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Gegen eine Welt der schreienden Ungerechtigkeit

Der Dramatiker Athol Fugard wurde vor allem durch seine Theatergruppen in den Gettos Südafrikas bekannt. New York zeigt in dieser Saison gleich vier seiner Arbeiten am Broadway, um den Autor zu würdigen. Den Anfang macht das Stück "Blood Knot".

Von Andreas Robertz | 07.02.2012
    Athol Fugard ist das, was man sich unter einem netten älteren Herrn vorstellt: ein freundliches Lächeln, weißer Bart und unzählige kleine Lachfalten um die Augen. Die Augen des heute 80-Jährigen strahlen dabei Vitalität, Ernsthaftigkeit und Wachheit aus. Das Signature Theater hat ihn als Hausautor eingeladen, die erste Saison in ihrem gerade eröffneten Neubau an der 42. Straße, ein beeindruckendes Haus mit der einladenden Atmosphäre zwischen Hotellobby und Chill out-Lounge, zu eröffnen.

    Und zwar mit "Blood Knot" - zu deutsch "Blutsbande" - ein Drama aus dem Jahr 1961, das ihm den internationalen Durchbruch bescherte und das er diesmal wie damals selbst inszeniert. Das bewegende Zwei-Personen-Stück aus der Zeit der Apartheid Südafrikas erzählt die Geschichte zweier Halbbrüder, dem schwarzen Zacharias und dem weißen Morris, die in einem Township in Port Elisabeth leben und versuchen, Geld für eine Zukunft als kleine Farmbesitzer zu sparen.

    Als Zacharias eine Brieffreundschaft mit einem weißen Mädchen beginnt, verändert sich die Dynamik der beiden Brüder und es beginnt ein dramatisch-komischer Kampf um ihre Träume, den Fluch der Hautfarbe und gegen eine Welt der schreienden Ungerechtigkeit. Und letztlich geht es um die Auseinandersetzung mit dem Anderen. Inszeniert auf dem Bauschutt des noch nicht ganz fertigen Theaters, setzt Fugard völlig auf die Dialogkomik seiner Sprache und die emotionale Intensität seiner beiden herausragenden Akteure. Wie zwei verlorene Estragon-Wladimir-Gestalten aus Beckett s "Warten auf Godot" ringen die Brüder um ihre Zukunft. Dabei werden sie sich ihrem ungewollten Erbe, nämlich weiß und schwarz zu sein, schmerzhaft bewusst. Am Ende lässt Fugard sie ihre Hütte abräumen bis nur noch eine leere Bühne übrig bleibt.

    Halb hoffend und gleichzeitig tief verletzt trauen sich die Brüder, für die sich alles verändert hat, vorsichtig nach vorne zu schauen, in eine nun völlig ungewisse Zukunft. "Blod Knot" ist ein Abend, der das Publikum den Schauder des Verbotenen der ursprünglichen Aufführung in Südafrika nachempfinden lässt. "Blood Knot" ist ein wichtiges, exzellent geschriebenes und darüber hinaus enorm aktuelles Stück. Denn die Mehrheit der Menschen lebt immer noch in einer Welt, in der Diskriminierung, Ausbeutung und Einschüchterung wegen ihrer Hautfarbe zur alltäglichen Realität gehören.

    Zum Beispiel in immer noch erschreckend umfassender Weise in den USA selbst. Einem gerade erschienenen Artikel im Feuilleton des "New Yorkers" aus der Feder von Adam Gopnik zum amerikanischen Strafvollzug zu Folge, leben zurzeit mehr als sechs Millionen Menschen, davon die erdrückende Mehrheit Afroamerikaner, unter polizeilicher Aufsicht oder in Strafvollzugsanstalten. Das sind mehr, als zur Zeit der Sklaverei in den Staaten und unter Stalin Gefangene im Archipel Gulag lebten. Viele der unter 30-jährigen Straftäter verbüßen wegen kleinerer Delikte unverhältnismäßig lange Freiheitsstrafen. Die Gefängnisse arbeiten mit staatlich geförderten privaten Arbeitsfirmen zusammen, für die die Sträflinge umsonst und äußerst hart arbeiten müssen. Wochenlange Einzelhaft und systematische Gefängnisvergewaltigungen durch Mitgefangene werden als selbstverständlicher Teil der Strafe gesehen und auch eingesetzt. Dies, so Adam Gopnik, sei faktisch eine gesellschaftlich anerkannte Fortsetzung der Sklaverei.

    Man kann das Signature Theater nur beglückwünschen, in einer Zeit der politischen Orientierungslosigkeit, in der sich die amerikanische Gesellschaft auf bedrohliche Weise einem Überwachungsstaat annähert, den Dissidenten Athol Fugard als Hausautor und Regisseur eingeladen zu haben. Den New Yorkern steht eine aufregende Spielzeit mit einem wahren Meister des politischen Theaters bevor.