Archiv


Gegen eine Schnellbahntrasse im Susa-Tal

Der Erwartungsdruck ist riesig. Am Freitag werden in Turin die 20. Olympischen Winterspiele eröffnet. In der Hauptstadt des Piemont wurde zu diesem Anlass eigens eine U-Bahn gebaut. Unter besonderem Druck stehen die Sicherheitskräfte. Seit Tagen wird alles in und um Turin verschärft kontrolliert. Entsprechend groß war die Aufregung, als es am Sonntag auf dem Weg des Olympischen Feuers durch die Piemonteser Alpen nach Turin zu einem ersten – unter dem Strich völlig harmlosen - Zwischenfall kam. Ein Bericht von Michael Brandt.

    Die Läufer mit dem Olympischen Feuer wollen auf dem Weg zur Eröffnung der Winterspiele durch die Hauptstrasse des Dörfchens im Susa-Tal; aber sie kommen nicht voran, denn die Strasse ist voll von protestierenden Menschen, "No TAV", skandieren sie und schwenken ihre Fahnen und Spruchbänder - und dann passiert es: eine Fahne legt sich über die Olympische Fackel und für eine Sekunde ist das Feuer nicht zu sehen, man denkt, es sei gelöscht. Dass die Flamme danach weiter brannte, spielte keine Rolle, Italien war empört - wie können es die Protestierer wagen, das olympische Feuer zu löschen, so ein Kommentator

    "Man muss sagen es, ist nicht akzeptabel, es ist nicht akzeptabel dass der Weg der Fackelträger versperrt wird. Es ist ein Zeichen großer Ungezogenheit, eine beschämende Episode. Zum Glück brannte die Fackel dann weiter, aber es ist nicht tolerierbar."

    In vielen Zeitungen hat es die Nachricht von der fast gelöschten Flamme auf die erste Seite geschafft. Die Kommentierungen waren nicht immer so schäumend wie die eben gehörte, aber die Episode von der Fackel und der Fahne ging durchs ganze Land. - "No TAV" stand auf der Fahne - und "No TAV" ist die Abkürzung für den Slogan "No Treno Alto Velocita" - kein Hochgeschwindigkeitszug; und es geht um die Schnellbahntrasse, die zwischen Turin und Lyon gebaut werden soll. Seit vergangenem Jahr ist die Trasse ein politischer Dauerbrenner im westlichen Piemont, vor allem im Susa-Tal, in dem ein großer Teil der Trasse verlaufen soll.

    Das Projekt ist überflüssig, sagen die Gegner. Die Kapazität der bereits vorhandenen Eisenbahntrasse sei über Jahre hinaus völlig ausreichend

    "Die Strecke bringt nichts, wir haben schon eine Eisenbahn", sagt diese Frau. "Es wird nur Geld zum Fenster rausgeschmissen."

    Fakt ist jedenfalls, dass ein großer Teil der Bevölkerung des Val di Susa, des Susa-Tals, gegen die geplante Schnellbahntrasse ist.

    Seit vergangenem Frühjahr gab es mehrere sehr gut besuchte Demonstrationen mit teilweise über 50 000 Teilnehmern. Als im Herbst die Bauarbeiten mit Probebohrungen begannen, wurde das Gelände symbolisch besetzt. Am nächsten Morgen allerdings von der Polizei mit recht rüden Methoden wieder geräumt. Daraufhin versperrten die Trassengegner spontan die Autobahn und die bereits bestehende Eisenbahnlinie.

    Die wichtigsten Argumente der Schnellbahngegner sind: erstens - wie gehört, die Trasse sei nicht nötig und nicht rentabel; und dabei berufen sie sich unter anderem auf Studien der Universität Turin. Zweitens: verschandele sie das ohnehin schon arg gebeutelte und teilweise recht enge Tal. Es ist heute schon einer der Hauptverkehrswege zwischen Italien und Frankreich mit zwei Landstrassen, einer Autobahn und einer zweispurigen Bahntrasse.


    Und drittens sorgen sich die Anwohner wegen der geplanten Tunnel. Das Tal soll durch zwei Basistunnel entlastet werden. Der eine rund zwanzig, der andere über fünfzig Kilometer lang. Und Grabungen aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass das Gestein an der einen Baustelle asbest-, an der anderen uranhaltig ist. Die Anwohner fürchten schlicht um ihre Gesundheit während der mehrjährigen Bauarbeiten.

    Nun ist es aber bei der Schnellbahntrasse im Val di Susa wie bei vielen Großprojekten: die Anwohner und die Regionalpolitiker sind dagegen, doch je größer die Entfernung wird, desto geringer wird der Widerstand. Überregional sind nur Kommunisten und Grüne dagegen. Dafür ist die linke Provinzregierung in Turin, ebenso wie die rechte Regierung in Rom und die gesamte EU, soll die Trasse doch ein Lücke im gesamteuropäischen Schnellbahnnetz von Kiew nach Lissabon schließen:

    "Meiner Ansicht nach", so Enrico Letta vom linken Parteienbündnis Margerita, "ist das ein wichtiges Vorhaben. Wichtig für die Infrastruktur, wichtig für unsere Zukunft."

    Auch bei einem Treffen der Bürgermeister der betroffenen Gemeinden gestern mit Romano Prodi, dem Kandidaten der Linken, konnten die Trassengegner ihn nicht auf ihre Seite ziehen; Prodi versprach im Falle eine Wahlsieges ein transparenteres Planungsverfahren, mehr aber nicht.