun angesichts zweier deutscher Botschafter in Moskau zahlreiche andere Staaten die DDR anerkennen?
    Um dies zu verhindern, lässt Staatssekretär Walter Hallstein dazu eine Kabinettsvorlage ausarbeiten. Am 22. September 1955 markiert der Kanzler die außenpolitische Verteidigungslinie im Bundestag, die erst drei Jahre später in den Medien Hallstein-Doktrin genannt wird.

    "Auch dritten Staaten gegenüber halten wir unseren bisherigen Standpunkt bezüglich der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik aufrecht. Ich muss unzweideutig feststellen, dass die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch dritte Staaten mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen würde. "

    Die oppositionelle SPD war gegen die einseitige Bindung an den Westen inklusive der Wiederaufrüstung und dem Beitritt zur NATO eingetreten. Daher hält ihr Vorsitzender Erich Ollenhauer der Regierung vor:

    "Das ist alles ein wohldurchdachtes und wenn Sie wollen ein raffiniertes Spiel. Aber es wird eben jetzt die Rechnung vorgelegt für die Entscheidung, die wir im Spiel der beiden großen Mächte dieser Welt dadurch bezogen haben, dass wir uns entschieden haben, die BRD in die Allianz des Westens einzugliedern."

    Weil die SPD den Verhandlungserfolg von Moskau nicht leugnen kann, kritisiert Ollenhauer den Stil, nicht die Politik des Kanzlers:

    "Wenn er jetzt beinahe ultimativ erklärt, dass die Bundesregierung auch künftig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR durch dritte Staaten als einen unfreundlichen Akt ansehen würde, dann frage ich mich, wem mit solchen starken Worten eigentlich gedient ist. Dem deutschen Volk sicher nicht! Sie sind vielmehr geeignet, alte Wunden aufzureißen und junge Freundschaften zu gefährden."

    Zunächst kann die Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch, vom Ostblock abgesehen, durchsetzen. Sie bindet die Staaten der Dritten Welt durch großzügige Entwicklungshilfe an sich, mit abnehmendem Erfolg. Ende der sechziger Jahre ist die Hallstein–Doktrin nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Bundesrepublik droht sich angesichts der Ost-West-Entspannung selbst zu isolieren. Bundeskanzler Willy Brandt setzt mit seiner neuen Ostpolitik ab 1972 die Hallstein-Doktrin außer Kraft und nimmt schließlich 1973 selbst diplomatische Beziehungen zur DDR auf.