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Gegen Konsumdenken und Konformismus

Als radikaler Freibeuter, dessen Leben mit seinem Werk eng verbunden war, stellte sich der italienische Schriftsteller und Regisseur Pier Paolo Pasolini einer Massenkultur entgegen, die das Alte vernichtet und alle Unterschiede nivelliert. Seine berühmten Polemiken gegen die "Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft" sind jetzt neu verlegt worden.

Von Joachim Hildebrandt | 27.10.2011
    Man könnte sagen, alles was Pier Paolo Pasolini getan hat, künstlerisch sowie in seinem sozialen Verhalten, resultiert aus seinem Anderssein, oder genau dieses Anderssein hat seinen Widerspruch gegen den "totalitären Charakter der Normalität" verstärkt. Der Schriftsteller und Bühnenautor Christoph Klimke hat sich ausführlich mit Pasolini auseinandergesetzt.

    "Da kann man auch gleich auf die 'Freibeuterschriften' kommen. Da gibt es einen Text, wo Pasolini in den sechziger Jahren sich über die Langhaarigen aufregt. Was heißt denn eigentlich Anderssein oder Fremdsein? Die damaligen modischen Langhaarigen, die
    Studenten, die Bürgersöhnchen, wie Pasolini sagen würde, die waren in ihrem Andersseinwollen schon wieder Konformisten. Das Anderssein ist auch inhaltliches Anderssein und nicht eine Frage der Hautfarbe oder der Sexualität oder des Glaubens."

    Pasolini ist 1922 geboren. Er erlebt den Krieg. Den antifaschistischen Widerstandskampf, das Engagement für die kommunistische Gesellschaft und auch die Enttäuschung all dieser
    Hoffnungen.

    "Wie seine Hoffnungen vor allem in die Jugend, in das Subproletariat der Großstadt, wo er seine Hoffnung darauf gesetzt hat, dass diese Jugend gegen die Naziväter eine bessere Welt im Nachkriegsitalien baut. Das war auch ein Irrtum, weil diese Jugend war konformistischer als die Väter und interessierte sich nur für Konsum, den Pasolini mit Konsumfaschismus beschreibt. Pasolini arbeitet immer mit dem Mittel der Regression. Er geht immer zurück, um eine Vision zu zeigen. Das kann bei einem Spaziergang durch Rom sein, dass er alte Gemäuer sieht und in die Zukunft schaut. Vielleicht könnte man sagen, dass er die Rückgewinnung der Werte vorantreibt, die nichts mit Gewinnmaximierung zu tun hat."

    Durch die Zerstörung der Vergangenheit befürchtet Pasolini, seine eigene Tradition zu verlieren. Das, was Enzensberger die "Furie des Verschwindens" nennt. Die Radikalität, mit der Pasolini seine Thesen vertritt, sind natürlich eine Provokation für viele im Land. Er hat sich damit viele Feinde gemacht.

    "'Wir sind alle in Gefahr' ist der Titel eines seiner letzten Interviews. Er hatte Kolumnen im 'Corriere della Sera'. Er hat zum Schluss den Ministerpräsidenten, den korrupten Mafiamenschen Andreotti, angegriffen. Er stand jeden Tag in der Zeitung. Dadurch war Pasolini auch gefährdet. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Ich sage es mal salopp: Ein Schwulenmord war das bestimmt nicht."

    In dem langen Gedicht "Gramscis Asche", das er 1956 geschrieben hat und am Grab des italienischen kommunistischen Philosophen Anton Gramsci spielt, heißt es:

    "Nicht der Herbst / sondern das Heimweh nach alten Zeiten, flößt Melancholie ein. / Doch in dieser Melancholie liegt das Leben?"

    "Er meinte damit, die Umkehr ist die Revolution. Wenn wir es schaffen umzukehren, nicht im Sinne einer Nostalgie, sondern uns auf Werte zu besinnen, die nicht nur mit der Börse zu tun haben, sondern mit uns und unserer Tradition, Kultur und Literatur, was in Italien ja noch viel schwerer ist als bei uns."

    Im November 1975 erscheinen die "Freibeuterschriften". Pasolini ist am 2. November am Strand von Ostia tot aufgefunden worden. Die wahren Täter hat man nie gefunden. Im Jahre 2005 hat die Stadt ein Denkmal zusammen mit einem kleinen Park eingerichtet, um an Pasolini zu erinnern. Die Akten der Staatsanwaltschaft sind letztes Jahr wieder geöffnet worden. Der Strichjunge Pino Pelosi gestand damals die Tat, aber nach seiner Entlassung 1982 widerrief er sein Geständnis. Die neue Version besagt, dass Pasolini von mehreren Männern erschlagen worden ist und Pelosi nur der Köder gewesen sei, um ihn in die Falle zu locken.

    "Sämtliche Intellektuelle Italiens haben immer die Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert. Der Moravia hat bei seinem Nekrolog auf Pasolini auf dem Campo dei fiori gesagt, dass in gewisser Weise die gesamte Öffentlichkeit Italiens Pasolini auf dem Gewissen hat, weil man mit der schnellsten Lösung zufrieden war."

    Seine Kritik an der Konsumgesellschaft, an einem konformistischen Verhalten wird auch in der Freibeuterschrift "Alte und neue Kulturpolitik" deutlich. Er schreibt dort über die "Revolution im Informationswesen", insbesondere über das Fernsehen.

    "Mit Hilfe des Fernsehens hat das Zentrum das Ganze Land, das historisch außerordentlich vielfältig und reich an originären Kulturen war, seinem Bilde angeglichen. Ein Prozess der Nivellierung hat begonnen, der alles Authentische und Besondere vernichtet. Das Zentrum erhob seine Modelle zu Normen der Industrialisierung, die sich nicht mehr damit zufrieden geben, dass der 'Mensch konsumiert', sondern mit dem Anspruch auftreten, es dürfe keine andere Ideologie als die des Konsums geben."

    "Pasolini hat ja als einer der ersten gesagt, in unserer Gesellschaft, in Italien und in Deutschland natürlich auch, gebe es keine Bürger mehr, sondern nur noch Konsumenten."

    In dem Gedicht "Gramscis Asche" schreibt Pasolini in einer Zeile: "dieses immer für dich und wider dich sein". Das bezog sich nicht nur auf die Haltung zu Gramsci, sondern auch zu sich selber. Er war für sich im intellektuellen Sinn und gegen die Probleme, die seine Sexualität mit sich brachten. Er war gegen die katholische Kirche, aber auch ein gläubiger Mensch. Er war intellektuell begabt und zugleich in mancher Hinsicht leichtsinnig, zum Beispiel in seinem übertriebenen Glauben an die Jugend, wie er es später eingeräumt hat.

    Pasolini fordert den Leser auf, die Fragmente in seinen "Freibeuterschriften" neu zusammenzusetzen, die widersprüchlichen Elemente darin zu ordnen, um eine Einheit in den Aussagen zu erkennen. Wenn sich der Leser auf diese radikalen und brillanten Polemiken einlässt, wird er feststellen, wie erschreckend aktuell heute noch seine Äußerungen, zum Beispiel über das Konsumdenken, sind.

    Pier Paolo Pasolini: Freibeuterschriften.
    Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch
    die Konsumgesellschaft.
    Wagenbach Verlag 2011, 174 Seiten, Euro 11,90